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Der Mann der klaren Worte: Marcel Reich-Ranicki ist tot

Der Mann der klaren Worte: Marcel Reich-Ranicki ist tot
© Imago/Rau
Er polarisierte und polterte mit Leidenschaft - oft mit erhobenem Zeigefinger, immer mit klaren, schnörkellosen Worten: Im Alter von 93 Jahren ist der Literaturkritiker und Holocaust-Überlebende Marcel Reich-Ranicki in Frankfurt am Main gestorben.

Sein Spaß am Lesen und seine Lust am Streiten machten Marcel Reich-Ranicki zum berühmtesten und wohl meistgefürchteten Literaturkritiker Deutschlands. Ein temperamentvoller Charakterkopf, der oft drastisch und zugespitzt, aber immer auch für Laien verständlich über Bücher sprach - und sie mit seinen Urteilen zu Bestsellern machte oder sie vernichtete. Selbst mit großen Namen wie Martin Walser und Günter Grass legte sich "MRR" leidenschaftlich und dauerhaft an.

Marcel Reich-Ranicki wurde am 2. Juni 1920 in W?oc?awek an der Weichsel als Marceli Reich geboren. 1929 zog er mit seinen jüdischen Eltern und zwei älteren Geschwistern nach Berlin. Für ihn war die Deutsche Literatur seine "wahre Heimat" - und das, obwohl sie aus einem Land stammt, das für ihn den Tod vorgesehen hatte. Doch MRR überlebt das Warschauer Ghetto, in das ihn die Nazis 1938 deportierten - als Einziger seiner Familie. Unter dramatischen Umständen lernt er als 19-Jähriger seine spätere Frau Teofila (Tosia) Langnas kennen, gegenseitig retten sie sich mehrfach das Leben.

Nach einer kurzen politischen Karriere in Polen wendet er sich wieder der Literatur zu, schreibt für Zeitungen und Rundfunk, arbeitet als Lektor. 1958 reist er für einen Studienaufenthalt in die BRD - und bleibt im Land der Täter. Ohne je studiert zu haben tritt er 1960 seinen Job als Literaturkritiker bei der Zeit in Hamburg an. Dreizehn Jahre später wechselt er zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wo er bis zu seinem Ruhestand 1988 als Literaturchef die Redaktion für Literatur und literarisches Leben leitet.

Vom Leben gelernt - mit Worten von Marcel Reich-Ranicki

Zum "Literaturpapst" wird er schließlich durch ein Medium, das er eigentlich verachtet: Von 1988 bis 2001 moderiert Marcel Reich-Ranicki die ZDF-Büchersendung "Das Literarische Quartett" und erreicht damit ein Massenpublikum. Bei seinem legendären Auftritt während der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises 2008 kennen ihn Umfragen zufolge 98 Prozent der Deutschen. Sie schauen gebannt zu, wie er den Preis für sein Lebenswerk ablehnt - weil im deutschen Fernsehen zu viel "Blödsinn" läuft. Sein Status als wichtigster Literaturkritiker Deutschlands zeigt sich auch an den Verkaufszahlen seiner 1999 erschienenen Biographie "Mein Leben": Die Gesamtauflage liegt bei mehr als 1,2 Millionen Exemplaren.

Am Nachmittag des 18. September ist Marcel Reich-Ranicki in einem Pflegeheim in Frankfurt am Main an Altersschwäche gestorben. Sein einziger Sohn Andrew, der als Mathematikprofessor im schottischen Edinburgh lebt, war bei ihm. Kurz zuvor hatte ihn auch Frank Schirrmacher besucht, der Mitherausgeber der FAZ. Er war es auch, der die Nachricht über seinen Tod via Twitter verbreitete - und der einen sehr persönlichen Nachruf auf seinen langjährigen Weggefährten veröffentlichte. Marcel Reich-Ranicki wurde 93 Jahre alt.

Nicole Wehr

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