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Bewegung als Kraftquelle - ein Erfahrungsbericht

Spaß an der Bewegung und das Gefühl, die Kontrolle über den Körper zurückzugewinnen: Durch die Diagnose Brustkrebs entdeckte Karola Feeken den Sport für sich. Ein Erfahrungsbericht.
Bewegung als Kraftquelle - ein Erfahrungsbericht
© privat

Bevor ich die Diagnose Brustkrebs bekam, war ich durchschnittlich sportlich – mir hat vermutlich die Motivation gefehlt. Immer war alles andere wichtiger. Ab und zu bin ich laufen oder schwimmen gegangen - aber so richtig Spaß hat mir das nicht gemacht. Durch den Brustkrebs hat sich das geändert.

Heute, drei Jahre danach, kann ich mir eine Woche ohne Radfahren, Fitness-Center oder Laufrunde in der Natur nicht mehr vorstellen. Das hat gleich mehrere Gründe. Der Erste: Bewegung tut meiner Psyche gut – ich fühle mich gesund und fit, wenn ich aktiv bin. Ein tolles Gefühl, denn ich weiß auch, wie das Gegenteil aussieht. Der Zweite: Das Risiko, wieder an Krebs zu erkranken, sinkt erheblich durch jede Form von Sport. Und der dritte Grund: Durch die Medikamente, die ich jetzt nehmen muss, kann es passieren, dass ic ziemlich zunehme. Und das möchte ich nicht.

Plötzlich ist alles anders

"Sie haben einen bösartigen Tumor in der rechten Brust!" Als ich das vor drei Jahren nach einer Routine-Untersuchung hörte, habe ich zuerst gedacht: "Das kann nicht sein. Wieso ich?" Inzwischen weiß ich, dass es vielen Frauen auf der ganzen Welt in diesem Moment genauso geht. Plötzlich ist alles anders. Von einem Tag auf den anderen. Danach habe ich mir gesagt: "Vielleicht ist es gar nicht so schlimm. Der Tumor wird herausoperiert und dann geht das Leben weiter." In meinem Fall kam dann aber raus: Es ist doch schlimm. Sogar schlimmer als schlimm. Die rechte Brust würde man nicht erhalten können. Und links wurde auch etwas Verdächtiges entdeckt.

Ich wurde dann vier Mal operiert. Der Befund auf der linken Seite stellte sich als falsch heraus. Da hatte ich mich aber schon für die beidseitige Brustamputation, eine Mastektomie, entschieden. Ohne Wiederaufbau. Ich wollte weder Silikon noch Eigengewebe dort haben, wo früher meine Brust war. Zwei Wochen nach der radikalen OP ging es mit der Chemotherapie los. Da ist man schon im Keller und muss noch eine Station tiefer buddeln.

Während der Chemo ist alles andere als Sport wichtig. Ich bekam sechs Mal im Abstand von drei Wochen eine Infusion. Mir war oft schlecht, ich war ständig müde und nach drei Wochen und vier Tagen waren alle Haare weg. Ich war immer die mit den blonden Locken. Innerhalb kürzester Zeit war ich plötzlich eine Frau ohne Brust und ohne Haare. Ein einziger Schock war das!

Bis in die Muskelzellen geschwächt

Ich habe mir dann allerlei Perücken, Mützen und Tücher zugelegt. Und – wenn es irgendwie ging – bin ich rausgegangen und habe mich an der frischen Luft bewegt. Das erschien mir einfach sinnvoll. Ich habe viel darüber gelesen, was einem während der Akuttherapie gut tut. Da war immer wieder die Rede von Bewegung - die habe ich versucht, in meinen Tagesablauf einzubauen. Manchmal war Rausgehen das Einzige, was ich überhaupt am Tag geschafft habe. Und manchmal war auch das nicht möglich. Arbeiten hätte ich in dieser Zeit nicht können.

Als im Sommer die letzte Chemo-Infusion hinter mir lag, sagten alle: "Jetzt hast du's ja überstanden." Doch ich war komplett runter mit allem. Weil die Chemo alle schnell teilenden Zellen angreift, war ich bis in die Muskelzellen geschwächt und schnell außer Atem. Die Therapie quetscht einen komplett aus, das ist hammerhart.

Einmal, kurz nach der Chemo, wollte ich zur Schule meiner Kinder fahren. Zwei Kilometer mit dem Fahrrad, wie immer. Der Weg führt über eine Autobahnbrücke, das ist ein Höhenunterschied von vielleicht drei Metern. Ich musste absteigen und schieben. Da habe ich vor Wut geweint.

Jede Bewegung ist gut

Mein Gynäkologe hat mich wahnsinnig gut durch diese Zeit begleitet. Und er tut es noch, denn eine gute Nachsorge ist bei Brustkrebs sehr wichtig. Aber in Sachen Sport hat er mir nicht viel raten können, außer: "Jede Bewegung ist gut, machen Sie, was Sie können."

Bewegung als Kraftquelle - ein Erfahrungsbericht
© privat

Ich hätte gerne ein passendes Sportangebot gefunden, am liebsten mit anderen Brustkrebserkrankten in meinem Alter, aber das gab es in meiner Gegend nicht. Meine wieder wachsenden Haare waren ungefähr einen Zentimeter lang, als ich mich kurzerhand in einem Fitnessstudio in der Nähe anmeldete. Der junge Trainer, der mir die Geräte erklärte, sagte "Herzliches Beileid", als ich ihm erklärte, dass ich Brustkrebs hatte und deshalb ziemlich schlapp sei.

Ich habe dann mit Einsteigerkursen angefangen - Yoga, Pilates, Schwimmen und Wassergymnastik. Langsam, mit Pausen. Meine Brustmuskulatur und die Oberarme waren geschwächt, Seit- und Liegestütze undenkbar. Und auch nicht ratsam, wegen der frischen Narben.

Lymphdrainage durch Wassergymnastik

Seitdem mache ich mindestens vier, fünf Mal pro Woche Sport, mal morgens vor der Arbeit, oft abends und am Wochenende. Manchmal bin ich dabei lieber für mich, das hat etwas Meditatives. Ich nutze diese Momente dafür, gute Ideen zu bekommen und mich zu stabilisieren. Die Glückshormone, die das Gehirn durch die intensive Bewegung ausschüttet, machen auch noch Stunden später gute Laune und entspannen. Besonders Wassergymnastik kann ich jeder Brustkrebspatientin nach dem Ende der Akuttherapie empfehlen. Zusätzlich zum Trainingseffekt wirkt das Wasser am ganzen Körper wie eine sanfte Lymphdrainage.

Anfang dieses Jahres habe ich meinen Übungsleiterschein im Reha-Sport für Orthopädie und Krebsnachsorge gemacht. Das ist eine recht aufwändige, umfassende Ausbildung. Ich leite jetzt zwei Reha-Gruppen in einem Sportverein in der Nähe. Dass es bisher kaum Angebote speziell für Brustkrebspatientinnen gibt, möchte ich ändern.

Seit meiner Krankheit gehört Sport für mich zum Alltag. Egal ob es regnet, schneit, stürmt oder knallheiß ist: Ich habe für jedes Wetter die passende Sportart entdeckt und finde gerade die Abwechslung klasse. Das Gefühl, etwas Gesundes zu tun und die Kontrolle über den Körper zurückzugewinnen, hat mir sehr geholfen.

Sanfter und stärker zugleich

Ich bin stolz darauf, dass ich so viel Geduld mit mir selber hatte und nicht aufgegeben habe, auch wenn es echt Schweiß gekostet hat. Nach dem Krebs konnte ich keine 20 Minuten laufen und musste Pausen machen, Rennradtouren endeten spätestens nach 15 Kilometern. Dann war ich völlig fertig. Jetzt halte ich fast mühelos 10-km-Läufe durch und kann stundenlang zusammen mit meinem Mann und Freunden durch die Natur radeln.

Und als ich neulich ins Fitness-Center kam und meinen Mitgliedsausweis mit Bild zeigte, fragte die Empfangsdame, wer das auf dem Foto sei. Da fiel mir auf, dass es vor drei Jahren, kurz nach der Chemo aufgenommen wurde. Sie hat es mir fast nicht geglaubt und dann ein neues, aktuelles Foto gemacht. Ich bin wieder ich. Nicht wie vorher. Anders. Vielleicht ein bisschen sanfter ... und stärker zugleich.

Oft treffe ich heute Frauen, die eine schwere Zeit durchgemacht haben, egal ob das Krebs ist oder etwas anderes: Ich kann nur jeder Frau empfehlen: Mach Dich nicht vom Wetter oder von Deiner Stimmung abhängig – beweg Dich, fordere Dich, hab Spaß an der sportlichen Abwechslung! Nicht irgendwann, sondern jetzt!

Protokoll: Nicole Wehr

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