Das Buch
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Hector hat keinen Erfolg. Er kämpft mit einem manischen Sammelzwang, er hat keine Freundin, und nicht mal sein Selbstmordversuch in der Pariser Metro gelingt. Dann aber trifft er Brigitte, und alles ändert sich. Um sich dem wunderbaren Anblick seiner Geliebten beim Fensterputzen so oft wie möglich hingeben zu können, stellt er eines Tages heimlich eine Kamera auf. Doch seine Lust vergeht jäh, als auf dem Video neben Brigitte ein anderer Mann auftaucht. Hector ist außer sich vor Eifersucht. Doch wie kann er den Betrug zur Sprache bringen, ohne seine eigene Erotomanie zuzugeben?
Federleicht, charmant und witzig – ein Kammer spiel über Obsessionen, Lügen und Geheimnisse von Beziehungen, wie es nur französische Schriftsteller zustande bringen.
Der Autor
David Foenkinos wurde 1974 in Paris geboren. Er studierte Literaturwissenschaften an der Sorbonne und ist ausgebildeter Jazzmusiker. Heute arbeitet er als Schriftsteller und Drehbuchautor. Für seine Romane erhielt er mehrere Literaturpreise. "Das erotische Potential meiner Frau" wurde 2004 mit dem Prix Roger Nimier aus gezeichnet. David Foenkinos lebt in Frankreich.
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Leseprobe "Das erotische Potential meiner Frau"
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Hector hatte den Kopf eines Helden. Man spürte, daß er bereit war, zur Tat zu schreiten, allen Gefahren unserer monströsen Menschheit zu trotzen, das Feuer unzähliger Frauen zu entfachen, mit der Familie einen Urlaub zu planen, mit seinen Nachbarn im Aufzug zu diskutieren und, wenn er wirklich einmal groß in Form war, auch einen Film von David Lynch zu verstehen. Er wäre eine Art Held unserer Zeit, mit strammen, wohlgeformten Waden. Blöd nur, daß er gerade beschlossen hatte, sich das Leben zu nehmen.
Man hatte wahrlich schon bessere Helden gesehen. Ein gewisser Sinn fürs Theatralische hatte ihn dazu gebracht, sich für die Metro zu entscheiden. Alle Welt würde von seinem Tod erfahren, es wäre so etwas wie die Pressevorführung eines Films, der sich schnell als Flop erweisen würde. Hector wog aus reiner Höflichkeit artig die volltönenden Empfehlungen um ihn herum ab, er solle nur ja nicht voreilig seine Fahrkarte kaufen. Für den Fall, daß er es sich anders überlegte. Man wußte nichts von ihm, daher hoffte man auf ein Mißlingen, um sicherzugehen, daß man sich auf die Physiognomie eines Menschen verlassen konnte. Vor allem auf die eines Helden. Schon blickte er verschwommen. Die Tabletten mit der ein- schläfernden Wirkung hatte er noch vor dem Verfallsdatum hinuntergestürzt. Es stirbt sich besser im Schlaf.
Letzten Endes war dies ein Glück, denn Hector bereitete uns große Sorgen. Äußerlich verrieten seine Augen nichts. In den Gängen der Metro liegend, wurde er schließlich entdeckt, der Station Châtelet-Les Halles näher als dem eigenen Tod.
Sein eingesunkener Körper spiegelte sein Scheitern. Zwei Krankenträger mit aufgeschwemmten, anabolen Gesichtern (doch Gesichtern wollen wir von nun an mißtrauen) kamen und befreiten ihn von all diesen Blicken der vorbeihastenden Angestellten, die ganz fasziniert waren, eine Lage vor Augen zu haben, die schlimmer war als ihre eigene. Hector dachte nur an eines: Jetzt, wo sein Selbstmord fehlgeschlagen war, war er zum Leben verdammt.
Er wurde in ein Krankenhaus eingeliefert, das gerade frisch gestrichen war. Logischerweise war überall zu lesen "frisch gestrichen". Er würde sich ein paar Monate in dieser Genesungseinrichtung langweilen. Sehr bald schon war sein einziges Vergnügen ein Klischee: die Krankenschwester zu beobachten und vage davon zu träumen, ihre Brüste zu streicheln. Über diesem Klischee schlief er regelmäßig ein, immer kurz bevor er sich die Häßlichkeit der Krankenschwester eingestanden hätte.
Er war in einem Dämmerzustand, in dem die Ungnade das Mythische zu berühren schien. Dieses Urteil erschien sehr streng: Zwischen zwei Morphium-Verabreichungen konnte die Krankenschwester durchaus sinnlich sein. Und dann gab es da diesen Arzt, der gelegentlich vorbeischaute, wie man bei einer Abendgesellschaft vorbeischaut. Die Begegnungen dauerten selten länger als eine Minute, schließlich mußte man ja so tun, als wäre man in Eile, wenn man seinen Ruf pflegen wollte (und das war so ziemlich das einzige, was er pflegte). Dieser tief braungebrannte Mensch bat Hector, die Zunge herauszustrecken, um zu dem Schluß zu kommen, daß er eine schöne Zunge habe. War ja nicht verkehrt, eine schöne Zunge zu haben, man fühlte sich gut mit einer schönen Zunge. Aber dafür konnte Hector sich nichts kaufen.
Er wußte nicht genau, was ihn erwartete, er war schwer depressiv, jemand, der auf dem Grund des Trichters winselte. Man schlug ihm vor, seine Familie oder seine Freunde zu verständigen, sofern der Herr in der glücklichen Lage sei, welche zu haben (auf diskrete Weise deutete man die Möglichkeit an, welche zu mieten). Diese Optionen wurden von einem nicht besonders höflichen Schweigen begleitet, aber halten wir uns nicht damit auf. Hector wollte niemanden sehen. Genauer gesagt – und das will ja kein Kranker – wollte er nicht, daß irgend jemand ihn in diesem Zustand sah. Er schämte sich, ein Männlein zwischen nichts und weniger als nichts zu sein. Es kam vor, daß er einen Freund anrief und ihm erzählte, daß er auf Reisen sei, Wahnsinn, dieser Grand Canyon, was für Schluchten. Und dann hängte er auf. Dabei war er doch der Grand Canyon.
Die Krankenschwester fand ihn sympathisch, sie hatte ihm sogar gesagt, er sei ein besonderes Exemplar. Kann man denn mit einer Frau schlafen, die einen für ein besonderes Exemplar hält? Das war wirklich die Frage. A priori, nein: Frauen wollen sowieso nie mit einem schlafen. Sie interessierte sich für seine Geschichte. Schließlich war das, was in der Krankenakte stand, das einzige, was sie über ihn wußte. Daß es rühmlichere Methoden der Annäherung gibt, will nichts heißen. Gibt es denn die Frau, die sich einem hingibt, weil sie die Art mag, wie man nie den Tag der Wiederholungsimpfung gegen die Kinderlähmung verpaßt?
Oh, Sie machen mich ganz verrückt, Sie impfungsbewußter Mann. Oft kratzte sich die Krankenschwester am Kinn. In solchen Fällen hielt sie sich für den Arzt. Man muß aber auch sagen, daß es Raum für diese Rolle gab. Dann trat sie ganz dicht an Hectors Bett. Sie hatte eine durchaus erotische Art, mit ihrer Hand über das weiße Bettuch zu streichen, ihre wohlgepflegten Finger glichen dann Beinen in einem Treppenhaus, die mit großen Schritten das Weiße durchmaßen.
Hector wurde Anfang März entlassen. Eigentlich hatte der Monat keinerlei Bedeutung, überhaupt hatte nichts eine Bedeutung. Die Concierge, eine Frau, deren Alter niemand mehr in der Lage war einzuschätzen, tat, als hätte die Abwesenheit des Mieters sie besorgt. Diese Art, sich besorgt zu geben, diese Art, sich ins Jahr 1942 zurückzuträumen, mit einer Stimme, die derart grell ist, daß sie in der Nähe eines Schienenstrangs einen Zug zum Entgleisen bringen würde, wenn Sie wissen, was ich meine.
"Monsieur Balanchiiine, was für eine Freude, Sie wiederzusehen. Ich hatte mir schon richtig Sorgen gemacht ..."
Doch darauf fiel Hector nicht herein. Weil er aber nun einmal über sechs Monate fort gewesen war, versuchte sie, das entgangene Weihnachtsgeld nachzufordern. Aus Angst, einem Nachbarn zu begegnen und sein Leben vor ihm ausbreiten zu müssen, mied er den Aufzug und schleppte sich die Treppe hoch.
Sein schwerer Atem blieb nicht ungehört, und so klebte man mit den Augen an den Spionen. Als er vorüberging, öffneten sich Türen. Dabei war es nicht einmal Sonntag. Dieses Gebäude war einfach von einer nervenzehrenden Untätigkeit.