Eulen und Lerchen kennt vermutlich inzwischen jede*r, die beiden Chronotypen, die unsere innere Uhr stellen. Lerchen sind morgens um acht schon längst geistig und körperlich auf Hochtouren. Eulen sind dann noch in ihrer biologischen Nacht und haben ihre Leistungsspitze erst nachmittags oder abends.
Welcher Typ wir sind – übrigens liegt mehr als die Hälfte irgendwo in der Mitte –, hängt dabei nicht unbedingt von unseren Gewohnheiten ab, sondern ist angeboren und lässt sich damit auch nur wenig beeinflussen. Und natürlich ist unser Biorhythmus insgesamt weit mehr als unsere Vorliebe fürs Früh- bzw. Spätaufstehen. Ausgeliefert sind wir ihm dennoch nicht, denn wenn wir Unternehmungen, Aufgaben oder auch ärztliche Behandlungen richtig timen, machen wir uns das Leben leichter (und schmerzfreier). So lernst du, die Körper-Uhr zu lesen:
Die Basis: Der 24-Stunden-Takt
Tatsächlich besitzt jede Zelle Gene, die durch den Tag-Nacht-Rhythmus gesteuert werden. Dieser, auch circadiane Rhythmus genannt, ist aber nicht für alle Menschen gleich. Einige Menschen können einen Takt von 26 Stunden haben, andere von nur 19. Durchschnittlich sind wir von der Natur auf 25 Stunden ausgelegt. Das weiß man seit den 1960er-Jahren, als man Freiwillige längere Zeit in einen Bunker sperrte. Auch ohne Tageslicht folgte ihr Körper dort einem festen Takt, allerdings lief dieser eben etwas langsamer als der der Umwelt.
Damit unsere innere Uhr mit dem 24-Stunden-Wechsel von Tag und Nacht Schritt hält, braucht sie also immer wieder einen Abgleich. Für diesen sorgen Zellen in der Netzhaut, die Informationen über die Helligkeit an unseren zentralen Schrittmacher, ein kleines Hirnareal hinter dem Nasenrücken, weiterleiten. Dieses steuert dann die Bildung des Dunkelhormons Melatonin und damit die Rhythmen von Schlafen und Wachen, aber eben auch von Stoffwechsel, Hormonhaushalt, Körpertemperatur, Pulsfrequenz und vielen anderen Körperfunktionen. Neben dem Tagesrhythmus gibt es noch längere biologische Regelkreise. Den weiblichen Menstruationszyklus mit seinem Monatstakt natürlich; unser Körper folgt aber auch einem Jahresrhythmus.
Viele unserer Gene sind nicht das ganze Jahr über aktiv, sondern nur zu bestimmten Jahreszeiten. Besonders solche, die bei der Funktion von Immunsystem und Fettstoffwechsel mitspielen. Offenbar regelt der Körper zum Beispiel sein Abwehrpotenzial pünktlich zur Infektsaison in Herbst und Winter herauf.
Auch der Testosteronspiegel eines Mannes schwankt übers Jahr: Am niedrigsten ist er zu Beginn des Frühjahrs, am höchsten im August. Vermutlich war es für unsere Vorfahren wie heute noch für viele Tierarten sinnvoll, sich eher zu bestimmten Jahreszeiten fortzupflanzen.
Leben im Dauer-Jetlag
Wenn wir im Takt unserer inneren Uhr leben, arbeitet unser Körper am reibungslosesten. Aber wer kann das heute schon? Der frühe Beginn von Arbeit oder Schule ist vor allem für ausgeprägte Lerchen gemacht und zwingt damit mehr als die Hälfte von uns täglich aus ihrem natürlichen Rhythmus.
Zudem arbeiten immer mehr Menschen im Schichtdienst, 2018 waren es gut 15 Prozent, der Tag und Nacht oft komplett zuwiderläuft. Damit sich der Körper überhaupt innerhalb seiner Grenzen daran anpassen kann, sollten Schichten zumindest nicht zu häufig wechseln. Und biologische Spätaufsteher*innen können sich morgens mit einer großen Dosis Licht den Start in den Tag erleichtern – und wenigstens am Wochenende ausschlafen und ihrem natürlichen Takt folgen. Denn leider ist es so: Menschen, die regelmäßig ihren Biorhythmus stören, sind anfälliger für zahlreiche Erkrankungen wie Diabetes, Übergewicht und Depressionen.
Stress verstellt die Zeiger
Unser Körper liebt die Regelmäßigkeit. Jedes Mal, wenn etwas unseren wiederkehrenden Alltag stört, springt das Stress-System an, was wiederum unseren Körperrhythmus beeinflusst. Um morgens in den Tag zu starten, schüttet der Körper Kortisol aus, ein Hormon, das an vielen Stoffwechselvorgängen beteiligt ist. Es hat Einfluss auf den Blutzucker, den Fettstoffwechsel und wirkt entzündungshemmend. Aber wenn wir permanent Stress haben, wird dieses Hormon übermäßig ausgeschüttet. Es verstellt dann sozusagen bestimmte Gene, die auch an unserer inneren Uhr beteiligt sind, und unser Körper weiß buchstäblich nicht mehr, wie spät es ist. Das kann zu Leistungsschwäche und Schlafstörungen führen, die dann wiederum unseren Stoffwechsel durcheinanderbringen und das Immunsystem schwächen.
Morgens zur Impfung, nachmittags zur Zahnärztin
Viele Krankheiten und ihre Auswirkungen hängen mit der Tageszeit zusammen. Ein Herzinfarkt oder Schlaganfall ist in den Morgenstunden gefährlicher. Dann arbeitet unser Immunsystem verstärkt und setzt bestimmte Stoffe frei, die für eine übermäßige Entzündungsreaktion sorgen. Das verschlechtert auch die Heilungschancen, da sich mehr Narben im Gewebe bilden und sich der Herzmuskel ausdehnt, was das Herz schwächt.
Der Rhythmus unseres Immunsystems lässt sich aber auch im positiven Sinne nutzen. So konnte eine Studie an britischen Senioren feststellen, dass die Antikörper-Produktion deutlich höher ist, wenn morgens zwischen neun und elf gegen Grippe geimpft wird als in den Nachmittagsstunden. Und wer Medikamente entsprechend dem Körperrhythmus nimmt, kann ihre Wirkung oftmals verbessern oder zumindest Nebenwirkungen verringern.
Auch bei der Wundheilung spielt das Timing eine Rolle. Verletzungen wie Verbrennungen oder Schnitte, die tagsüber entstanden sind, verheilen im Schnitt elf Tage früher als solche, die nachts passiert sind. Die für die Heilung zuständigen Zellen wandern tagsüber schneller zur Verletzung, als wenn der Körper in der Nacht runterfährt.
Asthmaanfälle treten ebenfalls eher nachts auf. Das gilt nicht nur für Hausstauballergiker*innen, die dann den Milben im Kopfkissen besonders nah sind. Nachts ist nämlich die Entzündungsbereitschaft im Körper gesteigert und die Atemwege sind weniger geweitet, weswegen asthmatische Beschwerden stärker wahrgenommen werden.
Selbst Tumore leben nach der Uhr. Obwohl Krebszellen ein chaotisches und ungehemmtes Wachstum nachgesagt wird, hat man auch bei ihnen geregelte Muster entdeckt. Für viele Krebspatientinnen und -patienten beginnen Schmerzen erst in der Mittagszeit. Vor dem Schlafengehen erreichen die Qualen dann ihren Höhepunkt und lassen über Nacht nach.
Generell ist das Schmerzempfinden zeitabhängig. Nachmittags nehmen wir Schmerzen nur ein Drittel so intensiv wahr wie morgens. Es kann sich also lohnen, den Zahnarzttermin eher auf die zweite Tageshälfte zu legen. Laut einer Studie ideal: 14 Uhr.
Medikamente nach der Uhr nehmen*
Asthma-Medikamente:
Am besten abends nehmen, um nachts Atemnot zu verhindern.
Kortison-Präparate:
Sollten morgens genommen werden, parallel zum körpereigenen Hormon-Hoch, um weniger Nebenwirkungen zu haben.
Blutdrucksenker:
Überwiegend morgens einzunehmen, gegen Abend sinken Puls und Blutdruck eh. Der Blutdruck kann aber auch nachts ansteigen. Ärztin oder Arzt sollte deshalb eine 24-Stunden-Blutdruckmessung durchführen.
Rheuma-Medikamente:
Werden meist abends eingenommen, um der morgendlichen Gelenksteifigkeit entgegenzuwirken.
Arthrose-Medikamente:
Eher morgens einzunehmen, da sich Schmerzen über den Tag verstärken.
*Natürlich ist die genaue Einnahme immer individuell mit Ärztin/Arzt abzusprechen.
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