Wie kann man Flüchtlingen helfen? Das fragen sich viele Menschen in Deutschland, die dem Hass und dem Rassismus etwas entgegensetzen wollen. Zum Beispiel, indem man Flüchtlinge, die noch keine vernünftige Bleibe haben, vorübergehend bei sich zuhause aufnimmt.
In Berlin ist der Andrang von Flüchtlingen vor der Registrierungsstelle im Landesamt für Gesundheit und Soziales (genannt LaGeSo) so groß, dass die Menschen im Freien schlafen müssen. Hilfe gibt es durch ehrenamtliche Helfer, die Schlafplätze zuhause anbieten, vor allem Familien mit Kindern.
Unter den Helfern ist auch die Schauspielerin und Bloggerin Tanya Neufeldt alias Lucie Marshall, die mit ihrem Mann Marc und ihrem Sohn Sam drei Jungen aus Pakistan zu sich einlud. Hier beschreibt sie, wie sie das Wochenende erlebt hat.
3 pakistanische Jungs bei uns #refugeeswelcome

"Es sind 3 pakistanische Jungs: 13, 17 und 20 Jahre alt. Das wäre übers Wochenende.", informiert mich die Stimme am Telefon und ich antworte ohne nachzudenken "Ja, ich hole sie vor dem LaGeSo ab".
Und dann rutscht mir das Herz in die Hose. Gleich hole ich drei mir wildfremde Menschen ab und wir verbringen das Wochenende mit ihnen.
Marc kauft ein, unsere Nachbarn helfen uns beim Beziehen der Betten und leihen uns Matratzen, Sam räumt ohne zu murren sein Zimmer, danach malt er mit Greta, unsere Nachbarstochter zusammen ein Schild, das sie an die Tür kleben: "Welcome in Berlin".
Sam ist wahnsinnig aufgeregt und fragt die ganze Zeit: "Mama, wann kommen denn die Frischlinge?" "Das heißt FLÜCHTLINGE!", verbessert ihn Greta, "Sag ich doch! FRÜCHTlinge!", antwortet Sam außer sich.
"Ich werde die nie wieder gehen lassen", schießt es mir durch den Kopf
Die drei Jungs sind entzückend. Sie stehen am Straßenrand und winken mir zu. "Oh Gott, die werde ich nie wieder gehen lassen", schießt es mir durch den Kopf.
Wir fahren nach Hause, sie duschen, wechseln ihre Kleidung gegen Ersatzklamotten von uns, und wir schmeißen eine Waschmaschine an. Marc kocht Butterchicken mit Reis. Die Gäste haben großartige Manieren, loben den Koch, wollen aber keinen Nachschlag.
"Okay, morgen gibt es Pizza, Butterchicken in Deutschland zu essen, ist wahrscheinlich so wie Spaghetti Carbonara in Ungarn", sagt Marc zu mir.
Wir verständigen uns mit Händen und Füßen und Englisch. Unsere Gäste möchten gerne einen Spaziergang machen. "Hoffentlich verlaufen sie sich nicht!", sagt Marc, dann aber setzt er nach: "Die sind von Pakistan über den Iran, von der Türkei mit dem Boot nach Griechenland, dann über Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland gelaufen... Unwahrscheinlich, dass Berlin Mitte ein Problem für sie darstellt."
Lachen tut gut und erleichtert
Seit zwei Wochen engagiere ich mich immer wieder vor dem LaGeSo, bei "Moabit hilft", seit einer Woche kann ich gar nicht mehr anders, als so viel wie möglich Zeit dort zu verbringen.
Ob Lebensmittel verteilen oder Spenden sortieren, Hilfe wird immer benötigt. Einen Nachmittag lang sortiere ich mit anderen Helfern Kleidungsspenden. Es werden teilweise neue Klamotten gespendet, aber manchmal wird aber auch nicht nachgedacht: Das T-Shirt von einem Marathon mit dem Slogan "Lauf um dein Leben!" zum Beispiel. "Schwierig! Was meint ihr?", sage ich und halte das T-Shirt hoch. Wir lachen laut. Weil lachen so gut tut und erleichtert.
Mit unserem Freund Arthur fahre ich zum LaGeSo, wir haben 2 Stunden eingeplant, wir bleiben 5 Stunden. Arthur nimmt eine fünfköpfige afghanische Familie mit nach Hause: Oma, Eltern und zwei junge Männer, die ihr Glück nicht fassen können und nicht aufhören nachzufragen, ob es wirklich in Ordnung ist. Arthur ist nur am Telefon und mobilisiert seinen Freundeskreis: Wer hat Platz, wer kann wie viele für wie lange aufnehmen? Ich mache den Fahrdienst. Ich fahre eine Hochschwangere Irakerin zu Freunden, sie kann sich kaum mehr halten und sinkt aufs Bett, um dort 13 Stunden am Stück zu schlafen.
Ich fahre Flüchtlinge zu Menschen, die ohne mit der Wimper zu zucken ihre Möbel umräumen, damit noch mehr Platz ist. "Am Mittwoch kriegt meine afghanische Familie eine Unterkunft zugewiesen!", erzählt mir eine, "dann ist mein Wohnzimmer wieder frei!"
Ich denke: "Ach gut, dann kann sie mal durchatmen.", aber sie setzt gleich hinterher: "Dann habe ich wieder Platz für die nächste Familie!" Menschen, die viel weniger haben als ich, teilen viel mehr mit einem so großem Herzen, dass mir der Atem stockt.
Der dreijährige Sohn hat die Überfahrt nicht überlebt
"Ich nehme die syrische Familie", sagt Lulu, eine der mittlerweile völlig erschöpften Helferinnen von Moabit hilft und zeigt auf ein junges Ehepaar (sie schwanger) und deren Schwager. Die drei sind heute Morgen angekommen.
Die syrische Frau lacht, weil Arthurs Hund ihr die Reste des Couscous wegisst und ständig niesen muss, weil es ihm in der Nase steckt. "Eigentlich hatten sie noch einen dreijährigen Sohn dabei, aber der hat bei der Überfahrt auf dem Boot so viel geweint, dass die Schlepper ihn über Bord geworfen haben", erzählt Lulu. Ich erstarre, mir schießen die Tränen in die Augen und ich muss den Brechreiz unterdrücken.
Am Abend telefoniere ich mit einer Frau, die ein Flüchtlingsheim für die minderjährigen Flüchtlinge betreut. Ich erwähne die Geschichte, ihre Antwort ist bestürzend nüchtern: "Ach, Lucie, das passiert auf jeder Bootsfahrt. Kinder, die weinen, gehen über Bord. Und die Minderjährigen kommen dann zu uns. Voller Schuldgefühle, weil ihre Familie alles verkauft hat, damit sie fliehen können, voller Sorge, weil sie nicht wissen wie es weitergeht. Und traumatisiert sowieso."
Was für ein unglaubliches Glück wir haben
Ich sitze an dem Abend zuhause und heule Rotz und Wasser. Es zerreißt mir das Herz. Sam schläft und wacht immer wieder auf und ich stelle mir vor wie es ist, wenn auch er ohne Mutter wäre, die ihn trösten kann. Was für ein unglaubliches Glück haben wir.
Ich weiß nicht, wie lange unsere Jungs in Berlin bleiben. Sie müssen heute wieder zum LaGeSo, aber solange nicht klar ist, was mit ihnen passiert, bleiben sie. Sie sind erschöpft, sie gehen nervlich auf dem Zahnfleisch. Sie haben alles hinter sich gelassen, das Geld reichte nur für die drei. Sie skypen mit ihrer Mutter und ihrer Oma, die uns Luftküsse zuwerfen und sich unter Tränen bedanken, dass wir uns um sie kümmern. Wie würde es mir wohl gehen, wenn Sam fliehen müsste? Und das Geld nur für ihn reicht.
Ich sehe das Haus in dem sie gewohnt haben. Es ist ein wirklich schönes Haus, keine Baracke. Der Großteil der Flüchtlinge, die es bis nach Deutschland schaffen, sind gut ausgebildet und kommen aus der Mittelklasse. Wir kriegen hier sowieso die Creme de là Creme. Und was machen wir daraus? Nichts.
Wir geben so wenig im Vergleich zu dem, was sie riskieren.
Dieses Wochenende mit unseren Gästen ist eine riesige Bereicherung. Nicht nur, weil sie mit Sam und Greta im Hof Wikinger spielen und sich für die Kinder zum Horst machen und es lieben. Teilen macht glücklich, helfen sowieso.
Die Dankbarkeit, die uns entgegenfliegt, beschämt mich. Wir geben so wenig im Vergleich zu dem, was sie riskieren.
Ganz gleich mit wem ich spreche, jeder fühlt sich durch seine Gäste nur beschenkt. "Eigentlich wollte ich erst nächste Woche jemanden mitnehmen", erzählt eine der Helferinnen, "meine Wohnung ist so irre dreckig, weil ich nur hier bin. Aber dann habe ich sie mitgenommen. Ich musste noch mal kurz weg und als ich nach Hause kam, war meine ganze Wohnung blitzblank geputzt!"
"Falls du glaubst, dass du zu klein bist, um etwas zu bewirken, dann versuche mal zu schlafen, wenn eine Mücke im Raum ist", sagt der Dalai Lama. In diesem Sinne: Open your hearts! And your houses!
Der Text ist ursprünglich erschienen auf dem Blog luciemarshall.com.