Kiran Millwood Hargrave - Julia und der Hai
Vielleicht liegt es daran, dass die Autorin und der Illustrator seit fast fünfzehn Jahren ein Paar sind. "Julia und der Hai" ist nämlich ein Gesamtkunstwerk, in dem Text und Gestaltung eng miteinander verwoben sind und gemeinsam einen mitreißenden Sog entwickeln. Die Mutter der zehnjährigen Julia ist Meeresbiologin und dem seltenen Grönlandhai auf der Spur. Im Laufe des Sommers, den die Familie auf den Shetlandinseln verbringt, verliert sie sich mehr und mehr in ihrer Forschung und Julia beginnt zu verstehen, dass die Frau, die sie doch immer so bewundert hat, ihr nicht nur zunehmend fremd wird, sondern selbst Hilfe braucht. Was die Mutter wirklich hat, erfahren Julia – und die Lesenden – erst gegen Ende. Und auch durch diese "Auflösung" wirkt die eindrückliche Erzählung über die letzte Seite hinaus. I: Tom de Freston, Ü: Alexandra Ernst, 224 S., 20 Euro, Loewe, ab 11
Peggy Nille - Die Insel der Vögel
Wimmelbücher sind eigentlich immer gut, weil es in ihnen auch nach dem x-ten Lesen beziehungsweise Schauen Neues zu entdecken gibt. Die Illustrationen der Französin Peggy Nille aber sind nicht nur voller farbenprächtiger und fantasievoller Details, sondern gleichzeitig auch noch so wunderschön, dass man sie sich direkt gerahmt an die Wand hängen möchte. Tatsächlich entwirft die Grafikerin unter anderem auch Tapeten und Stoffe für Kleidung. Und außerdem hat "Die Insel der Vögel" sogar noch einen Lerneffekt, denn neben Wellensittich und Flamingo fliegen dorthin auch unbekanntere Arten wie die Gabelracke oder der Krauskopfarassari. 32 S., 20 Euro, Minedition, ab 3
S.B.B. Burner - Dan Vinci
Seine Familie kann man sich bekanntlich nicht aussuchen. Das gilt auch für Dan Vinci, Amélie Curie, Julia Verne und Wotan Antonin Mozart, die von ihren berühmten Vorfahren nicht nur den Namen geerbt haben, sondern auch das kreative Talent. Deswegen sind sie zusammen mit anderen auserwählt, in einem Unterwasser-Internat die Welt zu verbessern und zu retten. Wie ihnen das gelingt, ist nicht nur richtig spannend zu lesen, sondern auch reichlich schräg und lustig. Besonders gelungen: ein hochintelligenter, sprechender Supercomputer, der allen mit seiner hochnäsigen Art auf die Nerven geht. 256 S., 15 Euro, Ueberreuter, ab 9
Jörg Mühle - Kroko oder Krake?
Kinder sind neugierig, deswegen überraschen sie uns immer wieder mit ungewöhnlichen Fragen. Aber genauso lieben sie es, selbst durch Fragen herausgefordert zu werden. Zum Beispiel mit der, ob sie lieber sechs Wochen Sommerferien in der Sahara oder drei Wochen Winterurlaub am Südpol machen würden. Oder tiefgehender, ob sie lieber superklug wären, ohne dass es jemand merkt, oder total dumm und nur von allen für ungeheuer intelligent gehalten. Ganz schön knifflige Entscheidungen also, vor die das Buch kleine und große Leser:innen Seite für Seite stellt. Und ein wunderbarer Anlass, um ins Gespräch zu kommen und neue Seiten an sich und anderen zu entdecken. 32 S., 12 Euro, Klett, ab 4
Elle McNicoll - Wie unsichtbare Funken
Die Lehrerin kann sie nicht ausstehen und sähe sie lieber auf einer Sonderschule, die Mitschülerinnen machen sich immer wieder über sie lustig. Addie ist Autistin. Sie nimmt ihre Umwelt, aber auch ihre eigenen Gedanken und Gefühle sehr intensiv wahr. Deswegen wühlt es sie auch so auf, als sie von den Hexenverfolgungen erfährt, die früher in ihrem Dorf in Schottland stattgefunden haben. Schließlich waren die Opfer wie Addie selbst Menschen, die anders sind. Wie Addie sich deshalb für ein Denkmal für die hingerichteten Mädchen und Frauen einsetzt und wie sie insgesamt ihre Welt erlebt, schildert Elle McNicoll einfühlsam und oft in sehr besonderen Worten und Formulierungen. Die Autorin weiß eben, wovon sie spricht: In der Danksagung erwähnt sie ihre eigene Neurodiversität. Ü: Barbara König, 224 S., 15 Euro, Atrium, ab 10
Céline Sorin, Pascal Lemaître - Ich und der Oger
Natürlich lauert auf der Toilette nachts in Wirklichkeit kein Monster, doch diese Tatsache allein hilft einem Kind, das sich im Dunkeln fürchtet und dringend aufs Klo muss, erst mal wenig. Aber: Wovor hat eigentlich das Monster Angst? Dem Oger schlottern nämlich selbst die Knie, genauso wie dem Oktopus die Tentakel. Wenn einer keine Angst hat, hat er keine Fantasie, hat Erich Kästner mal gesagt. Dass Fantasie aber wiederum auch gegen die Angst eingesetzt werden kann, vermittelt dieses liebevolle Bilderbuch. Ü: Annika Siems, 40 S., 18 Euro, minedition, ab 3
Antonella Sbuelz - Heute gehe ich nicht nach Hause
Sie sind beide auf der Flucht: Aziz will Krieg und Terror in Afghanistan hinter sich lassen, Matteo die Wut und die Trauer über seinen Vater, der die Familie für eine andere verlassen will. Bis die beiden in einer Nacht aufeinandertreffen, werden ihre zwei ganz unterschiedlichen Geschichten kapitelweise gegeneinander gestellt und vermitteln eindrucksvoll, wie komplex und radikal die Perspektiven von Teenagern sind – egal, wo sie leben. Ü: Michaela Heissenberger, 288 S., 18 Euro, Arktis, ab 12
Camilla Chester - Nenn mich Löwe
Der eine kann nicht sprechen, auch wenn er es will. Er leidet an selektivem Mutismus. Die andere redet wie ein Wasserfall, ist selbstbewusst und schlagfertig, trägt aber ein Problem mit sich, von dem niemand wissen darf. Leo und Richa verstehen sich von Anfang an und – man ahnt es – helfen sich am Ende gegenseitig. Eine wunderbare und warmherzige Freundschaftsgeschichte! I: Irina Avgustinovich, Ü: Pia Jüngert, 192 S., 14 Euro, Magellan, ab 9