Vor mir stehen zehn Autos, dicht ineinander verkeilt. Ich scanne den Parkplatz nach Fluchtmöglichkeiten. Keine Chance, der einzige Weg führt übers Blech. Vorsichtig klettere ich auf die Motorhaube eines rostigen Peugeots. Viel Zeit bleibt mir nicht, hinter mir kommen schon die anderen Teilnehmer des "Urbanian Runs" in Berlin, die das Hindernis auch überwinden wollen. Also springe ich in großen Sätzen von einem Auto zum nächsten. Frei fühlt sich das an - und irgendwie verboten. Denn wann kann man schon mal wie bei einer filmreifen Verfolgungsjagd über Kühlerhauben rennen?
sind wie Abenteuerspielplätze für Erwachsene. Man probiert Sachen aus, die man aus der Kindheit vom Klettergerüst kennt, jetzt aber nicht mehr macht, weil man zu alt dafür ist: durch enge Rohre robben, Mauern und Reifenberge überwinden, Labyrinthe durchqueren und sechs Meter an einem Gerüst durch die Luft hangeln. In den USA sind Hindernisläufe bereits ein Riesen-Trend, jetzt schwappt er auch nach Deutschland. "Die Teilnehmerzahlen sind in den USA innerhalb von drei Jahren von 50 000 auf 3,4 Millionen jährlich gestiegen", sagt Florian Riepe vom Sportveranstalter Ufasports, der den "Urbanian Run" 2014 erstmals in fünf deutschen Städten organisiert. "Der Erlebnisfaktor ist größer als bei normalen Laufwettbewerben, außerdem sind neben Ausdauer auch Kraft und Geschicklichkeit gefragt."
Ursprünglich wurden Hindernisläufe von Militärs entwickelt, bei Rennen wie "Tough Mudder" oder "Krassfit" muss man durch Schlamm robben und Eiswasser tauchen - eher ein Vergnügen für Hartgesottene. Die neuen Rennen sprechen eine breitere Masse an: Läuferinnen und Läufer, denen zehn Kilometer auf Asphalt stupide geradeaus zu langweilig sind und die ihre Grenzen testen wollen, ohne dafür allzu viel trainieren zu müssen - Menschen wie mich. "Im Vordergrund steht hier der Spaß", so Riepe. "Alle 15 Hindernisse sind gut zu schaffen. Und wenn nicht, kann man sich notfalls auch gegenseitig helfen." Sein Tipp zur Vorbereitung: in die Joggingrunde regelmäßig Tempowechsel, Liegestütze auf der Parkbank und Klimmzüge am Baum einbauen.
Ich halte mich an seinen Rat und stehe vier Wochen später mit meiner Startnummer am Shirt am Berliner Olympiapark. Gemeinsam mit 800 anderen laufe ich los auf die zehn Kilometer lange Rennstrecke, die rund ums Olympiagelände führt. Viele Frauen sind dabei, fitte und gemütlich laufende, mittelalte und junge, einige in Teams, um sich gegenseitig helfen zu können.
Erste Probleme bekomme ich an Hindernis 3. Mit einem Paket muss man ein steiles Netz hochklettern. Nur: Wie befördert man es am besten? Ich klemme es unter mein Kinn, aber es rutscht sofort wieder weg. Auch unterm Arm hält es nicht besser. Ein Mitläufer gibt mir den entscheidenden Tipp: das Paket in eine Hand nehmen, sich damit auf dem Netz abstützen und hochkrabbeln. Funktioniert! Auch das Eisengerüst 1000 Meter weiter, an dem man sich sechs Meter von Stange zu Stange hangelt und vor dem ich einen Riesenrespekt hatte, schaffe ich ohne Probleme (die Schwielen an den Händen schmerzen erst abends).
Beim Hindernislauf kann ich meine Abenteuerlust ausleben, ohne für verrückt erklärt zu werden.
Gefühlte 500 Treppenstufen, sieben Hindernisse und fünf Kilometer später stehe ich schließlich vor meinem größten Albtraum: der drei Meter hohen Halfpipe. Möglichst schnell mit langen Schritten hochrennen und das Seil greifen, hatte ich vorher im Internet gelesen. Ich nehme Anlauf, schaffe es aber trotzdem nur bis auf zwei Meter Höhe - und baumele dort wie ein Sack an dem gespannten Seil festgeklammert in der Luft. Über die Kante hochziehen? Keine Chance, ich rutsche immer wieder ab. Und überlege fieberhaft: Soll ich runterspringen und es noch mal versuchen? Oder schummeln und außen herum laufen? Da naht Rettung in Gestalt eines Mannes, der bereits oben auf der Halfpipe steht und mich hochzieht.
Die letzten beiden Kilometer sind dann ein Klacks. Ein paar Hürden und ein Sandanstieg sind noch zu überwinden, dann geht's ins Ziel. 56 Minuten habe ich gebraucht - und fühle mich großartig, euphorisch und vollgepumpt mit Adrenalin. Mein Fazit: Hindernisläufe sind eine prima Auszeit vom Alltagstrott, eine Legitimation, die eigene Abenteuerlust auszuleben, ohne für verrückt erklärt zu werden.
"Der Spieltrieb trägt dazu bei, Menschen vor der Erstarrung zu bewahren", hat der Spieltheoretiker Walter Twellmann mal gesagt. Stimmt: Ich bin voller Leben und stolz, an meine Grenzen gegangen zu sein - und noch ein bisschen weiter. Nur dass ich die Halfpipe nicht geschafft habe, ärgert mich. Vielleicht im nächsten Jahr, mit etwas Training.