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Vorsicht vor "Wundergriffen" bei schreienden Babys

Im Netz kursiert ein Video, das zeigt, wie man mit einer Art "Wundergriff" schreiende Babys beruhigt. Wir haben eine Expertin gefragt, was davon zu halten ist.

Alle Mütter und Väter träumen von der einen sanften Methode, mit der sie ihr weinendes Kind sofort beruhigen können. Vor allem Eltern sogenannter Schreibabys probieren fast alles aus, was es an Beruhigungstipps gibt - von Kügelchen bis zur speziellen Gymnastik. Entsprechend groß ist das Interesse an einem Youtube-Video, das derzeit im Netz kursiert. Darin zeigt der Kinderarzt Robert Hamilton aus dem kalifornischen Santa Monica, wie er mit einem speziellen Handgriff schreiende Babys sofort beruhigen kann.

Er hält die Kinder dafür mit einer Hand unterm Kinn und mit der anderen am Po fest und schaukelt sie sanft hin und her. Und tatsächlich verstummen die Babys im Film sofort.

"Eltern haben die Technik gelernt und haben damit viel Erfolg zuhause. Sie können das auch", verspricht der Infotext des Films. Und das wollen offenbar viele Eltern: Mehr als 11 Millionen Mal wurde der Film bereits aufgerufen.

Doch gibt es ihn wirklich, den einen Griff, der in allen Situationen hilft? Und können Ungeübte anhand eines Youtube-Tutorials nicht auch viel falsch machen?

Die Expertin rät ab

"Ich befürchte, dass Eltern mit diesem 'Wundergriff' - einfach nur so abgeschaut - auch Fehler machen und womöglich Schaden anrichten könnten", sagt die Kleinstkindtherapeutin und Elternberaterin Beate Döbel. Gerade in der empfindlichen Halsregion können falsche Griffe fatal sein, weil das Kind versehentlich gewürgt werden könnte.

Zudem geht eine Info im Film fast unter: Nämlich, dass die Technik nur bei Babys unter 3 Monaten angewandt werden darf. Danach werden sie dafür zu schwer, Fehler beim Halten sind dann noch wahrscheinlicher.

Dass ein Baby mit diesem 'Wundergriff' aufhört zu schreien, sei laut Beate Döbel grundsätzlich nachvollziehbar: "Es wird über verschiedene Sinneskanäle gleichzeitig von seiner Befindlichkeit abgelenkt. Vor allem die Stimulation des Gleichgewichts und der Tiefenwahrnehmung haben offensichtlich eine starke Wirkung", so Döbel.

Sie sagt aber auch, dass Eltern solche Supergriffe normalerweise gar nicht nötig hätten. "Die meisten Eltern haben die Kompetenz, ihr Kind intuitiv richtig auf den Arm zu nehmen und zu beruhigen." Falls es dennoch immer häufiger nicht gelinge, sollten sie fachliche Unterstützung suchen, statt sich an Video-Tutorials zu orientieren.

Es geht darum, die Gründe fürs Schreien zu finden

Beate Döbel findet solche "Wunderaktionen" auch deshalb fragwürdig, weil sie am Problem vorbeigingen. "Wenn ein Baby schreit, geht es in erster Linie nicht darum, das Schreien abzustellen, sondern zu verstehen, warum es schreit, welches Bedürfnis dahinter steckt, das erstmal gestillt werden muss."

Womöglich habe das Baby auch ein Geburtstrauma, das nicht gut verarbeitet sei oder anderweitigen Stress, den es durch sein Schreien loswerden müsse. "Hier ist es viel wichtiger, den Eltern zu vermitteln, dass das kindliche Schreien eine wichtige, selbstheilende Wirkung haben kann und ihnen zu helfen, herauszufinden, wie sie ihrem weinenden Baby einen ruhigen, tröstenden Rahmen geben können, damit es sich nachhaltig beruhigen und entspannen kann", sagt die Expertin, die in ihrer Praxis in Walsrode auch eine Schreibaby-Sprechstunde anbietet.

Eine Lösung für alle gibt es nicht

Also, liebe Eltern: Vertraut lieber auf euren Instinkt und Experten in eurem Umfeld, statt auf Internet-Videos.

Im Grunde ähnelt der Griff von Dr. Hamilton ja auch ähnlichen Methoden, die von Hebammen zur Beruhigung von Babys empfohlen werden. Der sogenannte "Fliegergriff" etwa sorgt auch für eine entspannte Haltung des Kindes und soll zudem gegen Bauchweh helfen. Auch hier kann man das Kind sanft schaukeln. Andere Eltern schwören darauf, mit dem Baby im Arm auf einem Gymnastikball zu sitzen und sanft zu hopsen. Viele Kinder beruhigt es auch, wenn man sie fest in Tücher einwickelt, das sogenannte Pucken. Am Ende gilt aber auch hier: Jedes Kind tickt anders - und keiner sollte verzweifeln, weil eine viel gepriesene Methode beim eigenen Baby nicht funktioniert.

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