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Chronische Schmerzen Anhaltende Schmerzen und was dagegen hilft

Frau sitzt vor einem Laptop und hält sich am Nacken
© insta_photos / Adobe Stock
Es ist nicht normal, wenn einem dauernd etwas wehtut. Wie sich das Schmerzempfinden in der Lebensmitte verändert und warum es so wichtig ist, nicht einfach nur Tabletten zu nehmen.

Keiner hat gern Schmerzen. Dennoch ist es gut, dass es sie gibt. Weil wir die Hand von der heißen Herdplatte ziehen, wenn wir uns versehentlich drauf abstützen. Chronische Schmerzen dagegen nützen uns nicht und bringen eine Menge Probleme mit: Man kann sich schlechter bewegen, schlafen und arbeiten, wenn einem dauernd etwas wehtut, und es ist psychisch sehr belastend. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten.

Ich habe schon häufiger Schmerzen. Aber sind die chronisch?

Mal tut der Kopf, mal der Nacken oder Rücken weh – das hat mit einem chronischen Verlauf nicht unbedingt etwas zu tun. Laut Deutscher Schmerzgesellschaft e. V. gelten Schmerzen dann als chronisch, wenn sie auch nach Abklingen einer akuten Erkrankung nicht nachvollziehbar lange anhalten oder immer wieder auftreten. Nach einer Verletzung kommt der Begriff also nach etwa drei Monaten ins Spiel, denn in diesem Zeitraum hat der Körper einen Knochenbruch, Bänderriss oder auch einen Bandscheibenvorfall normalerweise repariert. Manchmal wird die Grenze auch nach sechs Monaten gezogen.

Natürlich gibt es keinen Schalter, der sich an einem bestimmten Tag von "vorübergehend“ auf "dauerhaft“ umstellt. Die Chronifizierung ist ein schleichender Prozess; um ihn zu verhindern, sollte man Schmerzen möglichst rasch und konsequent behandeln. Erste Ansprechpartner sind der Hausarzt bzw. die Hausärztin.

Es heißt doch, Schmerzen aushalten härte ab?

Das wird immer noch oft behauptet, stimmt aber nicht. Es macht im Gegenteil schmerzempfindlicher, durch das sogenannte Schmerzgedächtnis: Anhaltende Schmerzreize sind in der Lage, die Struktur von Nervenzellen und damit biochemische Prozesse in der Schmerzverarbeitung zu verändern. Dann bilden die Schmerzsignale nicht mehr den tatsächlichen körperlichen Zustand ab. Hinzu kommen weitere Symptome und Beeinträchtigungen, die zusammen mit dem Schmerz einen sich verstärkenden Kreislauf bilden. "Deshalb ist es so wichtig, frühzeitig zu handeln", sagt Prof. Esther Pogatzki-Zahn, Anästhesistin und Leiterin des Schmerzdienstes an der Universität Münster.

Und: Wer schon starke Schmerzen erlebt hat, möchte das verständlicherweise künftig vermeiden – und verkrampft sich möglicherweise schon beim kleinsten Ziepen oder horcht immer intensiver in sich hinein. So kann es zu einem Teufelskreis aus Schmerzen und körperlicher und psychischer Anspannung kommen.

Hat es mit den Wechseljahren zu tun, dass ich jetzt häufiger Schmerzen habe?

Ja, das ist möglich. "Östrogenschwankungen in den Wechseljahren können zu Kopfschmerzen führen, ähnlich wie sinkende Östrogenwerte kurz vor einer Periode“, sagt Expertin Pogatzki-Zahn. Hinzu kommt: "Durch eine östrogenbedingte Veränderung der Serotoninspiegel scheint eine hemmende Wirkung an bestimmten Schmerzrezeptoren wegzufallen, was wiederum vor allem Kopfschmerz begünstigt.“ Was aber auch die Schmerzempfindlichkeit generell erhöhen könnte. Andere Schmerzen können durch die hormonelle Umstellung erst hervorgerufen werden. Brustspannen zum Beispiel, das an niedrigen Gestagenwerten liegt, oder Gelenk- und Muskelschmerzen, die mit niedrigem Östrogen in Verbindung gebracht werden – weil der wasserspeichernde Effekt des Hormons nachlässt und die Gelenkknorpel daher weniger gut geschützt sind, die Muskeln an Elastizität verlieren.

Eine Hormonersatztherapie hat in solchen Fällen schon manchen Ärztemarathon beendet. Einige Frauen haben aber auch weniger mit Schmerzen zu tun als in jungen Jahren: nämlich diejenigen, die ihre Migräneattacke typischerweise kurz vor der Regelblutung bekommen, weil sie auf den Abfall des Gelbkörperhormons Progesteron reagieren. Weil Zyklen ohne Eisprung und damit auch ohne viel Gelbkörperhormon jetzt immer häufiger vorkommen, wird der Schmerz seltener.

Ich komme mit Tabletten nicht weiter. Was kann ich tun?

Gerade bei den verbreiteten Schmerzen im Bewegungsapparat spielen Physiotherapie und insgesamt körperliche Aktivität eine entscheidende Rolle. "Früher hieß es ja etwa bei Rückenschmerzen: Leg dich ins Bett und schon dich!“, sagt Esther Pogatzki-Zahn. "Diese Auffassung ist längst überholt.“ Im Gegenteil: Heute steht fest, dass vor allem bei Muskel- und Skelettschmerzen eine frühe Mobilisierung zur Heilung beiträgt. Allerdings Schritt für Schritt und immer unter fachkundiger Anleitung. Sprechen Schmerzen auf unterschiedliche Therapiekonzepte über Wochen hinweg gar nicht an, oder steht als letzte Option ein operativer Eingriff im Raum, ist der Kontakt zu einer Schmerzambulanz oder einer Schmerzklinik eine gute Idee.

"Hier arbeiten fachübergreifend unter anderem Mediziner, Bewegungs- und Ernährungstherapeuten und Psychologen zusammen“, erklärt Pogatzki-Zahn. Und es geht um mehr als die akute Behandlung, man lernt Entspannungsmethoden, Strategien gegen übermäßiges Grübeln oder macht Kunsttherapie. Zwar gibt es längere Wartezeiten, doch übernimmt die Kasse in begründeten Fällen solche interdisziplinären Behandlungen, je nach Ausprägung mal ambulant, mal stationär oder teilstationär (mehr Infos z. B. unter schmerzgesellschaft.de/einrichtungen).

Warum ist eine individuelle Therapie so wichtig?

Weil sich bei jedem Menschen eingehende Schmerzsignale im Gehirn unterschiedlich verschalten, teilweise im Zusammenklang mit Hirnregionen, in denen Gefühle von Angst oder Traurigkeit aktiviert werden. In Studien litten ängstliche, unsichere Menschen mehr unter Schmerzen als selbstbewusste, optimistische. Ein Hang zur Hypochondrie, also einer übersteigerten Krankheitsangst, und depressive Verstimmungen begünstigen ebenfalls Schmerzen: Bis zu 60 Prozent aller Menschen mit Depressionen klagen über körperliche Schmerzen, und knapp die Hälfte aller Schmerzpatient:innen äußert gleichzeitig depressive Symptome, die durch die chronischen Schmerzen entstehen oder verschlimmert werden können. "Entscheidend ist, dass wir chronisch Schmerzbetroffene nicht stigmatisieren“, betont Pogatzki-Zahn. "Denn Schmerzen sind niemals eingebildet, der Leidensdruck ist real.“

Die Ärztin ermutigt Betroffene, Tagebuch zu führen und dabei besonders auf das Positive zu achten: In welchen Situationen geht es ihnen besser? Wie fühlen sie sich beim Spazierengehen mit einer Freundin, beim Musikhören, bei der Gartenarbeit oder mit dem Partner im Bett? "Ziel ist es, den Schmerz durch körperliche und mentale Schutzfaktoren regulieren zu lernen“, so die Ärztin. Dann kann er auf Dauer seinen Schrecken verlieren, und die Lebensfreude gewinnt die Oberhand. Je länger die Schmerzen bestehen, desto wichtiger ist fachliche Unterstützung bei diesem Lernprozess.

Welche Beschwerden werden am häufigsten zum Dauerschmerz?

"Spitzenreiter ist ganz klar der Rückenschmerz, gefolgt von Schmerzen im gesamten Muskel- und Skelettbereich und Migräne“, sagt Professorin Pogatzki-Zahn. Aber auch Nervenschädigungen, etwa nach einem Unfall, einer Operation oder bedingt durch eine Diabeteserkrankung, können Dauerschmerzen auslösen, genau wie Krebs, rheumatische und dermatologische Krankheitsbilder.

Neben der Fehlfunktion des Nervensystems (Schmerzgedächtnis, s.o.) sind oft Entzündungen die Verursacher von Dauerschmerz. Ein Angst-Vermeidungsverhalten ("Ich vermeide körperliche Aktivität, weil sie meine Schmerzen verstärken könnten“) oder katastrophierendes Denken ("Das geht nie wieder weg oder wird so schlimm, dass ich mich gar nicht mehr bewegen kann!“) gelten in der Schmerztherapie als sogenannte Yellow Flags – Warnhinweise, dass eine Chronifizierung droht.

Die Krankheit geht, der Schmerz bleibt, etwa nach einer Gürtelrose. Warum können sich Schmerzen derart verselbstständigen? Was hilft?

Chronische Schmerzen gelten inzwischen als eine eigenständige Erkrankung. "Beim Beispiel der Gürtelrose handelt es sich um Schmerzen aus dem neuropathischen Formenkreis, die Symptome können durch befallene Nervenzellen nach Abklingen der Krankheit anhalten oder wieder auftreten“, erklärt Pogatzki-Zahn. Wichtig: nach Abheilen der Bläschen schon beim kleinsten Verdacht einer Chronifizierung der Schmerzen schnell ärztlichen Rat einholen und ein schmerztherapeutisches Konzept erarbeiten – je früher, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit bleibender Beschwerden.

Der sogenannten Post-Zoster-Neuralgie, die ab 60 jede Zweite nach einer Gürtelrose entwickelt, lässt sich durch eine Impfung vorbeugen. Sie reduziert das Risiko eines Ausbruchs und eines schweren Verlaufs deutlich. Infos: impfen-info.de oder impfen.de/guertelrose.

Kann man jeden Schmerz erfolgreich behandeln?

Ja. "Eine Linderung ist grundsätzlich möglich, auch wenn wir nicht jeden Schmerz vollständig ausschalten können“, so Pogatzki-Zahn. "Wir können sehr viele Hebel ansetzen, unser Behandlungsspektrum ist wirklich breit aufgestellt. Ziel ist immer, die individuelle Lebensqualität der Patient:innen zu verbessern.“ Wichtig dabei: dass die einzelnen Disziplinen gut zusammenspielen, wie in einer Schmerzambulanz oder -klinik.

Brigitte

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