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Wenn der Traum zum Albtraum wird - der eigene Imbiss

Den Traum von Britta Wolgast und ihrem Freund kennen viele: Festanstellung kündigen und dann ein eigenes Lokal aufmachen. Ein Jahr haben die beiden durchgehalten
von Britta Wolgast

Am Schluss haben wir uns sogar über die Größe der Zwiebelwürfel gestritten, so gestresst waren wir. Aber das mit den Zwiebeln hatte ich mir sowieso anders vorgestellt. In meiner Vision vom eigenen Lokal sah ich mich gelassen hinterm Tresen stehen, mit den Gästen plaudern – und zwischendurch mal ’ne Pommes fertig machen. Das, muss ich zugeben, war echt naiv.

Ein Imbiss war schon länger ein Traum von Micha und mir. Ich habe 17 Jahre lang als TV-Producerin in einer Werbeagentur gearbeitet und Werbespots gedreht. Unter anderem mit Jogi Löw für Nivea. Wow, denkt man anfangs, ich fliege nach Kapstadt! Später dann eher: Och nee, schon wieder Kapstadt! Der Job war anstrengend und toll zugleich, weil er so abwechslungsreich ist, dir wird einfach nie langweilig. Aber du bist halt immer unterwegs und irgendwann hatte ich die Schnauze so voll von dieser ganzen Fliegerei.

Die Idee, in die Gastronomie zu gehen, kam von Micha, der immer gern und viel gekocht hat. Wir haben uns in der Agentur kennengelernt, er war Kreativdirektor. Nach fünf Jahren Beziehung sagten wir uns: wenn nicht jetzt, wann dann? Das Kündigen fiel uns nicht schwer, irgendwie ging alles ganz geräuschlos vor sich. Diejenigen, die von unseren Plänen wussten, fanden es mutig, dass wir den Schritt in eine Selbstständigkeit wagen wollten. Und wir haben uns einfach nur auf eine neue berufliche Zukunft gefreut.

Ursprünglich wollten wir einen Food Truck kaufen, entdeckten dann aber im Internet einen kleinen Imbiss in Kirchwerder – eine ländliche Gegend südlich von Hamburg. Klang irgendwie ganz nett. „Bei Ilse“ hieß der Laden früher. Wir kannten uns in der Ecke nicht aus, aber als ich meiner Reitlehrerin davon erzählte, sagte sie sofort: „Müsst ihr machen! Der lief früher wie verrückt.“ Für uns war das Entscheidende die günstige Miete: 300 Euro. Den gucken wir uns an!

Der Besitzer des Ladens wohnte nebenan und schwärmte vom „super Kundenstamm“. Die Räumlichkeiten waren wirklich toll, die Einrichtung aber komplett versifft, auf dem Boden ein fürchterlich hässlicher PVC. Mit der Renovierung haben wir uns dann prompt verschätzt. Wir dachten, wir planen mal vier Wochen ein, aber daraus wurde ein halbes Jahr. Eher eine Sanierung. Von den Wänden kratzten wir gefühlte 30 Schichten Tapete runter. Hat trotzdem Spaß gemacht.

Im Juni war Eröffnung, und die lief wirklich super! Die ersten zwei Wochen haben sie uns dann die Bude eingerannt. Auf dem Land sind sie alle neugierig und wollten natürlich mal gucken, was wir da so machen. Es kamen so viele, wir wussten nicht mehr, wo links oder rechts ist. Micha stand am Herd, ich vorn am Tresen, zwischendurch hat sogar meine Mutter mitgeholfen. Der Renner waren halbe Hähnchen. Dazu hatten wir die Imbiss-Klassiker im Programm: Currywurst, Pommes, Schaschlik, selbst gemachte Salate. Alles natürlich in top Bioqualität. Wir haben sogar das Paniermehl für die Schnitzel selbst gemacht.

Obwohl es so gut losging, war mir relativ schnell klar, dass mein Traum anders aussah, als die Hälfte des Tages abzuwaschen und Tonnen von Zwiebeln zu würfeln. Die erste Euphorie war weg, auch bei den Kunden. Es kamen nicht mehr so viele Leute, wie wir kalkuliert hatten. Unsere ursprüngliche Hoffnung war, dass wir einen beträchtlichen Teil von Elb-Ausflüglern anziehen. Aber die blieben halt doch am Deich, guckten aufs Wasser, statt durch unsere Nebenstraße zu spazieren. Es war zudem ein tierisch heißer Sommer – da schmissen die Anwohner natürlich öfter den eigenen Grill an. So was hatten wir überhaupt nicht auf dem Zettel.

Natürlich hatten wir vorher eine ordentliche Kalkulation gemacht, wir wussten beide aus unseren alten Jobs, wie das geht. Wir hatten alle Einkaufspreise recherchiert, für frische regionale Sachen, das war ja das Konzept. Man sagt, Einkaufspreis mal vier ergibt den Endpreis. Das Problem ist nur: Dann kostet ein Burger mit Pommes eben nicht fünf, sondern acht Euro. Das zahlt da draußen keiner. Also haben wir 5,80 Euro genommen. Hätten wir uns denken können, dass das schwierig wird, aber das wollten wir in dem Moment nicht sehen. Wir haben geglaubt, das über die Masse wieder reinzukriegen. Nächster Killer: die Stromkosten. 800 Euro, das war echt heftig. Die Geräte laufen ja den ganzen Tag rauf und runter, auch wenn keine Kunden kommen.

Also was tun? Preise erhöhen? Dann kommt keiner mehr. Umschwenken und auf Bio verzichten? Das wollte vor allem Micha nicht. Er dachte, die werden das schon zu schätzen wissen auf dem Land. Aber den Biobauern interessiert Bio-Essen am Ende wohl nicht. Unsere Öffnungszeiten waren von 12 bis 20 Uhr, nur montags hatten wir geschlossen. Wir kamen schnell auf eine 80-StundenWoche. Du musst ja alles vorbereiten, anschließend putzen und aufräumen. Schon nach drei Tagen merkten wir, dass wir da vor Mitternacht nie rauskommen. Du musst für die Behörde einen Putzplan erstellen. Und wir wollten ja auch keinen Imbiss, in dem du nach zehn Minuten nach Pommesfett stinkst. Schließlich haben wir eine Putzhilfe eingestellt. Noch mal extra Kosten. Und der eigentliche freie Tag, der Montag, bleibt auch nicht richtig frei, weil du da alle Termine hinlegst. Mir war irgendwann klar: Entweder wir verdienen so viel, dass wir Leute einstellen können, oder wir schmeißen hin. Bis zur Rente konnte ich mir dieses Leben nicht vorstellen.

Im Dezember, ein halbes Jahr nach der Eröffnung, haben wir uns hingesetzt, den Imbiss vier Wochen zugemacht und uns alles mal in Ruhe angeguckt. Tatsächlich hatten wir nie Minus gemacht, sind aber mit einem Bruttogehalt von nur 700 Euro pro Person jeden Monat rausgegangen. Da denkst du dann über jeden Kaffee nach, den du auswärts trinkst. Wir wollten aber noch nicht sofort aufgeben, hatten kurz überlegt, das Konzept vom „Lütt’n Happen“ in die Stadt mitzunehmen, hin zur kaufkräftigeren Klientel – aber eine Miete von 3000 oder 4000 Euro war einfach nicht drin. Stattdessen haben wir die Karte etwas verändert.

Den endgültigen Rest gab uns dann was anderes: Plötzlich brachen die Hähnchenverkäufe um die Hälfte ein. Wir waren ratlos. War die Qualität schlechter geworden? Gab es Meldungen über Geflügelskandale? Nein. Eines Tages musste ich noch schnell Quark besorgen, fuhr zum Supermarkt und sah dort einen Hähnchenwagen auf dem Parkplatz. Wir haben recherchiert: Unsere Verkäufe gingen exakt an dem Tag zurück, seitdem der dort stand.

Als wir beschlossen, unseren kleinen Imbiss aufzugeben, saßen wir beide am Küchentisch und haben geweint. Dass das jetzt zu Ende sein sollte, war einfach nur traurig. Wir haben es nie so gesehen, dass wir generell gescheitert waren. Es hat halt nur nicht zum Leben gereicht. Und uns war immer klar: Bevor wir anfangen, uns richtig zu verschulden, ist Schluss.

Zwei Monate später ist dann auch unsere Beziehung in die Brüche gegangen. Ich war in der Zeit nach der Aufgabe sehr angespannt, so ohne Job. Micha war nur froh, aus dem Korsett raus zu sein, und ihm war alles egal. Das ging nicht mehr zusammen.

Insgesamt war ich ein Jahr arbeitslos und habe schon auch mal gedacht, der ganze Scheiß hat wirklich alles kaputt gemacht. Aber am Ende möchte ich nichts missen. Es bleibt ein gutes Gefühl, einen Haken dahinter zu machen. Ich bin stolz, den Mut dafür gehabt zu haben. Wir können auch echt stolz sein: Es war ein toller Laden mit tollen Produkten, und wir haben auf dem Land noch mal eine ganz andere Welt kennengelernt. Da weißt du plötzlich, für wen du Werbung machst.

Heute sind Micha und ich wieder ein Paar. Wir waren anderthalb Jahre getrennt, aber unsere Verbindung ist nie abgerissen. Ich arbeite wieder in meiner alten Agentur, jetzt als Assistentin. Damit bin ich im Moment total zufrieden, weil ich gern organisiere und plane. Solange ich nicht nebenbei noch Zwiebeln würfeln muss.

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