Charcot-Marie-Tooth-Krankheit. So heißt das Biest, das von Julianna Snow Besitz ergriff, als sie zwei Jahre alt war. Es ist eine Muskelerkrankung, die nicht heilbar ist. Sie betrifft nach und nach den Körper, erst können Erkrankte Arme und Beine nicht mehr gut bewegen, dann betrifft es auch die Schluck- und Atemmuskulatur.
Für Julianna Snow bedeutete das, dass sie den Großteil ihres Lebens im Krankenhaus verbrachte. Da sich ihre Lungen schnell mit Schleim füllen und entzünden können, mussten sie regelmäßig ausgesaugt und gereinigt werden. Eine extrem schmerzvolle Prozedur - Julianna hasste es.
Ihr Zustand verschlechterte sich von Jahr zu Jahr. Jeder kleine Infekt war eine tödliche Gefahr für Julianna. Bereits mit vier Jahren war sie ununterbrochen an ein Beatmungsgerät angeschlossen, weil ihre Lungen die Arbeit alleine nicht mehr schafften. Außerdem wurde sie künstlich ernährt.
Julianna wurde schwächer und schwächer. Zu schwach, um für die schmerzhaften Behandlungen Beruhigungsmittel zu bekommen. Zu schwach sogar, um dabei zu schreien.
Julianna weinte nur noch.
Die Ärzte stellten die Familie vor die Wahl
Im Herbst letzten Jahres sprachen die Ärzte mit den Eltern. Julianna war inzwischen so schwach, dass der nächste Infekt sie umbringen könnte, erklärte Dr. Sarah Green laut dem TV-Sender CNN, der über Juliannas Geschichte berichtete. Falls die Ärzte sie retten könnten, würde sie womöglich dann nicht mehr viel von ihrer Umgebung mitbekommen.
Die Eltern sollten sich gut überlegen, ob sie das ihrer Tochter noch antun wollten.
Es ist die schlimmste Entscheidung, die man sich als Eltern vorstellen kann. Schöpft man alle Möglichkeiten der Medizin aus, um das Leben des eigenen Kindes zu verlängern? Oder erspart man ihm die Behandlungen und lässt es zu Hause sterben?
Die Mutter Michelle Moon, eine Neurologin und der Vater Steve Snow, Pilot von Beruf, sahen sich nicht in der Lage diese Entscheidung allein zu treffen. Also fragten sie ihre Tochter.
Und Julianna entschied sich gegen die Behandlung. "Ich hasse das Krankenhaus", so ihre Reaktion.
"Ich mag es nicht zu sterben."
Michelle Moon hat das herzzerreißende Gespräch, das sie mit ihrer Tochter führte, in ihrem Blog veröffentlicht:
"Du weißt: Wenn du zuhause bleibst, dann bedeutet das womöglich, dass du in den Himmel kommst, ja?" so die Mutter.
"Ja", antwortete Julianna.
"Und es bedeutet wahrscheinlich, dass du allein in den Himmel kommst, und Mama wird später zu dir kommen."
"Ja, aber ich werde nicht allein sein."
"Das stimmt. Du wirst nicht allein sein.
"Gehen andere Menschen auch früh in den Himmel?"
"Ja, wir wissen nicht, wann wir in den Himmel kommen. Manchmal kommen schon Babys in den Himmel. Manchmal sehr alte Leute. "
"Kommt Alex mit mir in den Himmel?", frage Julianna. Alex ist ihr sechsjähriger Bruder.
"Wahrscheinlich nicht. Manchmal gehen die Menschen zusammen in den Himmel. Aber meistens sind sie allein. Macht dir das Angst?"
"Nein, der Himmel ist gut. Aber ich mag es nicht zu sterben."
Viel Kritik für die Eltern
Schon im letzten Jahr machte Michelle Moon ihre Entscheidung und ihre Gespräche bekannt, um zu verdeutlichen, warum die Familie diesen Weg gegangen ist.
Mehrmals sprachen die Eltern mit Julianna darüber und klärten sie über alle Konsequenzen auf: "Wenn du ins Krankenhaus kommst, könnte es dir helfen, und du könntest wieder nach Hause kommen und mehr Zeit mit uns verbringen. Ich möchte ganz sicher sein, dass du das verstanden hast. Das Krankenhaus könnte dir helfen, mehr Zeit mit Mama und Papa zu haben."
"Das verstehe ich", antwortete Julianna. Woraufhin die Mutter anfing zu weinen.
"Entschuldige, Julianna. Ich weiß, du magst es nicht, wenn ich weine. Aber ich werde dich so sehr vermissen."
"Keine Sorge. Gott wird sich um mich kümmern. Er ist in meinem Herzen."
Der Fall hatte in den USA für viele Diskussionen gesorgt. Es gab Zuspruch für die Eltern, aber auch Kritik. Man könne einem so kleinen Kind nicht vor so eine Wahl stellen. Die Konsequenzen seien für das Kind noch nicht zu begreifen.
Doch Michelle Moon macht jetzt nochmal deutlich, dass sie die Fünfjährige nicht allein mit der Entscheidung gelassen hätten.
"Ich möchte klarstellen, dass es nicht Juliannas Entscheidung und Wahl war. Es ist die Entscheidung von Steve und mir", so Moon gegenüber dem Magazin People. "Aber wir haben uns von Julianna leiten lassen." Sie hätten ihre Wünsche respektiert.
Letzte Woche ist Julianna Snow gestorben. Zuhause.
Im Blog schrieb ihre Mutter:
"Sie kämpfte hart, um hier bei uns sein zu können, härter, als ich irgendeinen anderen Menschen je habe kämpfen sehen, mit einem Körper, der zu schwach und zu zerbrechlich war für diese Welt. Sie war sehr tapfer – und ich hasse es, dass sie so tapfer sein musste. Jetzt ist sie frei. Unsere süße Julianna ist endlich frei."