"Okay, jetzt komme ich hier mit Herr oder Frau Link nicht weiter, was soll ich dann machen?!" Jj Link (ausgesprochen: "Jay-Jay". Der Name steht für Jjs Vor- und Nachnamen Jasmin Janosch) kennt diese Gedanken schon aus vielen Gesprächen mit anderen Menschen. Jj ist nicht-binär, was bedeutet, dass Jj sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugehörig fühlt.
Für die Verunsicherung hat Jj Verständnis: "Es ist eine Besonderheit für viele Menschen, weil sie es teilweise nicht kennen – für sie gibt es eben Männer und Frauen. Und dass sich jemand als 'weder noch' oder als 'dazwischen' oder 'beides' bezeichnet, ist erst einmal ungewohnt."
Vor ungefähr fünf Jahren hat Jj mit "nicht-binär" einen Begriff für die eigene Geschlechtsidentität gefunden, mit dem Jj sich identifizieren kann – entsprechend oft kam es in den Jahren zu Situationen, in denen andere Menschen verunsichert im Umgang waren, nicht wussten, wie sie reagieren oder was sie sagen sollen. Inzwischen weiß Jj gut mit der Situation und der anfänglichen Unsicherheit vom Gegenüber umzugehen: "Es war für mich ein wichtiger Prozess, mich selbst schnell und gut erklären zu können. Es war mir unangenehm, wenn andere Leute Angst bekommen oder erschrecken, weil sie nicht wissen, wie sie mit mir reden können. Dass ich das jetzt gut und sicher erklären kann, hilft mir selbst und den Menschen mir gegenüber. Ich hoffe, bald müssen sich nicht-binäre Menschen nicht mehr so erklären."
Dabei kann es sehr hilfreich sein, wenn die andere Person bestimmte Dinge schon auf dem Schirm hat – zum Beispiel was Nicht-Binarität bedeutet und was es vor allem nicht bedeutet. Im Interview mit Jj haben sich sechs hilfreiche Tipps ergeben, die (nicht nur) im Umgang mit nicht-binären Menschen Taktgefühl und Respekt zeigen.
1. Nicht das Gelernte gleich ungefragt auf alle Menschen anwenden
Natürlich ist es toll und wichtig, dass sich Außenstehende mit den Themen queerer Menschen auseinandersetzen. Aber dabei bitte nicht gleich über das Ziel hinausschießen, wie Jj im Interview erzählt. Der alte Name von Jj ist Jasmin und der steht auch noch immer in der beruflichen Mailadresse. Das führte dann einmal dazu, dass sich eine andere Person, die sich mit dem Thema Trans auseinandersetzte, beim Vorgesetzen von Jj beschwerte, wie es denn sein könne, dass die E-Mail-Adresse von Jj nicht geändert würde. Schließlich, so die Person, sei das "Deadnaming" – also die Verwendung des Namens, den eine Person bei ihrer Geburt erhalten hat, diesen aber nicht mehr selbst verwendet.
"Ich musste dann sowohl meinem Chef als auch der Person erklären, dass es für mich kein Deadname ist. Es ist für mich persönlich einfach mein alter Name, den ich schön finde. Ich erklärte dann beiden, dass es zwar für viele trans Personen in diesem Fall Deadnaming wäre, aber für mich eben nicht. In meinem Fall gibt es die besondere Herausforderung für viele, die sich ein wenig mit dem Thema auseinandersetzen: Ich bin nicht 'binär trans', sondern 'nicht-binär trans'." [lacht] Das meint, dass Jj eben nicht eine trans Frau oder ein trans Mann ist, sondern eine nicht-binäre trans Person.
Auch, wenn es von der außenstehenden Person sicherlich nur gut gemeint war: In solchen und ähnlichen Fällen ist es eher hilfreich, zunächst mit der betroffenen Person darüber zu sprechen, bevor man diese noch in eine unangenehme Situation bringt.
2. Eigene Pronomen zuerst nennen
Die deutsche Sprache ist bereits enorm gegendert: Wer darauf achtet, merkt schnell, wie oft wir männliche oder weibliche Formen von einem Wort verwenden (hierzu mehr in Tipp 5). Meist sind wir im Umgang mit anderen Menschen sehr schnell eingeschossen auf bestimmte geschlechtsspezifische Pronomen – steht beispielsweise ein Mensch mit Anzug, Bart und kurzen Haaren vor uns, ordnet unser Gehirn diesen Menschen schnell als "Mann" ein. Nicht immer ist das aber so eindeutig – übrigens, denkt man drüber nach, ist es das auch eigentlich nie – und dann ist es eine Möglichkeit, nach den Pronomen der Person zu fragen. Also: "Welche Pronomen benutzen Sie?"
Alternativ kannst du das Gespräch in diese Richtung aber auch anders starten, indem du mit dir selbst anfängst. "Ich benutze die Pronomen 'er/ihn'. Wie darf ich Sie ansprechen?" Generell ist es mit den Pronomen und der Frage danach aber so eine Sache. "Ich tue mich außerhalb von queeren Räumen noch etwas schwer damit, Menschen zu fragen, welche Pronomen sie verwenden. Manche fühlen sich dadurch verletzt und sagen dann so etwas wie: 'Ich dachte immer, ich sehe ganz eindeutig aus wie eine Frau/wie ein Mann.'", sagt Jj zu dem Thema. Es sei auch einfach noch immer eine Frage, die "ungefähr 95% der Leute überrascht". Trotzdem würde sich Jj freuen, wenn sich das etablieren würde, denn "ansehen kann man es den Menschen einfach nicht, welche Pronomen sie verwenden".
3. Die E-Mail-Signatur nutzen, um die Pronomenfrage gleich zu klären
Wir können es anderen Menschen sehr einfach machen bei der Frage nach den selbstgenutzten Pronomen: In unserer E-Mail-Signatur schreiben wir einfach, dass wir beispielsweise "er/ihm" oder "sie/ihr" – oder "they/them" verwenden. Diese Möglichkeit gibt es auch bei Instagram. "Ich finde es sehr schön, wenn Menschen ihre Mail-Signatur nutzen, um mir gleich zu sagen, welche Pronomen sie für sich verwenden", sagt Jj. Schließlich sei es Jj auch selbst wichtig, sich gegenüber der anderen Person höflich und korrekt auszudrücken.
4. Kurz nachfragen ist gut, die Leute mit Fragen zu löchern nervt
Es ist natürlich nicht verboten, Menschen nach ihren Geschlechtspronomen zu fragen – wie die Tipps bisher vielleicht aber auch zeigten, kannst du damit recht schnell und ungewollt in ein Fettnäpfchen treten. "Es ist sicherlich ein guter Rat, respektvoll und zurückhaltend danach zu fragen", so Jj. "Wenn die andere Person darauf einsteigt, dann kann man sich da auch drüber unterhalten, aber man muss sich auch darüber im Klaren sein, dass sich die Person im Zweifel schon öfter über dieses Thema unterhalten hat als ihr lieb ist."
Und wer gänzlich verunsichert ist: Einfach mal nach guten Quellen zum Informieren fragen! Das zeigt nicht nur Interesse, sondern auch Taktgefühl.
5. Im Umgang mit Kindern: Kinderbücher genderneutral vorlesen
"Eine gute Übung, um sich dessen bewusst zu werden, wie stark gegendert die deutsche Sprache eigentlich ist, ist zu versuchen, Kinderbücher vorzulesen, ohne den Personen ein Geschlecht zuzuweisen." Das bedeutet dann: Auf einmal gibt es nur Kinder, Erwachsene, große und kleine Personen, Menschen mit kurzen oder langen Haaren, Eltern, die Suppe kochen, Großelternteile, die vorlesen. Damit es nicht so holprig wird, hilft manchmal der Name der Person, den man sich im Zweifel auch ausdenkt. "Es ist sehr spannend, wie fast unmöglich es in der deutschen Sprache ist, von einer Person zu sprechen, ohne ihr Geschlecht zu nennen", stellte Jj im eigenen Experiment mit Kinderbüchern fest.
Wem das zu anstrengend ist, der:die kann ja auch versuchen, die Geschlechter der vorkommenden Figuren einfach zu tauschen: Alle Jungs werden zu Mädchen und andersherum. "Solange Kinder nicht lesen können, beschweren sie sich ja nicht, wenn man ihnen etwas anderes erzählt." [lacht]
6. Kann ich ganz auf Zuweisungen verzichten?
Der letzte, vielleicht beste und mit Abstand schwerste Tipp: "Einfach" dem Verlangen widerstehen, von einer Person unbedingt wissen zu müssen, wie sie richtig angesprochen wird beziehungsweise wie sie sich definiert. "Das ist auch eine sehr interessante Erfahrung, denn die Frage ist doch: Wofür brauche ich diese Information eigentlich?", sagt Jj.
Auch Jj habe lange den Impuls gehabt – schließlich wird unser Gehirn schon sehr früh auf das binäre Geschlechtssystem geschult. "Aber inzwischen kenne ich genug nicht-binäre Personen, um es auszuhalten, dass ich vielleicht nicht unbedingt weiß, welches Pronomen die Person verwendet oder welchem Geschlecht sie sich zuordnet, wenn überhaupt einem." Am Ende des Tages sei auch das eine reine Übungssache.
Verwendete Quellen: queer-lexikon.net