
David Lynch sagte einmal, "Inland Empire" sei ein Blick durch "verschwommene Scheiben des menschlichen Ichs auf dunkle Abgründe". Der amerikanische Kultregisseur gibt offen zu, dass auch er nicht weiß, wovon sein neuer Film handelt. Der Raum für Interpretation ist groß - wie er ihn nutzt, muss jeder Zuschauer selbst entscheiden. Typisch David Lynch!
Die Idee

Die Dreharbeiten begann David Lynch ohne festes Drehbuch. Er schrieb jede Szene unmittelbar bevor sie gedreht wurde. Dieses frische Filmmaterial ergänzt bereits vorher gedrehte Szenen mit Laura Dern, die Lynch ursprünglich für seine Website produziert hatte. Außerdem gibt es Sequenzen einer surrealistischen Sitcom über eine Familie von Riesenkaninchen und einige Polen-Episoden, die Lynch während des Filmfestivals in Lodz aufgenommen hat. Innerhalb dieser abstrusen Szenen-Konstellation entwirft er eine Geschichte, der man kaum folgen kann. Der rote Faden ist das Thema Angst, doch der Zuschauer kann nie sicher sein, wer vor wem und warum Angst hat. Das Gefühl der Bedrohung durchzieht den Film und bestimmt die Handlungen der Charaktere.
Die Geschichte

Nikki Grace (Laura Dern) wird als Schauspielerin für den neuen Film von Regisseur Kingsley Stewart (Jeremy Irons) engagiert. Kurz vor Beginn der Dreharbeiten erfahren sie und ihr Co-Star Devon Berk (Justin Theroux), dass es sich bei der Liebesgeschichte um ein Remake handelt. Die Fertigstellung der Originalversion scheiterte vor Jahren, da beide Hauptdarsteller ums Leben kamen. Auch dieses Mal geschehen seltsame Dinge während des Drehs, die dem Zuschauer undurchsichtig in abstrakten Zeichen und Andeutungen begegnen: Ein rätselhafter Fluch scheint den Film zu umgeben. Der Film im Film macht das Verstehen der Lynch-Logik nicht gerade einfacher, zumal sich diese mit der Filmrealität vermischt. Nikki Grace kann nicht mehr zwischen Set und eigenem Leben unterscheiden und ihre Identität verschmilzt mehr und mehr mit der ihrer Rolle - ihrem früheren Ich?
Das Publikum

Der Zuschauer ist schnell gefangen in einem Verwirrspiel aus Realität, Fiktion, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Logische Erklärungen und Auflösungen enthält Lynch dem Publikum wie gewohnt vor. Er lehnt sie vielmehr ab, indem er verstörende, aufwühlende Welten entwirft, deren Sinnerschließung dem Zuschauer - einschließlich wohl Lynch selbst - vorenthalten bleibt. "Inland Empire" ist eine Herausforderung, die Konzentration und Aufmerksamkeit erfordert. Die Szenen seien "über ihn gekommen", erklärt David Lynch.
Die Bewertung

Die Filmbewertungsstelle Wiesbaden verlieh "Inland Empire" das Prädikat "besonders wertvoll" und begründete dies mit der Feststellung, der Film sei "eine Herausforderung für die Sinne... tiefgründig, verschlüsselt, provokant und makaber." Die Bewertung trifft zu, was den Film jedoch noch lange nicht für jedermann "besonders wertvoll" macht. Die charakteristische Lynch-Paradoxie, die unaufgelösten Metaphern, die surreale Darstellung und Gestaltung - das ist wirklich Geschmackssache. Und da "Inland Empire" knappe drei Stunden dauert, nicht für jeden zu empfehlen.
Das Fazit

Von der National Society of Film Critics wurde Lynch mit einem Special Award für den "besten Experimentalfilm" ausgezeichnet. Als solcher funktioniert "Inland Empire" auch: Er überzeugt durch zusammenhanglose Handlungsstränge, schnelle Perspektivenwechsel und Unschärfe bis zur Unkenntlichkeit. Zudem spielt sich Laura Dern, die bereits zum dritten Mal für Lynch vor der Kamera steht, wahrlich die Seele aus dem Leib. Ein Arthouse-Film erster Klasse also. "How weird", sagt eine Frau als Abschiedsgruß in die Kamera - treffender könnte das Fazit an dieser Stelle nicht formuliert sein!