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Hirnchemie Was hat Schlaf eigentlich mit Stress zu tun?

Hirnchemie: Frau schläft in Bett
© Yuliia / Adobe Stock
Was die Hirnchemie mit unserer Stressresistenz zu tun hat und wie wir sie für uns nutzen können, erklärt Friederike Fabritius.

Sie sind Neurowissenschaftlerin und erforschen, wie unser Gehirn effizienter arbeiten kann. Ihre spannendste Erkenntnis? 

Friederike Fabritius: Dass der permanente Informationsstrom, der uns via PC und Smartphone täglich überflutet, buchstäblich unser Gehirn schrumpfen lassen kann. Dauerinformation und Multitasking schaden unserer Hirnleistung nachhaltig. 

Was bedeutet "schrumpfen" genau?

Durch ständige Medienberieselung kann das Gehirn in manchen Arealen messbar an Volumen verlieren, vor allem im Frontalhirn, wo sich die Bereiche für vernünftiges Handeln befinden. Langfristig steigt so unter anderem das Demenzrisiko. 

Klingt ja gruselig – vor allem, da jeder Deutsche durchschnittlich über zwei Tage pro Woche online ist …

Deshalb sollten wir uns häufiger digitale Auszeiten nehmen und uns angewöhnen, in Ruhe eine Sache nach der anderen zu erledigen. Sonst versetzten wir unser Gehirn in einen permanenten Alarmzustand. Es wird mit Cortisol, einem Stresshormon, geflutet. Das verursacht eine erhöhte Aktivität in der Amygdala, dem Hirnzentrum für negative Emotionen und Angst. Dann gerät man leicht in eine Negativspirale, wird sensibler für Stressoren, reagiert schneller als früher gereizt, angegriffen, empfindlich oder ängstlich. 

Manche Menschen scheinen Belastungen besser wegzustecken als andere, oder?

Forschungen zeigen, dass jeder Mensch über eine individuelle, genetisch festgelegte Struktur der Hirnchemie verfügt: die Neurosignatur. Manche haben eine sehr hohe Reizschwelle, brauchen viel Action und fühlen sich im Alltag eher gelangweilt. Das sind die, die in der Freizeit Fallschirmspringen gehen oder hohe Berge besteigen. Bei anderen genügt eine minimale Veränderung in der Tagesroutine und sie fühlen sich hochgradig gestresst. Wer die eigene Neurosignatur kennt und verstanden hat, was ihm die Natur da mitgegeben hat, kann leichter das passende Level finden, auf dem er sich angeregt, aber nicht überfordert fühlt. 

Gehen zwei Menschen joggen und der eine empfindet Freude dabei, während der andere es hasst, sind auch die gesundheitlichen Effekte unterschiedlich. Beim Jogging-Fan steigt die Produktion des Belohnungshormons Dopamin, beim Laufmuffel werden stattdessen die Stresshormone Adrenalin und Cortisol aktiviert. Die falsche Sportart wirkt also kontraproduktiv. Ich selbst habe mich jahrelang zum Yoga gezwungen, obwohl es mir nicht liegt. Heute mache ich Krafttraining und bin absolut happy damit. 

Wir sollten uns also nicht von Trends beeinflussen lassen, sondern mehr auf die eigenen Bedürfnisse hören?

Definitiv. Die Leute sind ja teilweise besessen vom Thema Selbstoptimierung. Dabei vernachlässigen sie häufig ihre eigentliche Konstitution. Angenommen, ich bin ein kontrollierter, introvertierter Charakter mit einem stressigen Job, der schwer planbar ist und häufige Präsentationen erfordert. Dann kann ich entweder versuchen, meine knappe freie Zeit mit Atem- und Entspannungsübungen zu füllen, um mein ständig zu hohes Stresslevel wenigstens kurzfristig runterzufahren. Oder, der effektivere Weg: Ich plane mein Leben so, dass es meiner Natur mehr entspricht. Suche mir einen Job, der mich nicht völlig auslaugt, in dem ich eine angenehme Routine finde. Dann muss ich gar nicht permanent optimieren. Es ist erschöpfend, gegen die eigenen Schwächen anzuarbeiten. Besser, man nutzt die Stärken.

Sie sagen, Sport sei das beste Doping für unser Gehirn. Warum?

Es gibt nichts Besseres, was man fürs Gehirn machen kann, als Sport. Er wirkt motivierend, steigert die Laune und die Konzentrationsleistung, macht uns lernfähiger und schlauer. Sport stärkt nicht nur den Körper, sondern auch den Kopf.

Gleichzeitig betonen Sie: Manchmal wäre ein ausgiebiges Nickerchen besser als der Meditationsworkhop …

Genau, schlafen sollte die oberste Priorität haben! Wie oft höre ich von berufstätigen Müttern: Abends, wenn die Kinder schlafen, führe ich wichtige Jobtelefonate und plane Projekte. Meine Bitte: Tun Sie das nicht, legen Sie sich mit den Kindern hin. Schlaf ist wie eine Waschmaschine für unser Gehirn: Dabei werden Giftstoffe aus unserem Gehirn ausgeschwemmt und neue wichtige Botenstoffe produziert. Viele Führungskräfte fragen mich bei Coachings: Wie kann ich effizienter schlafen, also hochwertig, aber kürzer? Sorry, aber da muss ich alle enttäuschen: Es führt kein Weg an siebeneinhalb bis acht Stunden Schlaf vorbei. Dafür steuere ich ausgeschlafen aber auch nicht in den Burn-out, bin leistungsfähig, kann klar denken. Und nicht zu vergessen: Guter Schlaf spart viel Make-up, das ist die beste Kosmetik. 

Was, wenn ich das zwar verstanden habe, aber dennoch keinen Ausweg aus der Stress-Dauerschleife finde?

Konzentrieren Sie sich auf "Quick Wins", also schnelle Erfolge. Zum Beispiel: ab jetzt jede Mittagspause mit einem zehnminütigen Spaziergang beenden. Oder: schon abends alle Zutaten für ein gesundes Müsli oder einen Smoothie zurechtlegen, damit der Aufwand am nächsten Morgen minimal ist. Machen Sie es Ihrem Gehirn leicht, indem Sie konkrete Ziele setzen, etwa mit genauen Uhrzeiten für neue Rituale wie den Mittagsspaziergang. Und: Kaufen Sie keine Chips oder Schokolade, sollten Sie dafür eine Schwäche haben. Was nicht im Haus ist, essen Sie auch nicht. Den nächsten Supermarkteinkauf? Erledigen Sie direkt nach einem guten Essen. Denn wer satt Lebensmittel shoppt, kauft überlegter und gesünder ein. Grundsätzlich gilt: Wenn etwas im Voraus fest geplant ist, braucht man weniger Willenskraft. Die wird sowieso überschätzt – Automatismen sind effektiver.  

Das ist das Tolle: Trotz vorgegebener Strukturen kann ich mich selbst immer wieder in einen Zustand der Zufriedenheit versetzen. Dafür habe ich das Modell Fun – Fear – Focus entwickelt. Mit Fun, der Freude, bezeichne ich alle Tätigkeiten, die unsere Dopaminproduktion verstärken. Zum Beispiel mit dem Haustier kuscheln oder mit der besten Freundin telefonieren. Fear, die Furcht, bedeutet, dass ich eine gewisse Menge an Nervenkitzel brauche, also die Ausschüttung des anregenden Botenstoffs Noradrenalin. Für den einen bedeutet das Fallschirmspringen, für den nächsten ein Fahrradausflug.

Und Focus, die Konzentration, gelingt, wenn ich meine Aufmerksamkeit nur auf eine Sache richte, mich ganz darin versenke, etwa bei der Gartenarbeit oder beim Lesen. Dann bildet sich im Gehirn Acetylcholin, eine Substanz, die unsere Wahrnehmung schärft. Wir können uns diesen magischen Cocktail selbst mixen, müssen nicht warten, dass der Zufall uns Glück beschert. Oh ja: Eisbaden geht auch! Oder kalt duschen. Der Kältereiz versetzt uns kurzfristig in Alarm, aber Studien zeigen, dass die Noradrenalin- und Dopaminpegel dauerhaft erhöht bleiben. Das wirkt langfristig wie eine Impfung gegen Stress

Weiterlesen Mehr Infos findest du in den Büchern von Neurowissenschaftlerin Friederike Fabritius: "Neurohacks: Gehirngerecht und glücklicher arbeiten" und "Flow@work: Gehirngerecht führen" (Campus Verlag).

Brigitte

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