Lang Lang, heute sprechen wir über mein Leben. Denn unser Thema heißt „Happy“.
Ich habe mir schon gedacht, dass du ein glücklicher Mensch sein musst. Und das ist übrigens ansteckend. Wenn ich Bilder von dir sehe, werde ich selbst automatisch glücklich. Wie kommt das nur?
Vielleicht weil ich ausstrahle, dass ich mir kein schöneres Leben vorstellen könnte. Es gibt auf der ganzen Welt niemanden, mit dem ich tauschen möchte. Geht dir das nicht so?
Nein.
Nein?
Nein. Okay, meistens finde ich toll, was ich mache. In meiner Musik versinken, Konzerte geben, durch die Welt reisen. Aber in mir ist auch dieser völlig normale Typ, der gern mal ein bis zwei Monate zu Hause auf dem Sofa versacken möchte.
Unglück durch Heimweh?
Nein, durch Jetlag. Ich verschwende so viel Zeit damit, von einem Ort zum anderen zu kommen. Ich benutze Flugzeuge wie andere den Bus nehmen – um täglich zur Arbeit zu kommen.
Das verstehe ich gut. Ich habe das Gefühl, jeden Tag einen Koffer zu packen, und das ist wirklich das Einzige, was mich nervt. Ich bin wahnsinnig gern zu Hause. Ich würde sogar noch mehr arbeiten, wenn ich es von daheim tun könnte.
Beneidest du auch Leute, die das können? Mir geht das so, wenn ich Komponisten oder Produzenten begegne. Oder Malern! Klar, die haben auch viel zu tun, aber sie können flexibel arbeiten und müssen nicht irgendwo auf der Welt um 20 Uhr auf der Bühne stehen. Aber wenn ich dann spiele, vergesse ich solche Gedanken.
Und das haben Maler nicht, die immer nur in ihren Ateliers herumhängen. Abgesehen davon: Dieses Leben hast du dir erarbeitet. Du bist der erste richtige Popstar der Klassik.
Das glaube ich nicht. Denk mal an Karajan, Pavarotti, Yo-Yo Ma. Anne-Sophie Mutter! Das sind Ikonen der Klassik!
Die hatten und haben aber doch ein langsameres Leben als du, oder?
Das denkst du. Ich habe neulich eine Biografie über Vladimir Horowitz gelesen. Der hat in meinem Alter mehr Konzerte gegeben als ich.
Na gut. Ich glaube aber, dass du auch auf Reisen glücklich sein könntest.
Wie denn?
Akzeptanz. Du musst dich in den Prozess begeben und der Tatsache Raum geben, dass du an diesem Tag nicht zu Hause sein wirst. Und auch am nächsten nicht. Und das ist doch auch eine Chance. Ich zwinge mich dazu, nicht durch meine Termine zu hetzen, sondern auch mal innezuhalten und mich umzusehen. Dabei gibt es sehr viel Schönes zu entdecken.
Das sagt sich so leicht. Ich musste tatsächlich erst krank werden, um mal zu entschleunigen.
Was ist passiert?
Nichts Schlimmes. Eine Entzündung im rechten Arm, ich musste vorsichtshalber eine Zeit mit dem Spielen aufhören, damit ich mir keinen langfristigen Schaden zufüge. Es tat sich plötzlich eine andere Welt für mich auf. Ich konnte zu ganz anderen Zeiten frühstücken, weil ich nicht üben durfte. Oder um 19 Uhr herrlich essen gehen, ein Ding der Unmöglichkeit auf Tour. Ich dachte manchmal: Träume ich das jetzt?
Wie oft bist du denn unterwegs?
Ich schätze, um die 300 Tage im Jahr.
Sehen wir die Vorteile: Du brauchst nur ein winziges Zimmerchen statt einer großen Wohnung, wenn du eh nie da bist.
Na ja, ich habe schon ganz ordentliche Apartments in Peking und New York.
Was ist das Erste, das du tust, wenn du nach Hause kommst?
Kochen. Ich liebe es, mir selbst etwas Gutes zu essen zu machen. Ich habe einen Supermarkt in meiner Straße, dort kaufe ich ein. Und es gibt Leute, die mich erkennen und sich darüber wundern: Wie, der kocht selbst?
Das ist doch das Beste! Selbst zu entscheiden, was man wann und wie isst. Nicht davon abhängig zu sein, was für Angebote es unterwegs gibt. Sich nicht zum Essen umziehen müssen. Oder überhaupt anziehen.
Die Kleidung ist für mich nicht so interessant dabei. Aber essen macht glücklich. Gutes Essen. In China sagen wir: Schlechtes Essen macht schlechte Laune. Ich habe das Gefühl, dass das in westlichen Ländern nicht so ernst genommen wird wie bei uns. Wie oft bin ich in Amerika Leuten begegnet, die mittags nur einen kleinen Salat zu sich genommen haben. Oder nur einen Karottensaft, um sich nicht so schwer zu fühlen am Nachmittag.
In Deutschland sind wir aber nicht so.
Na ja. Ich war lange in München und habe euch Deutsche intensiv beobachtet. Viele essen mittags nur eine Wurst im Stehen. Das ist auch nicht gut.
Welches deutsche Essen macht dich glücklich?
Sauerkraut.
Nicht im Ernst.
Doch. In meiner Heimatstadt Shenyang gibt es das beste Sauerkraut in China. Dort ist es im Winter so kalt, dass der Kohl sehr schnell zu haltbarem Sauerkraut verarbeitet wird. Ich glaube überhaupt, dass Sauerkraut die Basis der klassischen Musik ist.
Wieso das?
Die Hälfte aller wichtigen Komponisten kommt aus Deutschland. Ein weiteres Drittel aus Russland – die beiden größten Sauerkraut-Länder der Welt.
Ich habe früher sehr viel Sauerkraut gegessen. Und jetzt sieh mich an!
Machen wir uns nichts vor: Sauerkraut ist das Geheimnis deines großen Erfolges. Und auch meines.
Was brauchst du, wenn du in Hotels lebst?
Ein Klavier in meinem Zimmer. Ich stehe auf, bestelle einen Kaffee, setze mich an das Instrument und spiele. Es sei denn, ich gehe meinen Zimmernachbarn damit auf die Nerven.
Warum ist das wichtig?
Ich habe das am Curtis Institute in Philadelphia gelernt, wo ich vor 20 Jahren Schüler war. Das hat uns Schülern zur Pflicht gemacht, ein Klavier im Zimmer zu haben. Und ich verstehe das. Manchmal wache ich auf und habe plötzlich einen Gedanken zu einem Stück oder ein anderes erst richtig verstanden. Wenn ich mich dann erst duschen, anziehen und zu einem Übungsraum laufen muss, habe ich diesen Gedanken, dieses Gefühl verloren.
Ich denke gerade, dass es ein glückliches Gefühl sein muss, einen Zugang zu Musikstücken zu finden. Hat der glücklichste Moment deines Lebens damit zu tun?
Nein. Das war, als ich als Kind ein „Transformers“-Spielzeug bekam. Das coolste Geschenk aller Zeiten. Andere glückliche Momente haben wieder mit Essen zu tun, opulente Dinner mit Freunden. Aber was ist mit deinem glücklichsten Augenblick?
Weißt du, ich glaube, ich bin wirklich anders als die meisten anderen. Ich kann Momente des Glücks kaum ausmachen, weil in mir eine Grundhappiness wohnt. Es ist eher andersherum: Ich kann dir die Momente benennen, in denen ich nicht glücklich bin.
Wie häufig sind die?
Sie beschränken sich auf durchschnittlich drei Minuten im Monat. Dann bin ich erschöpft, unmotiviert, müde.
Aber was macht dieses permanente Glücksgefühl aus? Was ist seine Grundlage?
Ich lebe in einem Haus, ich habe Kinder – im Grunde ist das alles, wovon ich geträumt habe, als ich jung war. Ich hatte nie Ambitionen, erfolgreich zu werden oder Geld zu haben. Auch das ist mir passiert, und ich kann das sehr wertschätzen. Aber im Grunde ist es ein Bonus.
Hast du Wünsche, die noch unerfüllt sind?
Außer, dass alles so bleibt, wie es ist: nein. Du?
Eigentlich nicht. Mehr Geld brauche ich nicht, und den Wunsch, ein noch besserer Pianist zu werden, habe ich mir abgeschminkt. Aber doch, eine Sache ist da. Ich habe angefangen, junge begabte Menschen zu unterrichten. Und ich liebe es, wenn sie etwas durch mich verstehen. Wenn ich mit ihnen zusammenspiele und es funktioniert, macht mich das glücklicher, als wenn ich allein auf der Bühne bin. Dieses Gefühl macht süchtig, davon wünsche ich mir viel mehr.
In welchem Alter sind deine Schüler?
Es sind Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene … Das Tolle daran ist: Ich erkenne mich in ihnen wieder, wie ich vor 15, 20, 25 Jahren war. Und das zeigt mir noch besser, wer ich heute bin.
Wann hast du angefangen zu spielen?
Da war ich noch nicht einmal drei.
Nicht dein Ernst! Ich wollte dich gerade fragen, ob du dich an dein erstes Mal am Klavier erinnern kannst, aber das ist ja wohl kaum möglich.
Natürlich erinnere ich mich! Ich weiß noch, dass das Piano für mich ein Spielzeug war. Weiße Tasten, schwarze Tasten, die lustige Töne machten, das war toll. Allerdings wurde es dann ziemlich schnell harte Arbeit für mich.
Du bist früh von zu Hause weggegangen.
Ja, mein Vater ist mit mir nach Peking gezogen, als ich neun war. Ich sollte dort aufs Konservatorium gehen. Mein Vater hat seinen Beruf für meine Ausbildung aufgegeben, er stand enorm unter Druck. Und den hat er an mich weitergegeben. Richtig hart war allerdings, dass meine Mutter plötzlich nicht mehr in meinem Leben war, die ist ja zu Hause in Shenyang geblieben. Plötzlich war sie weg. Zehn Jahre lang.
Das ist ja furchtbar! Warum hast du dir all das angetan?
Weil ich auch gespürt habe, dass die Musik das Richtige für mich ist. Das weiß man sehr schnell, wenn man sich mit einem Instrument beschäftigt. Kannst du eines spielen?
Ich habe als Kind auch Klavier gespielt. Es hat mich nie glücklich gemacht. Mir kam es von Anfang an wie ein Knochenjob vor.
Aber du singst, ich habe dich schon live gesehen.
Das stimmt. Als ich zum ersten Mal meine Lieder auf der Bühne gesungen habe, war ich unglaublich nervös. Ich dachte, das Publikum würde mich in Stücke reißen. Aber sie waren freundlich und euphorisch – das hat bei mir einen Schwall Endorphine ausgeschüttet.
Ich bekomme Endorphinausschüttung, wenn ich dir beim Singen zuschaue.
Das ist süß … Aber du kennst selbst diese Momente, wenn alles stimmt, der Raum, das Publikum, du selbst, und dann hat man das Gefühl, zu fliegen. Musik macht einen so glücklich!
Mich nicht.
Wie bitte? Ausgerechnet dich nicht?
Es ist komplizierter. Musik ruft Gefühle in mir hervor, sie schärft meinen Blick für mein Inneres. Aber das muss sich nicht immer glücklich anfühlen. Musik ist Trauer, Wut, Enttäuschung, Hass. Und auch die positiven Gefühle würde ich nicht Glück nennen.
Sondern?
Freude. Und die findet man oft hinter den Noten. Da tut sich ein ganzer Ozean von Gefühlen auf, in den man eintauchen kann.
Und das spüre ich. Weißt du, Klavierkonzerte sind meine besten Freunde. Wenn ich jemanden wie dich spielen sehe und ihm dabei zuschaue, wie er mit der Musik verschmilzt, dann schlägt das jede andere Beschäftigung. Ich habe mich noch nie in einem Klavierkonzert gelangweilt.
Du hast einen tollen Geschmack. Hast du auch ein Lieblingsstück?
Ja. Rachmaninoff, das 3. Klavierkonzert. Das habe ich immer dabei, das ist mein bester Freund. Ich habe es auch mal von dir gehört, in der Philharmonie in Berlin. Es klingt komisch, aber ich habe zu dieser Musik ein wärmeres Gefühl als zu den meisten Menschen.
Musik geht sehr tief. Deshalb ist sie so wichtig. Filme zum Beispiel würden ohne Musik nicht funktionieren.
Apropos: Stimmt es eigentlich, dass du Trickfilme magst? Und du sollst ein großer Zocker an der Playstation sein.
Oh ja, ich liebe es. Aber ich bin leider nicht gut. Wenn ich mit meinen Freunden irgendwelche Videospiele mache, fliege ich schon in der ersten Runde raus, weil ich zu langsam bin. Das ist meine Tragik. Und was die Trickfilme angeht: Früher war ich ein extremer Manga-Fan. Ich hatte sogar meine Haare im Manga-Style.
Sind die nicht immer pink? Oder grün?
Also bitte. Gefärbt habe ich natürlich nicht. Ich wollte mich doch nicht unglücklich machen.