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Prof. Tim Spector Ernährung in den Wechseljahren: Tipps vom Experten

Prof. Tim Spector: Eine Frau steht mit einem Smoothie in der Hand in der Küche
© okrasiuk / Adobe Stock
Durch die Wechseljahre ändert sich der Stoffwechsel drastisch. Was tun? An der Ernährung drehen, empfiehlt der britische Arzt Tim Spector. Aber wie?

Herr Spector, Sie sind Ernährungsmediziner, wieso liegt Ihnen als Mann das Thema Wechseljahre am Herzen?

Ich habe schon in den Achtzigerjahren über den Zusammenhang zwischen der hormonellen Umstellung in der Lebensmitte und Arthritis, also Gelenkentzündungen, geforscht. Weil ich verstehen wollte: Welche Rolle spielen Hormone bei der Entstehung von Krankheiten? Aber für dieses Thema hat sich damals kaum einer interessiert. Irgendwann habe ich mich einem neuen Feld zugewendet: der Gesundheit des Darms.

Kürzlich ist mein Interesse am hormonellen Übergang wieder sehr gestiegen: weil es einen verblüffenden Zusammenhang zwischen den Wechseljahren und dem Stoffwechsel gibt, der sich in dieser Zeit für Frauen massiv wandelt. Kaum etwas ist für diese Phase so spannend wie die Ernährung. Was mich erschreckt hat: In den letzten 20, 30 Jahren scheint auf diesem Feld nichts vorangekommen zu sein.

Frauen mittleren Alters stehen nicht auf der medizinischen Agenda?

Absolut nicht. Die Hormonersatztherapie ist seit Jahrzehnten mal in, mal out. Alle zehn Jahre heißt es, alles großartig, dann wieder: total riskant. Wir drehen uns im Kreis. Wenigstens sind wir davon weggekommen, Frauen Medikamente zu verabreichen, die aus Pferdeurin gewonnen wurden. Aber das ist es auch schon fast, geforscht wird wenig. Der Gesellschaft scheint es egal zu sein, was für Medikamente mittelalte Frauen nehmen. Mich macht ärgerlich, wie man diese weibliche Lebensphase mehr oder weniger ausklammert.

Was müsste sich dringend ändern?

Viele Frauen leiden während des Wechsels unter Symptomen, die vermeidbar wären. In der sogenannten Perimenopause, der Zeit rund um die letzte Blutung, kippen Frauen ziemlich abrupt von einem guten, stabilen Gesundheitszustand in einen schlechten. Über diese Transition sind sie leider ganz schlecht informiert. Wir müssen da viel mehr aufklären. Dann haben Frauen auch eine Chance, gegenzusteuern.

Warum wissen wir hier so wenig?

Unsere Gesellschaft akzeptiert nicht, dass Frauen altern. Sie möchte, dass Frauen, die in die Wechseljahre kommen, den Mund halten. Man erwartet immer noch, dass sie sich da allein durchschlagen und sich auch bitte nicht beschweren. Da herrscht eine Haltung, die signalisiert: Pech gehabt! Oder man schiebt den Frauen die Schuld an ihrem sich verändernden Gewicht in die Schuhe: Ach, du isst jetzt wahrscheinlich mehr. Oder: Du bewegst dich einfach nicht genug! Das ist nur leider komplett falsch. Natürlich ist Bewegung immer gut, aber sie wird das Problem nicht lösen. Stattdessen müssen wir dringend den Fokus auf den weiblichen Stoffwechsel legen. Die Hormone agieren jetzt komplett anders.

Also passiert in sehr kurzer Zeit wahnsinnig viel im weiblichen Körper?

Ja. Vor den Wechseljahren sind Frauen gesünder als Männer. Dann fällt das Level abrupt ab. Ein ziemlich harter Cut vom Reproduktionsmodus in eine Art Großmutter-Physiologie. In dieser Zeit verändern sich der Geschmackssinn, die Verdauung und die Reaktionen auf Nahrungsmittel dramatisch. Ich kenne kaum eine Frau, die davon weiß.

Aber sie merken, dass sie zunehmen. Große Preisfrage: Gibt es eine Chance, dem zu entkommen?

Ich würde sagen, ja. Dafür müssten die meisten Frauen spätestens zwischen 45 und 50 allerdings ihre Ernährung vollkommen umstellen. Darin liegt der Schlüssel.

Das klingt schrecklich anstrengend.

Wenn wir besser darüber aufklären, müsste das gar nicht so schrecklich klingen. Mir geht es eigentlich um einen Respekt vor dem weiblichen Körper, der in dieser Phase einen liebevollen Restart bräuchte, weil er nicht mehr alles mitmacht.

Sind Hormontests sinnvoll, um rechtzeitig über den nahenden Wechsel im Bilde zu sein?

Das ist leider nicht einfach. Auch weil die Hormonlevel vor der letzten Blutung fluktuieren. Man müsste sehr viele Tests machen, um festzustellen, wann die Umstellung startet. Ich fürchte, wir kommen um eine wertschätzende Selbstbeobachtung nicht herum. Hören Sie mehr auf Ihren Körper, widmen Sie ihm mehr Aufmerksamkeit.

Wie zum Beispiel?

Lassen Sie das Frühstück weg und spüren Sie nach, wie Ihr Körper darauf reagiert. Oder probieren Sie das Gegenteil: Wie reagiert mein Körper, wenn ich früh zu Abend esse und auch früher als sonst schlafen gehe? Wie ist es, mich mehr zu bewegen? Wie geht es mir am nächsten Tag, wenn ich bei McDonald’s gegessen habe? Wie viel Alkohol erzeugt am nächsten Tag üble Nebenwirkungen? Was ist mit Kaffee?

Ihr aktuelles Buch handelt vor allem davon, dass man fast alle Dogmen, die Medizin und Ernährungsindustrie in den letzten Jahrzehnten aufgestellt haben, getrost über den Haufen werfen kann.

Ja, und da sehe ich in den Wechseljahren eine große Chance: Man kann darin entdecken, was allein meinem Körper guttut. Kaffee, Salz und Butter sind nicht unbedingt schlecht für ihn, Fisch, gluten- und zuckerfreies Essen nicht unbedingt gut. Vitamintabletten, vegane Ernährung und viel Wasser machen nicht zwangsläufig gesund. In unserer jüngsten Studie haben wir herausgefunden, dass noch nicht mal die Körper von eineiigen Zwillingen auf dieselben Lebensmittel gleich reagieren. Keine Ernährungsweise der Welt führt bei zwei Menschen zu denselben Ergebnissen. Wir müssen da viel intuitiver rangehen.

Welche Erkenntnis hat Sie am meisten erstaunt in Sachen Ernährung und Menopause?

Wir haben herausgefunden, dass Frauen in und nach den Wechseljahren völlig anders auf Glukose und Fett antworten als davor. Frauen, die vorher ein Stück Brot oder einen Muffin gut vertragen haben, erlebten plötzlich einen schädlichen Blutzuckeranstieg. Fett hielt sich viel länger im Körper. Als würde im Körper ein Schalter umgelegt, der ihn auf bestimmte Nahrungsmittel extrem gestresst reagieren lässt. Wir forschen gerade daran, wie das mit dem Mikrobiom des Darms zusammenhängt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch das Mikrobiom in den Wechseljahren einem Wandel unterworfen ist. Aber es ist alles ziemlich kompliziert.

Was mache ich, wenn ich keine Zeit zum Experimentieren habe? Keine Muße?

Dann sollten Sie ein paar einfache Regeln beherzigen: Gemüse und Obst so viel und abwechslungsreich wie möglich – kommen Sie auf 30 Portionen pro Woche. Dazu fermentierte Lebensmittel wie Sauerkraut und Joghurt. Vermeiden Sie ultraverarbeitete Nahrungsmittel, ebenso künstliche Süße. Lassen Sie die Finger von verpacktem Essen mit vielen Inhaltsstoffen, was echt übel für unsere Darmgesundheit ist und uns nur schrecklich hungrig und müde macht.

Wir müssen neu über unser Essen nachdenken, weniger im Sinne von Energie und Treibstoff. Es sollte vielmehr darum gehen: Wie können wir unseren Stoffwechsel steuern? Wie füttern wir diese fantastische Chemiefabrik in unserem Darm gut? Wenn wir uns anders ernähren, ist das auch elementar für die Gesundheit des Planeten. Die Nahrungsmittelindustrie ist ein großer Klimakiller.

Sie sperren sich dezidiert gegen Verbote beim Essen.

Wir wollen ja von diesem Diät-Wahnsinn wegkommen. Ich fordere niemanden dazu auf, Kalorien zu reduzieren. Ich sagen nur: Wenn du dich seltsam fühlst nach einem Baguette, probiere es vielleicht mal mit Roggenbrot. Ich zum Beispiel habe aufgehört, jeden Tag Bananen zu essen, ich habe sie gegen Birnen und Äpfel eingetauscht. Das bekommt mir einfach besser. Oder leben Sie zwei Wochen vegan, durchbrechen Sie Ihre alten Routinen.

Sitzen Sie nicht da und schieben alles erschöpft auf Ihre Hormone. Lernen Sie, was wirklich gute Lebensmittel sind, etwa solche, die viele Polyphenole, also pflanzliche Antioxidantien, enthalten. Die sind tatsächlich sehr gesund für uns. Das können Bitterschokolade, Olivenöl oder Nüsse sein. Und was man heute ziemlich sicher weiß, ist: Snacken ist kontraproduktiv.

Eine Ernährungsmedizinerin sagte mir, man kann gar nicht so viel am Mikrobiom verändern.

Da liegt Ihre Ärztin falsch. Viele Studien zeigen, dass es möglich ist, es definitiv zu verbessern – um bis 30, 40 Prozent. Und je ärmer Ihr Mikrobiom, desto höher stehen Ihre Chancen, es aufzupäppeln. Das kann man übrigens in jedem Alter tun. Und wenn wir unsere Darmgesundheit stärken, bekommen wir auch das Altern mehr in den Griff. Denn eine größere Vielfalt an Darmbakterien stärkt unser Immunsystem. Und ein robusteres Immunsystem verjüngt unser biologisches Alter. Je gesünder Sie essen, desto weniger Entzündungen schüren Sie in Ihrem Körper. Und Sie reduzieren definitiv die negativen Symptome der Wechseljahre.

Ich habe das Gefühl, bei vielen Ärztinnen und Ärzten ist die Hormonersatztherapie das Mittel der Wahl. Mir wurde gesagt: Das ist das Einzige, was helfen wird. Ansonsten willkommen in Omi-Land!

Das bringt mich zurück zu meiner These der Individualität. So wie wir völlig verschieden auf Nahrung reagieren, so ist das natürlich auch bei Medikamenten. Es gibt Frauen, die Hormone bis auf ein paar Nebenwirkungen gut vertragen, und es gibt solche, die gar keine brauchen, weil es ihnen gut geht. Wir sollten sie auf keinen Fall aufzwingen. Außerdem kommen in den Wechseljahren Tausende Stoffe in Bewegung. Da nur auf ein, zwei zu schießen ist fragwürdig. Die Wechseljahre sind immer noch ein großes Mysterium. Deshalb darf die Hormontherapie nur ein Angebot sein: "Probiere es für drei Monate aus. Schau, ob es dir etwas bringt." Ich würde aber immer auf die Ernährung setzen. Das ist für mich der viel spannendere Weg.

Biografie

Tim Spector, 64, ist Professor für Genetische Epidemiologie am Londoner King’s College. Er beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem Thema Wechseljahre. Wer die Menopausen-Revolution in seiner Heimat verfolgt (wir berichteten in Heft 8/22), ist ihm dort längst begegnet. Zudem forscht er viel über das Darmmikrobiom und personalisierte Medizin.

Buchtipp: Tim Spector geht mit gängigen Ernährungsmythen ins Gericht (25 Euro, Dumont Verlag)

Dieser Text stammt aus der BRIGITTE WOMAN.

Brigitte

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