Um den Tod des Sängers der Band Joy Division, Ian Curtis (Sam Riley) der sich mit nur 24 Jahren das Leben nahm, ranken sich viele Legenden. Neue Erklärungsansätze für diese Tat liefert nun Anton Corbijns Regiedebüt "Control", das auf der Autobiographie von Ian Curtis Frau Deborah und damit auf den Erinnerungen einer Zeitzeugin basiert. Wer nun einen Film über das wilde Rockstarleben a la "The Doors" oder "24 Hour Party People" erwartet, wird jedoch enttäuscht sein: "Control" ist vielmehr eine Charakterstudie, das sensible Porträt eines melancholischen Jungen mit einer starken Liebe zur Musik und einem großem Hang zur Romantik. Der junge Ian zitiert nicht nur ellenlange Gedichte von Wordsworth, sondern schreibt auch eigene Texte. Wenn er nicht gerade mit seinen Kumpels um die Häuser zieht, um mit Hilfe von geklauten Medikamenten high zu werden, lauscht er ehrfürchtig David Bowie oder feiert auf Konzerten. Von außen betrachtet ist Ian jedoch erstaunlich bodenständig: Er hat einen festen Job und heiratet schon mit 19 Jahren seine Jugendliebe Debbie (Samantha Morton), mit der er in ein kleines Reihenhaus zieht. Vier Jahre später kommt seine kleine Tochter auf die Welt. Trotz der familiären Situation bleibt Ians Leidenschaft für die Musik ungebrochen: Als er erfährt, dass Bekannte einen Sänger für ihre Band suchen, meldet er sich. Auf einem Konzert der Sex Pistols in Manchester treffen die Gründungsmitglieder von Joy Division erstmals zusammen.
Es beginnt eine wilde Zeit, in der die Band erste Konzerte gibt, Platten aufnimmt und durch Ians charismatische Auftritte zunehmend an Popularität gewinnt. Ein Erfolg, der seinen Preis hat: Ständig auf Tournee verliert Ian zunehmend an Halt. Er entfremdet sich von Frau und Kind, muss seinen Job kündigen und zieht sich immer mehr in sich zurück. Auch eine Affäre mit der jungen Musikjournalistin Annik (Alexandra Maria Lara) kann dem Musiker, der unter ständigen Epilepsie-Anfällen leidet, nicht mehr helfen. Gesundheitlich schwer angeschlagen und depressiv bringt sich Ian schließlich kurz vor der lang erwarteten Amerika-Tournee um.
Vom Starfotograf zum Regisseur
Als Anton Corbijn gefragt wurde, ob er einen Film über Joy Division machen wolle, hatte er zunächst Bedenken: „Man will keinen schlechten Film drehen, weil es dann lange dauern würde, bis Ian Curtis den Film bekäme, der ihm zusteht.“ Verständlich, denn der Leadsänger ist eine Ikone der Postpunk-Bewegung und beeinflusste mit seiner eindringlichen Musik und Bühnenperformance unzählige, auch zeitgenössische Bands, wie zum Beispiel Editors oder The Killers. Die Verfilmung von Curtis Lebens war damit eine Herausforderung, für die Corbijn jedoch schon allein durch seine eigene Biographie prädestiniert schien: Ein Joy-Division-Album inspirierte ihn Ende der 70er Jahre zum Umzug nach London, wo er Ian Curtis und seine Bandkollegen mehrmals persönlich traf, um Fotos von ihnen zu machen, mit denen er den Grundstein für seine eigene Karriere als Fotograf und Regisseur von Musikvideos, unter anderem für U2, Depeche Mode oder Nirvana, legte.
Vielleicht sind es gerade Corbijns persönliche Erfahrungen aus erster Hand, die "Control" besonders authentisch, fast schon dokumentarisch wirken lassen: So wurden Konzertauftritte bis ins Detail nachgestellt, die Schauspieler singen und spielen live. Der Film ist konsequent in schwarz-weiß gedreht und die Dreharbeiten wurden zum Teil an Originalschauplätze verlegt. Auch die großartige Schauspielleistung des bisher eher unbekannten Sam Rileys verstärkt den Dokumentarcharakter des Films, denn Riley sieht nicht nur aus wie Curtis, er singt auch wie er und schafft es, die inneren Konflikte und die Verzweiflung des schweigsamen Curtis anrührend und gleichzeitig glaubwürdig auf die Leinwand zu bannen. Schade nur, dass Corbijn sich teilweise zu sehr an belegte Fakten klammert, denn die Dialoge fallen eher spärlich aus. So erfährt man wenig über die Gedanken des schweigsamen Curtis.
Fazit: Mit "Control" ist Corbijn eine bewegende Biographie gelungen, die stets nah an ihrem Protagonisten bleibt und sein Schicksal in eindrücklichen Bildern schildert. Nicht nur für Joy-Division-Fans ein Pflichttermin!
Tipp: Wer die Zeitreise nach dem Film noch nicht beenden möchte, dem sei der Soundtrack mit Originalsongs von Joy Division sowie Iggy Pop, David Bowie oder New Order ans Herz gelegt.
TEXT: Elisabeth Kaulen BILDMATERIAL: Capelight Pictures