Als Hebamme ist Maja Böhler immer wieder hautnah dabei, wenn Paare und Alleinstehende das Wunder der Geburt erleben und ihr Baby zum ersten Mal in ihren Armen halten dürfen. Einmal fragte sie eine Freundin: "Schmerzen, Schamhaare, Blut und Kacke – was ist denn daran bitte schön?" In diesem Auszug aus ihrem Buch "Die Wehenschreiberin – Geschichten aus dem Kreißsaal" (Goldmann Verlag, ISBN: 978-3-442-15972-7), verrät Maja Böhler, warum sie an Geburten nichts eklig findet und trotz aller Schwierigkeiten und Herausforderungen ihren Beruf als Hebamme so sehr liebt.

"Unwirklich schön – Über das Wunder der Geburt"
Der harte Kern bei unserem Skihüttenausflug ist jedes Jahr gleich, nur manchmal kann wer beruflich nicht, oder an den Rändern unseres Freundeskreises ist Bewegung, und jemand bringt noch wen mit. Neuerdings eben auch den Nachwuchs. Aber seit mehr als zehn Jahren schaffen wir es, an diesem einen Wochenende im März zu siebt, zu acht, zu neunt in die Berge zu fahren. Ich liebe die Geborgenheit meines Freundeskreises, den ewigen Refrain aus schlechten Witzen, Käsespätzle und Wettervorhersagen-Gefachsimpel.
In diesem Jahr kam es zu einem interessanten Gespräch über meinen Beruf. Wir saßen am letzten Abend nach dem Essen in der Stube zusammen – mit von der Frühlingssonne glühenden Pistenbäckchen. Sebastian und Tina hatten gerade ihre kleine Emma ins Bett gebracht, Stefan und Ines saßen über einem Kreuzworträtsel, Michi hatte die Gitarre geholt und spielte zaghaft. Während ich abspülte, quetschten mich Sarah und Bine einmal mehr aus, was denn die lustigsten Babynamen wären, die mir je untergekommen sind.
"Ein bisschen vermiss ich die Arbeit schon", sagte ich irgendwann nachdenklich und ließ einen Tellerturm ins Spülwasser gleiten.
"Boah, das versteh ich nicht!", widersprach Bine energisch.
Aus dem Spaghetti-Bolo-und-Chianti-Koma waren nun alle erwacht. Ich schluckte leicht pikiert. Auf die Diskussion Wunschkaiserschnitt wollte ich mich gerade nicht einlassen, daher antwortete ich: "Ich finde Geburten eben wahnsinnig schön. Nicht alle, aber sehr, sehr viele." Bine konnte es nicht fassen.
Und dann erzählte ich von den Bildern in meinem Kopf. Von diesem Strahlen, das Schwangere umgibt. Von den Rundungen, der lebenssatten Prallheit. Das weibliche Schönheitsideal ist derzeit ja eher knabenhaft und athletisch, diese überbordende Weiblichkeit ist ein ungewöhnlicher Anblick, zumindest bei jungen Frauen. Allein, wie weich und rund das Gesicht ist. Die Wangen. Aber auch die Brust, der Bauch, der Po. Das hat was Freundliches, was Sanftes.
Und dann: das Wunder des Lebens. Wie kann einen das nicht faszinieren? Was für ein filigran-komplexes Zusammenspiel allein die Konzeption ist. Und wie dann aus einem Zellhaufen ein Mensch wird. Ich drehte mich kurz um. "Tina zum Beispiel sagte mir mal, sie habe Emma in ihrem Bauch ganz früh gespürt, schon in der 15. Woche. Ein feines Kitzeln tief in ihr drin, wie ein Schmetterling, den man auf der Hand hält. Wie irre ist das: Du gehst arbeiten, essen, schlafen, und während-dessen produzierst du einen anderen Menschen. In dir. Bist im ständigen Zwiegespräch. Weißt, du bist jetzt schon nicht mehr allein, nie mehr. Und dann die Geburt: wie sich die Frauen bewegen. Manche haben so ein intuitives Gefühl, selbst beim ersten Kind, was sie tun müssen, was ihnen guttut, ich muss oft gar nicht viel sagen, sondern beobachte beeindruckt, wie sie ihr Becken wiegen, sich ganz selbstverständlich durch den Raum bewegen, bewusst atmen, ganz bei sich und dem Moment sind. Woher kommt dieses Wissen, wer hat es vermittelt?"
Wie unglaublich schön du ausgesehen hast, Liebes
"Tinas Stärke, als sie Emma bekam, war krass faszinierend«, sagte Sebastian nun, "da war so viel Kraft, das hat mich umgehauen." Und dann zu ihr gewandt: "Wie unglaublich schön du ausgesehen hast, Liebes. Das werde ich nie vergessen."
Ein kollektives "Aww" ging durch die Stube. Sebastian legte jetzt erst richtig los. "Nein, im Ernst, ihr Frauen seid so faszinierende Wesen. Ich hab genau beobachtet, wie die Hebamme mit Tina interagierte, sie war ja voll im Tunnel, fast weggetreten, aber diese eine Frau drang zu ihr durch, stand ihr – ganz wörtlich – zur Seite. Ich war total abgemeldet!", sagte Sebastian und lachte.
Mit den Händen noch im Spülbecken drehte ich mich zu Bine um.
'So habe ich sie noch nie gesehen' ist einer der häufigsten Sätze, den ich von den Männern oder Begleitpersonen höre. Als würde die Geburt zu einer anderen Bewusstseinsebene führen. Wie oft erlebt man es schon, dass der Körper das Ruder über den Geist übernimmt und einfach 'macht'? Vielleicht betrunken, nachts um 3 Uhr auf der Tanzfläche, aber sonst? Selbstvergessen. Umnebelt von Endorphinen, die den Schmerz irgendwie erträglich machen sollen. Nichts dringt durch. Alle Aufmerksamkeit bündelt sich, von Wehe zu Wehe, von Pause zu Pause.
Wenn das Köpfchen schon zu sehen ist, sage ich manchmal zu den Frauen (wenn ich es als passend empfinde):
Wenn es dann schlüpft, erfasst eine andächtige Stille den Raum. Plötzlich tritt er in die Welt, dieser neue Mensch, komplett vollständig, mit Haaren und Händen und Augen, hilflos einerseits und doch sofort wissend, wie das geht: überleben. Er schnauft und quäkt der Welt sein 'Hallo' entgegen. Na, wie war die Reise? Die Eltern, der Arzt, ich – wir alle stehen Spalier: staunende Gäste dieser Ankunft. Die Nabelschnur pulsiert noch, ein verrückter Anblick, noch ist diese Verbindung nicht Symbol, nicht Metapher, sondern lebender Beweis der unauflösbaren Einheit von Mutter und Kind. Abgefahren ist das, es gibt in meinen Augen kein besseres Wort.
Und dann setzt die Überwältigung ein. Die Begrüßung der Eltern. Von 'Da bist du ja endlich, wir haben uns so auf dich gefreut!' über Jubelschreie und Seufzer der Erleichterung ist alles dabei, und auch die zerknautschtesten Babys hören ein 'Du bist so schön, wie schön du bist!' Tränen. Küsse. Die größten Liebesfilmszenen spielen sich in meiner Arbeit ab – täglich, im Kreißsaal, der Bühne innigsten Glücks.
Im Raum war es still geworden. Ich drehte mich um. Alle sahen mich an. Sebastian und Tina hatten Tränen in den Augen. Bine stand auf und drückte mich. "Das wirst du." Wir wiegten uns kurz und innig.
"Noch jemand, der glaubt, ich hätte keinen tollen Beruf?", sagte ich und drohte mit dem Geschirrtuch. "Nein? Gut, dann lasst uns trinken!"
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