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"Viele Künstler nehmen sich selbst zu wichtig" – Nicole Leidenfrost über moderne Kunst

Wenn man ein Bild für die Queen malt, erwartet man nicht, dass sie dazu sagt: „Komische Farbe für ein Pferd.“ Doch genau das passierte Malerin Nicole Leidenfrost, und ganz Deutschland lachte. Darüber kann die Künstlerin heute nur lächeln.
Von Wiebke Brauer

Kein Pinsel in der Hand, kein klecksiger Overall und die Haare nicht wirr. Die Malerin trägt einen pinkfarbenen Kaschmirpulli, Jeans, Hauspuschen und eine Apple Watch am Handgelenk. Mit rechts packt sie den weißen Schäferhund, der gerade dynamisches Ganzkörperwedeln betreibt, ein riesiges Tier an dieser zarten Person. „Kaffee?“, fragt die und versucht dann den Hund mit strengen Worten zur Räson zu bringen. So halbwegs erfolgreich.

Nicole Leidenfrost wohnt in einem Einfamilienhaus, das in jedem Vorort stehen könnte, schmiedeeiserne Pforte, roter Backstein. Durch die Diele geht es in das große Wohnzimmer. Der Hund liegt ihr nun wie ein Flokati zu Füßen – und passt so gar nicht ins Bild. Ob sie wohl je darüber nachgedacht hat, sein schneeweißes Fell zu färben? In Zitronengelb vielleicht. Oder Azurblau. Oder Neongrün. Nicole Leidenfrosts Bilder sind farbenprächtig. So wie der schreiend bunte Stier auf schwarzem Untergrund, der über dem großen Holztisch hängt.

Und der weibliche Akt gegenüber. Und der Springreiter über dem Motorrad, das hier dekorativ rumsteht, geschmückt mit einer Lichterkette. Keine Regenbogenfarbe fehlt auf Leidenfrosts Werken. „Ich habe immer schon so gemalt“, sagt die 43-Jährige und muss plötzlich lachen. „Einmal habe ich versucht, eins in Schwarz-Weiß zu malen. Das wurde auch bunt. Mir macht das Spaß, ich bin so.“ Der Hund schnauft schwer und etwas unpassend.

Erst so gut wie keine Chance, dann gewonnen

Drei Jahre ist es her, da malte sie das Bild „Pferd in Royalblau“. Ein Präsent für die Queen, die Deutschland besuchen sollte. Zu diesem besonderen Anlass wollte die Abteilung Staatsgeschenke mal etwas Persönliches schenken, kein Schreibset, keinen Kerzenständer, wie es sonst üblich ist. Nicole Leidenfrost hatte sich zuvor beim Auswärtigen Amt beworben, und irgendwem im Haus gefielen ihre Bilder so gut, dass eine Anfrage kam. „Am Telefon sagte man mir: ,Frau Leidenfrost, wir haben Interesse, müssen Ihnen aber sagen, dass Sie so gut wie keine Chance haben, den Zuschlag zu bekommen.‘ Ich sagte, dass ich etwas anfertigen könne und sie es ja nicht nehmen müssten. Ich wollte das Rennen mitlaufen.“ Sie gewann das Rennen.

Vorlage für das Acrylgemälde war eine Fotografie von 1930, das die spätere Königin als Vierjährige auf ihrem Shetlandpony „Peggy“ und ihren Vater zeigt. Auf dem Gemälde ist Peggy ausnehmend blau, die Prinzessin recht rosafarben und der Mann, der die Zügel hält, ziemlich gelb. Der Rahmen ist golden. Bei der feierlichen Übergabe in Schloss Bellevue – das Video davon steht im Internet – moderiert der damalige Bundespräsident Joachim Gauck das auf einer Staffelei präsentierte Gemälde an. Die Queen betrachtet es und sagt, dass das Pferd eine sonderbare Farbe habe.

Ausgerechnet an jenem Tag trägt Majestät, die sich sonst gern in Bonbon-Nuancen kleidet, ein weißes Kostüm. Dann fragt sie: „Und das soll mein Vater sein?“ Prinz Philip neigt sich zu ihr und fragt mit einem Grienen im Gesicht, ob sie ihn denn nicht erkenne. Ihre amüsierte Antwort: „No, not quite.“ Bundespräsident Gauck merkt daraufhin lächelnd an, dass sie sich ja an das ebenfalls geschenkte Marzipan halten könne, falls ihr das Bild nicht gefalle.

War ja nicht das erste blaue Pferd

Man will sich gar nicht vorstellen, wie oft sich Nicole Leidenfrost das Video davon im Internet angesehen hat, um herauszufinden, was die Queen damals wirklich gedacht hat. Vielleicht ist es auch egal, denn schwerer wog das, was in den Medien stand. Die englische Presse stürzte sich auf das Bild, berichtete, dass die Deutschen die Monarchin mit einem grässlichen Porträt beleidigt hätten. Das Gemälde sähe aus, als hätte es eine Fünfjährige gemalt.

„Die Leute haben sich das Maul zerrissen“, erinnert sich Nicole Leidenfrost. Über die Farben und darüber, dass der Vater der kleinen Lizzy kein Gesicht hätte. „Mir wurde unterstellt, dass ich keine Gesichter malen kann. Sie mokierten sich über das, was ungewöhnlich war und was sie nicht zuordnen konnten. Aber ein blaues Pferd haben nun wirklich schon andere Künstler gemalt.“ Leidenfrost kommt in Fahrt. „Niemand hakte nach, worum es bei dem Bild wirklich ging und was mir wichtig war.“

Aber ist das nicht die berüchtigte Floskel, die verbotene Frage, die kein Kunstschaffender hören mag: „Was will uns der Künstler damit sagen?“ Nicole Leidenfrost schmunzelt, dann erklärt sie: „Mir ging es um das kleine, fröhliche Gesicht des Kindes auf dem Pferd. Ich wollte, dass die Queen das Bild sieht, sich freut und einmal kurz lacht. Und das hat sie getan.“

Kunst wie geschnittenes Brot

Zu Besuch bei der Malerin in Wedel bei Hamburg lernt man viel über die eigenen Vorurteile, was Kunst angeht. Es hält sich ja hartnäckig die Vorstellung, dass Kunst selbstlos sein muss, sich aus ihrer Genialität heraus wie geschnitten Brot verkauft und daher frei von Kalkül ist. Und dass eine Malerin nur von Terpentin-geschwängerter Luft und der Liebe zur Kunst lebt. Diese schillernde Seifenblase lässt Nicole Leidenfrost sofort platzen: „Viele Künstler nehmen sich selbst zu wichtig und malen nur das, was sie relevant finden. Das kann man natürlich machen, aber man muss sich fragen, ob man damit den Markt trifft. Darum male ich auch keine Stereoanlagen auf Leinwand.“

Die gebürtige Berlinerin verwendet nun Begriffe wie „zielgruppenorientiertes Marketing“, spricht darüber, dass man dem Kunden professionell zuhören müsse und ob sich werblich etwas rechne. „Ich bin Unternehmerin“, sagt sie, und als solche hat ihr die Queen-Affäre wirklich gutgetan. „Für mich war die Geschichte ein Segen, weil ich darüber so bekannt wurde. Die Leute haben mir Mails geschrieben und meine Bilder gekauft. Ich habe in der Zeit sehr viel Geld verdient.“

Zurzeit malt Nicole Leidenfrost keine Pferde, sondern röhrende Hirsche. Die gehen momentan besonders gut. „Vor Weihnachten habe ich zwei verkauft und muss jetzt

Derzeit in Mode: Hirsche und Stiere

Zurzeit malt Nicole Leidenfrost keine Pferde, sondern röhrende Hirsche. Die gehen momentan besonders gut. „Vor Weihnachten habe ich zwei verkauft und muss jetzt wieder welche malen.“ Stiere gehen übrigens auch prima. Weil sie für Kraft und Stärke stehen. Und nein, nicht nur Männer legen 5800 Euro für die bunten Rinder hin. Unter Leidenfrosts Käufern sind viele Frauen.

Und obwohl es Stimmen gibt, die ihre Kunst als „grotesken Kitsch“ bezeichnen, sieht sie nicht wie jemand aus, den das Schicksal schwer gezeichnet hätte. „Ob Kunst oder Kitsch ist doch bloß Betrachtungsweise“, sagt sie. „ Ja, klar, ich bin ein bisschen kitschig. Ich finde alles gut, was glitzert. Wenn ich Bock habe, auf meine Bilder Swarovski-Steine draufzumachen, dann tue ich das. Ich mache die Sachen für mich – oder eben für einen Kunden, der das genau so haben will.“

So wenig Klischeehaft wie sie selbst – nicht mal ein Farbrest auf den Händen –, so unspektakulär ist ihr Atelier: ein Zimmer mit Dachschräge, eine nackte Glühbirne an der Decke, ein Tisch mit Tuben und Tiegeln, der Teppich abgeklebt. „Es ist einfach eine Arbeitsfläche“, sagt Nicole Leidenfrost und lächelt. Der schneeweiße Hund hechelt betriebsam vor sich hin.

Sie weiß, dass ihr Atelier jede romantische Vorstellung enttäuscht. Aber dafür nimmt man als Besucher etwas anderes aus dem schmucklosen Raum mit: Mit einem Mal bekommt der überreife Kalenderspruch „Krone richten, weitergehen“ eine ganz neue Bedeutung – zumal Nicole Leidenfrost ein Paradebeispiel dafür ist, wie königliche Selbstdisziplin und Contenance über ein Desaster hinweghelfen. Wenn man es denn Desaster nennen will. Denn die Episode um das blaue Pferd tünchte sie nicht rasch in ihrer Vita über – sie vergoldete sie. Den Begriff „Queen-Malerin“ ließ sich die Künstlerin sogar markenrechtlich schützen. Denn erstaunlicherweise schmückten sich plötzlich sehr viele Kollegen mit diesem Titel.

Da sieht man mal wieder, dass es immer lohnt, sich das Leben in den buntesten Farben auszumalen – auch und gerade dann, wenn andere die ganz scheußlich finden.

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