Am Anfang ist da dieser winzig kleine Schatten. Ein dunkler Fleck an der rechten Brustwarze. Minutenlang hat Karen O'Donoghue diesen Fleck ungläubig angestarrt. "Das muss überprüft werden", hatte ihre Frauenärztin nüchtern kommentiert. Sie schickt Karen O'Donoghue in ein medizinisches Versorgungszentrum, wo ihr mit einer dünnen Nadel in die Brust geschossen wird. Es knallt, als ob jemand eine Pistole abfeuern würde. Entnommen wird eine stecknadelgroße Gewebeprobe. Pathologen erkennen ein Karzinom, 18 Millimeter, etwa so groß wie ein Daumennagel. Noch klein, aber die Diagnose ist eindeutig: Brustkrebs.
Als die niedergelassene Ärztin ihr anbietet, dieses Karzinom selbst herauszuoperieren, fühlt Karen O'Donoghue sich völlig überrumpelt. Hier, in dieser altmodisch anmutenden Praxis? Sie war die letzten Jahre hierhergekommen, weil sie in der Nähe ihrer Wohnung lag. Aber hier kann doch nicht ein so wichtiger chirurgischer Eingriff vorgenommen werden, denkt Karen O'Donoghue.
Sie ist zu dem Zeitpunkt 46 Jahre alt, eine elegante Irin mit kräftigem braunem Haar und sorgsam gezogenem Lidstrich. Wenn sie in den Spiegel schaut, sieht sie eine völlig gesunde Frau. Eine, die das Abo für das Fitnessstudio nutzt, die im Sommer regelmäßig Rad und im Winter Ski fährt. Diese Nachricht passt so gar nicht in das Leben, das Karen O'Donoghue sich in den letzten Jahren aufgebaut hat. Sie ist als Übersetzerin von Fachliteratur gut gebucht. Sie genießt das urbane Leben in München, sie ist Single. Draußen riecht alles nach Neubeginn - der Frühling hat gerade begonnen. Ihr erster Gedanke: Du stirbst jetzt. Doch sie weiß: Jammern hilft nicht, sie muss klare Gedanken fassen, Entscheidungen fällen. Du bist eine kluge Frau, du wirst eine Lösung finden, sagt sie sich.
Karen O'Donoghue weiß fast nichts über Therapien bei Brustkrebs
Dabei liest sie als Übersetzerin gern und viel, ist interessiert, in ihrem Freundeskreis gibt es viele Ärzte. Im Nachhinein denkt sie, dass sie es wohl verdrängt hat. Sowohl bei ihrer Mutter als auch bei ihrer Cousine wurde Brustkrebs diagnostiziert. Bei ihrer Mutter, die relativ späterkrankte, redete sie sich ein, dass es an der Hormonersatztherapie während der Wechseljahre gelegen hatte. Bei der Cousine, bei der der Krebs sogar in die Lymphbahnen metastasierte, dachte sie an einen schlimmen Zufall.
Doch jetzt geht es um sie selbst. Karen O'Donoghue recherchiert im Internet, studiert Bücher der Deutschen Krebshilfe. Sie führt viele Telefonate - in ihrem Freundeskreis gibt es einige Radiologen, auch eine Kollegin, die bei einem Pharmakonzern arbeitet. Ihr werden einige sogenannte Brustzentren empfohlen, Karen O'Donoghue macht gleich mehrere Termine. "Ich brauche ein zweites Paar Ohren", sagt sie zu ihrem Ex-Freund und bittet ihn, sie zu begleiten. In Gesprächen mit Ärzten fragt er für sie mit, notiert Fakten, später sitzen die beiden im Café und besprechen, was unklar geblieben ist und wie sie weiter vorgehen wollen. Wenn Karen O'Donoghue heute Betroffenen einen Rat geben will, dann ist es dieser: "Hol dir jemanden ins Boot, der mit dir diese Termine macht, denn in dieser Situation lässt sich manchmal kein klarer Gedanke fassen."
Bis auf einen Kurzurlaub bei der Familie in Irland macht Karen O'Donoghue weiter wie bisher. Die Arbeit gibt ihr die Struktur, die sie jetzt braucht. Sie will dieser Erkrankung, trotz des anfänglichen Schocks, nicht zu viel Bedeutung beimessen. Das ist etwas, was du jetzt hinter dich bringen musst, denkt sie.
"Was Sie haben, ist eine heilbare Krankheit"
Ihr dritter Arzttermin führt sie zu Nadia Harbeck, Leiterin des Brustzentrums und der onkologischen Tagesklinik an der Frauenklinik der Universität München. Ihre Praxis ist in einem Altbau mit hohen Decken und weißen Flügeltüren untergebracht. In langen Fluren hängen Artikel zu neuen Erkenntnissen in der Brustkrebsforschung. Herzlich und akademisch ist die Atmosphäre. Karen O'Donoghue fühlt sich auf Anhieb gut aufgehoben.
Gynäkologin Nadia Harbeck ist eine resolute Bayerin mit Wuschelkopf, eine, der die Empathie im medizinischen Alltag nicht verloren gegangen ist. Weit über 1000 Brustkrebspatientinnen hat sie bereits behandelt, sie weiß, dass die Chancen auf Heilung sich in den vergangenen Jahren enorm verbessert haben, dass sie inzwischen bei über 80 Prozent liegen. Sie kann Karen O'Donoghue auf der Basis der bisherigen Daten beruhigen. "Was Sie haben, ist eine heilbare Krankheit", sagt sie. Der Tumor wurde früh erkannt, er sei noch sehr klein. Die neuen Therapien seien schonender geworden, es müsse nicht sein, dass sie ihre Brust verlieren würde. Eventuell könne sie sich sogar die Chemotherapie sparen. Neue Tests, sogenannte Multigentests oder Gensignaturtests, könnten Aufschluss geben. Ärztin Nadia Harbeck empfiehlt Karen O'Donoghue, solch einen Test machen zu lassen.
Seit mehreren Jahren leitet Professorin Harbeck Studien mit Brustkrebspatientinnen. Derzeit läuft die sogenannte ADAPT-Studie der Westdeutschen Studiengruppe (WSG), die an mehreren Uni-Kliniken und über 80 Zentren in Deutschland durchgeführt wird - insgesamt rund 5000 Patientinnen werden daran teilnehmen. Bei den betroffenen Frauen wird unter anderem der "Oncotype DX"-Test gemacht. Dazu wird ein Teil der Gewebeprobe in ein Speziallabor geschickt, wo die Aktivität von 21 Genen im Tumor ausgelesen wird. Das Ergebnis sagt unter anderem aus, wie schnell, wie aggressiv und wovon abhängig der Tumor wächst. Karen O'Donoghue entscheidet sich, den Test machen zu lassen. Anhand des Ergebnisses kann Professor Harbeck besser einschätzen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass der Tumor nach der Operation zurückkehren könnte. Und davon hängt ab, ob Karen O'Donoghue von einer Chemotherapie profitieren würde oder ob die Nebenwirkungen den zu erwartenden Nutzen voraussichtlich übersteigen. Eine Studie aus dem vergangenen Jahr mit Patientinnen ohne befallene Lymphknoten zeigte: Unter den Frauen, bei denen der Test ein geringes Rezidivrisiko ergab, bekamen innerhalb von zehn Jahren nur fünf Prozent einen Rückfall. Von denjenigen Frauen, denen eine mittlere oder hohe Wahrscheinlichkeit bescheinigt worden war, erkrankten mit 17 Prozent viel mehr Frauen erneut.
Was der Test ganz deutlich macht: Brustkrebs ist nicht gleich Brustkrebs
"Man kann sich das so vorstellen, dass auf den Krebszellen Antennen sitzen", so Harbeck. Diese Antennen locken Hormone oder andere körpereigene Stoffe an, damit die Tumorzellen sich unkontrolliert vermehren können. Nicht jeder Brustkrebs hat alle Antennen, dadurch unterscheiden sich die einzelnen Tumoren voneinander. "Weil Ärzte anhand dieser Tests voraussehen können, wie sich ein bösartiger Tumor verhält, erzielen wir bei der Therapie von Brustkrebs immer bessere Fortschritte", erläutert Nadia Harbeck. "Und die Behandlung wird immer individueller."
Bis vor wenigen Jahren hieß die Standardtherapie: Operation, Bestrahlung, Chemo und/oder Hormone. Betroffene Frauen hatten keine andere Möglichkeit. Haarausfall, Übelkeit, Erschöpfung, all das hatte Karen O'Donoghue bei ihrer Cousine erlebt. "Es klingt eitel, aber ich hatte Angst, dass ich meine Haare verliere und dass ich dick werde", sagt sie. Eine Glatze würde sie brandmarken, dachte Karen O'Donoghue. Jeder würde erkennen, dass sie Krebs habe. Sie wollte keine mitleidigen Blicke, die Krankheit sollte nicht zum Stigma werden.
Weil sie familiär vorbelastet ist, lässt Karen O'Donoghue einen weiteren Gentest machen: den BRCA-Test, der Mutationen der Gene BRCA1 und BRCA2 untersucht. Trägerinnen der BRCAGenveränderungen haben ein erhöhtes Risiko, im Laufe des Lebens an besonders aggressivem Brust- oder Eierstockkrebs zu erkranken. Bekannt wurde dieser Test, als Schauspielerin Angelina Jolie öffentlich machte, dass sie positiv getestet wurde und sich deshalb vorsorglich die Brüste abnehmen ließ. Dieser Test erfordert Mut. Doch Karen O'Donoghue möchte jetzt Klarheit.
Aufgrund der vorliegenden Laborergebnisse nach der Probenentnahme weiß sie bereits, dass ihr Tumor hormonempfindlich ist, wie mehr als zwei Drittel aller Brusttumoren. Er wächst unter dem Einfluss von weiblichen Hormonen, Gestagen und vor allem Östrogen. Für Patientinnen ist das - wenn sich das überhaupt sagen lässt - eine gute Nachricht, denn hier gibt es eine Therapie, die sehr erfolgreich anschlägt. Werden die Andockstellen für die weiblichen Hormone blockiert, wächst der Tumor nicht mehr oder nur noch ganz langsam. Genau das geschieht bei der Antihormontherapie. Tamoxifen nennt sich das Mittel, das auch Karen O'Donoghue schon vor der Operation verschrieben wird, es unterbindet die Wirkung von Östrogen auf den Tumor.
Drei Wochen muss Karen O'Donoghue auf die Entfernung des Tumors warten
Der Eingriff verläuft gut. Nadia Harbeck erkennt, dass das Medikament angeschlagen hat, dass der Krebs aufgehört hat zu wachsen. Wenige Tage nach dem Eingriff sitzt Karen O’Donoghue bei Nadia Harbeck in der Sprechstunde. Die Ergebnisse des "Oncotype DX"-Tests sind da, und es gibt eine Supernachricht: Der Tumor ist nicht aggressiv, das Rückfallrisiko sehr gering. Eine Chemo ist nicht nötig. Karen kann ihre Haare behalten. Das Tamoxifen wird sie begleiten, ansonsten hat sie die Behandlung überstanden.
Diese Gentests sind möglich
- Genexpressionstest: In Deutschland gibt es eine Handvoll Anbieter, deren Genexpressionstests den medizinischen Leitlinien entsprechen. Sie werden an zertifizierten Zentren und Unikliniken angeboten. Diese Tests firmieren unter Namen wie Endopredict, Mammaprint, Prosigna und Oncotype DX. In den USA und in Großbritannien zählen einige dieser Tests schon seit einigen Jahren zur Standardtherapie. Hierzulande wollen Krankenkassen - zum Unverständnis vieler Ärzte und Patientinnen - noch neue Studien abwarten, die den Nutzen für Patientinnen erneut belegen. Die Kosten für die Genexpressionstests liegen zwischen 2000 und 3000 Euro. Häufig werden die Kosten von Krankenkassen auf Antrag erstattet. Sollte das nicht der Fall sein, gibt es an Universitätskliniken unter Umständen die Möglichkeit, den Test im Rahmen wissenschaftlicher Studien finanzieren zu lassen.
- BRCA-Test: Dieser Bluttest untersucht genetische Veränderungen oder Mutationen der Gene BRCA1 und BRCA2. Trägerinnen einer BRCA-Genveränderung haben ein erhöhtes Risiko, im Laufe ihres Lebens an Brust- und Eierstockkrebs zu erkranken. Da die Gentests immer genauer werden, lässt sich das Risiko immer besser bestimmen. In zertifizierten Brustzentren gibt es eine genetische Sprechstunde, in der abgeklärt wird, ob ein solcher Test aufgrund familiärer Vorbelastung sinnvoll ist. Ist das der Fall, übernehmen viele Krankenkassen die Kosten. Der durch diese Genveränderung bedingte Brustkrebs tritt aber sehr selten auf, bei etwa fünf bis zehn von 100 Frauen mit Mammakarzinom.
- Mehr Infos: Bei der Deutschen Krebsgesellschaft: www.krebsgesellschaft.de