Ob Streifen am Busen oder Falten am Bauch: Jede Mutter kennt sie, die Souvenirs, die eine Schwangerschaft hinterlässt. Und macht trotzdem ein Geheimnis daraus. Die Narben werden unter weiter Kleidung versteckt, Schmerz oder Komplexe verschwiegen.
Dieses Tabu will die Amerikanerin Bonnie Crowder endlich brechen. Auf ihrer Seite Theshapeofamother.com können Frauen Bilder von ihrem veränderten Körper hochladen und ihre Geschichten, Gefühle und Gedanken dazu schreiben. Die Beiträge sind übersichtlich unterteilt in Kategorien, etwa "Bauch", "Kaiserschnitt", "Zwillingsgeburt" oder "vaginale Verletzungen". Kaum ein Phänomen, das hier nicht zu finden ist.
In den USA wurde die Seite, die im Juli ihren siebten Geburtstag feierte, schnell ein Hit. Mehr als 2.600 Frauen haben bislang ihre Geschichten dort veröffentlicht. Im Interview mit BRIGITTE MOM erklärt Bonnie Crowder, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, warum sie nichts Geringeres will, als die Welt verändern.

BRIGITTE MOM: Wie kamen Sie auf die Idee, "The Shape of a Mother" zu starten?
Bonnie Crowder: Eine Freundin schickte mir vor Jahren Bilder von ihren Dehnungsstreifen. Ich selbst haderte damals mit der schlaffen Haut an meinem Bauch nach der Schwangerschaft. Deshalb berührte es mich sehr, die Bilder zu sehen. Ich merkte, wie gut es tut zu sehen, dass man ganz normal ist und nicht allein mit seinem Aussehen kämpft. Diese Erfahrung wollte ich auch anderen Müttern ermöglichen.
Offenbar war Ihr Gefühl richtig - die Seite wurde blitzschnell bekannt.
Ich war total platt von der großen Resonanz. Ich hatte ja nur ein paar Freunde gebeten, den Link weiterzuleiten. Und der verbreitete sich rasend schnell im Netz. Nur einen Monat nach dem Launch berichtete der "Guardian" in London darüber. Ich war auf der einen Seite total begeistert, dass ich den Frauen etwas geben konnte, was sie dringend brauchten. Auf der anderen Seite machte es mich traurig, dass es eben so viele Frauen gibt, die unter ihrem Aussehen und körperlichen Veränderungen leiden. Ich hoffe, dass Körperideale eines Tages keine Rolle mehr spielen, weil wir gelernt haben, uns so zu lieben, wie wir sind.
Wie kommt es denn, dass sich der Frauenkörper nach einer Geburt oft in eine Top-Secret-Zone verwandelt?
Im Grunde ist das Leben einer Frau in unserer westlichen Gesellschaft in drei Phasen unterteilt: die Mädchen-Phase, die Mutter-Phase und die Alte-Schachtel-Phase. (Das gilt übrigens auch für Frauen, die keine Mütter sind). Und wir sind besonders besessen von der ersten Phase, der Jugend. Ich glaube, dass daran immer noch patriarchale Strukturen schuld sind, die die Frauen unter Kontrolle halten sollen. Wenn wir Frauen uns aber dafür entscheiden, so jung wie möglich zu bleiben und alle Folgen des Alters und Mutterschaft verstecken, dann geben wir auch unsere Alte-Schachtel-Weisheit auf. Und ohne diese Weisheit sind wir schwächer und werden es auch immer bleiben.
"Ich selbst bin zwar erst 25 Jahre alt, aber meine Brüste sind nach dem Stillen schon eine Generation weiter. Ich hatte noch nie das beste Gewebe, aber eine wichtige Fähigkeit habe ich nach dem Stillen dazugewonnen: Wenn ich nackt aus der Dusche komme und noch auf dem Weg einiges Herumliegendes aufsammeln möchte, hab ich dafür die Hände frei. Denn mein Stift, der Notizblock und mein Smartphone klemmen unter meinen Brüsten."Von Katharina
"Ich habe vor sechs Monaten entbunden und mein Körper ist eine einzige Katastrophe. Beim Blick in den Spiegel könnten mir regelmäßig die Tränen kommen. In der Schwangerschaft habe ich 25 kg zugenommen und aktuell hängen immer noch 10 überflüssige Kilos wie zäher Kaugummi auf der Hüfte. Der Spagat, als Mutter seinen Pflichten gegenüber dem Ehemann und seinem Kind nachzukommen, ist schon schwierig genug. Wie soll man sich mit tropfenden, hängenden, leer gestillten Brüsten sexy und verführerisch geben?" Von Jana
"Während der Schwangerschaft nahm ich 20 kg zu. Da ich dachte, es wäre das Beste für mich und mein Kind, habe ich gestillt. Allerdings nur 2,5 Monate. Mein Kind war ein Schreikind. In diesen 2,5 Monaten habe ich 30 kg abgenommen. Meine Brüste sahen aus wie zwei ausgelutsche Rosinen, der Bauch hatte mehr Falten, als ein Faltenrock je haben könnte. Der Sommer stand vor der Türe, und ich war tot unglücklich. Es hat fast ein Jahr gedauert, bis meine Brüste nicht mehr aussahen wie zwei unterschiedlich große Rosinen, die der Erdanziehung nicht wiederstehen konnten." Von Sabine
"Nach dem ersten Kaiserschnitt sagte man mir, dass das Gefühl zwischen dem Schnitt und dem Bauchnabel wieder zurückkäme. Das tat es nicht. Nach dem 2. Kaiserschnitt hatte ich dann schon wenig Hoffnung. Ich wollte schon immer mal wissen, ob es allen Frauen so geht, die mit Kaiserschnitt entbunden haben. Und ob es allen erzählt wurde." Von Barbara
"Früher dachte ich immer, Schwangerschaftsstreifen und Co. wären sowas wie der Weltuntergang. Wie ich festgestellt habe, sind sie es nicht. Dennoch wird man immer wieder verunsichert, sei es durch zweifelhafte Vorbilder à la Heidi Klum oder Kommentare von nahestehenden Menschen (Zitat Sohn, während er auf meinen Bauch zeigt "Mama, was ist das Dicke da?") oder wenn einem in der Umkleide der Vortritt angeboten wird, 'mit Ihrem Bäuchlein.'"
Von Anja, 30 Jahre, 2 Kinder
"Meine Brüste kann ich nun nach 2 Schwangerschaften gefühlt bald über die Schultern werfen. Was mich am meisten stört ist eine Fettschürze die eine Handbreit unter dem Bauchnabel beginnt und über dem Haaransatz des Schambereichs aufhört. Aber es ist nicht alles schlecht. Am schönsten finde ich die Schwangerschaftsstreifen am Bauch. Ich weiß, das das für sehr viele unverständlich ist, aber für mich sind sie Andenken an eine wunderschöne Zeit, die ich nicht missen möchte."
Von Julia, 27 Jahre, 2 Kinder
"Nach der Geburt dachte ich, meine Brüste platzen bald, sie wurden so riesig und sahen aus wie Streifenhörnchen, weil die Haut deswegen auch da gerissen ist. Da mein Sohn zu schwach zum Stillen war, hat die Pumpe meine Brüste verunstaltet. Mit 19 Hängebrüste zu haben ist nicht schön, erst recht nicht, wenn man in der Pflege arbeitet und ältere Menschen sieht mit so schönen Brüsten."
Von Christina, 22 Jahre, 1 Kind
"Ich beneide die Mütter, die sich mit allem anfreunden können und fast sogar stolz sind auf die Veränderungen ihres Körpers, weil man ja ein oder mehrere Kinder auf die Welt gebracht hat. Ich hingegen würde mich gern wieder schlank und sexy fühlen... denn nicht nur ich leide darunter. Auch mein Mann. Sex ist bei uns Mangelware. Ja, natürlich auch weil ich abends kaputt und müde bin, aber hauptsächlich, weil ich mich immer noch nicht wohl fühle in meiner Haut."
Von Sandra, 2 Kinder
"Ich sehe aus, als wäre ich wieder schwanger, dabei ist mein Sohn 10,5 Monate alt. Meine Haut und das Bindegewebe scheint nicht das beste zu sein, leider. Ich muss extrem aufpassen, was ich esse, weil sich der Bauch schnell vorwölbt. Aber man bekommt ja von vielen Seiten (vor allem von Schwiegermüttern) zu hören, man hätte zu wenig Rückbildung gemacht. Ich habe einen normalen Rückbildungskurs und einen Intensivkurs (beides Yoga) gemacht. Jetzt beginne ich wieder damit." Von Sabine
"Mit Bauch, Busen, Po habe ich Glück gehabt, die sind inzwischen wieder normal. Mein Problem liegt weiter unten. Auch drei Jahre nach der Geburt meines Sohns habe ich das Gefühl, zwischen den Beinen offen wie ein Scheunentor zu sein. Trotz Rückbildung und Disziplin beim Beckenboden-Training ist die Vagina viel weiter als davor. Die Folge: viel weniger Gefühl beim Sex. Ich habe echt Angst, dass das für immer so bleibt." Von Tanja, 33, 1 Kind
"Meine Brüste machen mich fertig. Ich komme mir vor wie eine Amazone, mit einer Brust. Einer Hängebrust! Vor den Schwangerschaften hatte ich zwei ungefähr gleich große, Brüste, die zwar klein waren, aber dafür hingen sie nicht. Da nur eine meiner Brüste genügend Milchkanäle hat, stille ich einseitig und habe jetzt, nach der Geburt meines zweiten Kindes, EINE riesige Hängebrust in deren Schatten ein kleines Brüstchen halb hängt, halb steht. Manchmal tut der Anblick meines Spiegelbildes richtig weh. Ich fühle mich weder schön noch weiblich. Dann gucke ich mir eins meiner Kinder an, lächel und zieh mir einfach was schönes über. In der Hoffnung, dass der Größenunterschied ein bisschen kaschiert wird."
Von Emilia, 2 Kinder (5 Jahre und 5 Monate)
Auch untereinander reden Frauen selten über die körperlichen Folgen einer Schwangerschaft - oder ist das bei Ihnen anders?
Es ist ein schwieriges Thema. Ich glaube, dass Konkurrenz hier eine Rolle spielt. Neulich hörte ich, wie eine Frau zu einer anderen Frau sagte: "Du bist der Typ Frau, den andere Frauen hassen." Und es war als Kompliment gemeint. Wie pervers ist das denn, bitte? In meinem Fall haben meine Freundinnen mich nun schon lange genug über das Thema reden hören, und inzwischen führen wir sehr gute, liebevolle Gespräche darüber. Ich denke, je mehr Frauen offen und wertschätzend über ihre Körper reden, desto mehr Frauen werden folgen.
Die Seite ist nun seit sieben Jahren online - was hat Sie in dieser Zeit am meisten bewegt?
Die Geschichten der Frauen, die ihre Babys verloren haben. Vor allem der Frauen, deren Körper gar keine Anzeichen einer Schwangerschaft mehr zeigen und die sich aber so verzweifelt irgendeinen physisches Merkmal wünschen, das beweist, dass sie mal ein Baby hatten. Dadurch haben sich viele Dinge für mich relativiert.
Glauben Sie, dass "Shape of a Mother" auch die Haltung der Gesellschaft ein bisschen verändern konnte?
Ja, das glaube ich schon. Ich betrachte es als Protest gegen Standard-Schönheitsideale. Ich habe dieses Bild im Kopf, wie ich auf einer Einkaufsstraße stehe mit meinen Photoshop-freien Bildern von Frauen jeder Größe und jeder Form - und wie mehr und mehr Frauen sich mir anschließen. Und ich bin nicht allein: Die Bewegung wächst auch an anderen Orten. Wichtig ist, dass wir stark bleiben und offen die Vielfalt der Körper zeigen.
Wie fühlen Sie sich denn heute mit Ihrem Körper?
Ich erlebe immer noch Höhen und Tiefen, die vollkommene Selbstliebe habe ich noch nicht erreicht. Immer wenn ich mich unsicher fühle, konzentriere ich mich auf die Dinge, die mein Körper täglich für mich macht. Ich sage mir, dass ich stark und gesund bin, und dass ich zwei Babys zur Welt gebracht habe, die heute wunderbare Menschen sind. Es ist einfach ein Wunder, was der Körper alles tut, um mich am Leben zu halten. Es ist schön - und ich bin es auch.
Erzählen Sie uns Ihre Geschichten!
Eine Mutter vertraute uns neulich an: "Ich habe vor einem Jahr Zwillinge bekommen, meine milchmüden, zerkauten Brüste sehen jetzt aus, als würden sie ein Wettrennen Richtung Bauchnabel machen. Die linke wird wohl gewinnen." Sind Ihre Körperteile ähnlich mobil? Wie fühlen Sie sich in Ihren Körper nach der Geburt? Was ist Ihnen peinlich, womit haben Sie sich arrangiert? Schreiben Sie uns an in den Kommentaren all die Dinge, über die sonst niemand spricht!