Deutschland hat ein Problem. Und zwar ein elementares: Ein Absatz des Sozialgesetzes wird nicht mehr eingehalten. Sprechen tut in diesem Zusammenhang keiner darüber – bis man sich die Zeilen einmal genauer anschaut:
"Die Versicherte hat während der Schwangerschaft, bei und nach der Entbindung Anspruch auf ärztliche Betreuung sowie auf Hebammenhilfe einschließlich der Untersuchungen zur Feststellung der Schwangerschaft und zur Schwangerenvorsorge; ein Anspruch auf Hebammenhilfe im Hinblick auf die Wochenbettbetreuung besteht bis zum Ablauf von zwölf Wochen nach der Geburt."
So steht es im Sozialgesetzbuch (SGB)( V), § 24d Ärztliche Betreuung und Hebammenhilfe, geschrieben. Die Tragweite der trockenen Worte bekommt man jedoch erst zu spüren, wenn man aktuell selbst in Deutschland schwanger ist. Dann kämpft man insbesondere in Großstädten mit überfüllten Arztpraxen und Aufnahmestopps. Wer sich privat Hilfe suchen will, stößt ebenfalls an Grenzen: Immer mehr Hebammen geben die Geburtshilfe auf, die verbliebenen Hebammen arbeiten am Limit.
Dabei ist ein Kind zu bekommen der natürlichste Vorgang der Welt. Die Gewährleistung der Versorgung von Mutter und Baby ist jedoch heutzutage nicht mehr selbstverständlich. Deswegen gibt es Mother Hood e.V.. Die Bundeselterninitiative zum Schutz von Mutter und Kind während Schwangerschaft, Geburt und erstem Lebensjahr wurde 2015 als Reaktion auf den Hebammenmangel ins Leben gerufen.
Mitglieder der Initiative kämpfen für das Recht jeder Frau auf eine selbstbestimmte Schwangerschaft und Geburt. Eine von ihnen ist Katharina Desery. Die Presse-Sprecherin und Mitgründerin hat die Folgen des Hebammenmangels am eigenen Leib zu spüren bekommen. Mit BRIGITTE.de spricht sie über Ängste rund um die Schwangerschaft, wieso Frauen sie zulassen sollten und was sich ändern muss, damit jede Frau die Geburt erleben kann, die sie sich wünscht.

5 Fragen an Katharina Desery von Mother Hood e.V.
Liebe Katharina, Sie sind ein Gründungsmitglied von Mother Hood. Wie sind Sie dazu gekommen? Hat Ihre Unterstützung einen persönlichen Hintergrund?
"Ich habe drei Kinder im Alter von 14, 12 und 9 Jahren. Besonders für sie und mit Blick auf spätere Enkelkinder wünsche ich mir, dass sich die Bedingungen in der Geburtshilfe verbessern. Persönlich war ich sehr erschüttert im Jahr 2014 zu erfahren, wie schlecht Schwangere mittlerweile versorgt werden. Dass immer mehr Kreißsäle schließen, immer mehr Hebammen ihren Beruf ganz oder teilweise aufgeben müssen und viele Frauen keine Begleitung während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett haben. Und das passierte alles ziemlich fernab jeder öffentlichen Aufmerksamkeit. Das wollte ich ändern! Daher habe ich im März 2015 gemeinsam mit anderen Eltern den Verein gegründet."
Was ist die Botschaft des Vereins?
"Jede Frau soll die Geburt erleben können, die sie sich wünscht und die sie braucht. Ihre Rechte und die des Kindes während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett müssen gewahrt werden. Deshalb setzen wir uns für eine bessere Geburtshilfe ein."
Was muss passieren, damit sich die aktuelle Situation der Geburtshilfe wieder entspannt?
"Wir brauchen eine familienzentrierte Geburtshilfe. Das bedeutet, die Bedürfnisse von Mutter und Kind müssen ins Zentrum aller Bemühungen rücken. Geht es der Mutter gut, wirkt sich das auch positiv auf das (ungeborene) Kind aus.
Dadurch würde sich insgesamt auch die Arbeitssituation für diesen wichtigen Berufsstand verbessern. Außerdem müssen natürliche Geburten, die ja oft sehr betreuungsintensiv sind und lange dauern können, besser vergütet werden."
Was würden Sie Müttern für eine sichere und stressfreie Geburt raten, die jetzt schwanger sind – und Angst haben?
"Zunächst einmal rate ich Frauen, ihre Angst vor der Geburt zuzulassen. Eine Geburt ist ein überwältigendes, einmaliges Ereignis. Davor Angst zu haben, kann ganz normal sein. Frauen sollten aber über ihre Angst sprechen, zum Beispiel mit ihrer Hebamme, ihrer Gynäkologin und auch mit dem Partner.
Enorm wichtig ist auch, sich über die eigene Gebärfähigkeit im Klaren zu sein und Vertrauen in seinen Körper zu haben. Was vielleicht für manche esoterisch klingt, ist ein entscheidender Punkt:
Schwangere sollten sich über die natürlichen Vorgänge des Körpers bei einer Geburt informieren und darüber im Klaren sein, was sie während der Geburt auf keinen Fall haben möchten. Einen Geburtsplan zu schreiben und in den Kreißsaal mitzunehmen, kann sehr sinnvoll sein. Andererseits sollten sich Schwangere auf unvorhergesehene Ereignisse, z. B. eine sehr lang dauernde Geburt, gedanklich vorbereiten.
Ein weiterer Rat ist, dem Klinikpersonal Vertrauen entgegen zu bringen, am besten schon vorher zur Kreißsaalführung zu gehen, mit Hebammen und medizinischen Geburtshelfer*innen ins Gespräch zu kommen. Bestehende Ängste sollten auch hier zur Sprache kommen. Auch der Partner oder eine weitere Begleitperson sollte selbstverständlich mit einbezogen werden in die eigenen Wünsche. Doch eines sollte jeder Frau klar sein: Sie ist niemals schuld daran, wenn die Geburt doch nicht so läuft, wie sie es sich vorgestellt hat."
Wo findet man als Schwangere Hilfe, wenn man keine Hebamme findet – und sich nach Unterstützung und Austausch sehnt?
"Ganz wichtig: Immer weiter suchen. Freunde und Bekannte fragen. In der Praxis der Gynäkologin nachhören. In manchen Orten gibt es auch Hebammenzentralen, die bei der Suche unterstützen. Und auch in der Geburtsklinik anfragen.
Schwangere sollten auch ihrer Krankenkasse Bescheid geben und die vergebliche Suche auf der Website des Hebammenverbandes eintragen. So wird die Unterversorgung sichtbar!
Mittlerweile gibt es auch Hebammensprechstunden für Frauen, die keine Hebamme gefunden haben. Sie sind ebenfalls eine gute Anlaufstelle. Auch Mütterpflegerinnen können hilfreich sein. Sie entlasten die Familien sehr gut und werden sogar von der Krankenkasse bezahlt."
Vielen Dank für das Gespräch!