Schon die erste Szene des Sat.1-Movies "Wir sind das Volk" zieht die Zuschauer direkt ins Geschehen: Zwei Männer versuchen über den berüchtigten Todesstreifen die Mauer zwischen Ost und West zu überwinden. Mit zwei Holzleitern bewaffnet schleichen sie durch die Dunkelheit. Alarm wird ausgelöst, Schüsse peitschen, beide werden getroffen. Einer stirbt im Kugelhagel, der andere wälzt sich im letzten Moment verwundet über die Mauer. Was sich hier reißerisch lesen mag, ist filmisch wie musikalisch mit viel Fingerspitzengefühl gelöst.
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Vom kitschigen Titelzusatz "Liebe kennt keine Grenzen" sollten Sie sich bei dem Fernseh-Zweiteiler nicht täuschen lassen: Die TV-Produzenten von Sat.1 und ORF haben gemeinsam mit Olga Film die jüngste deutsche Historie spannend verfilmt, die Darsteller agieren großartig unprätentiös, die opulente Optik hat reichlich DDR-Patina. Szenenbildnerin Silke Buhr ließ schon in "Das Leben der Anderen" die DDR wieder auferstehen; auch in "Wir sind das Volk" installierte sie ein erstaunlich echt wirkendes DDR-Ambiente voll Liebe zum angegrauten Detail.
Es geht um die geschichtlichen Ereignisse kurz vor dem Zusammenbruch der DDR, um die Freiheit des Denkens und die Freiheit des Seins, und um Wege in die Freiheit. Regimekritiker Andreas Wagner flüchtet in den Westen und lässt seine Freundin Katja Schell (Anja Kling) zurück. Was er nicht weiß: Katja erwartet ein Kind von ihm.
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Sechs Jahre später, hunderte Ostdeutsche sind bereits in die Prager Botschaft geflüchtet, scheitert Katjas Flucht während eines Campingurlaubs in Ungarn. Hauptdarstellerin Anja Kling hat übrigens selbst eine DDR-Vergangenheit: Sie floh mit 19 Jahren über die ungarische Grenze in den Westen.
Katja landet im Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen. Mit Einzelhaft, Schlafentzug und den subtilen Verhörmethoden des Stasi-Offiziers Schäfer (Heiner Lauterbach) will die bereits angeschlagene DDR-Führung mehr erfahren über Katjas staatsfeindliche Kontakte.
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Ihr sechsjähriger Sohn Sven (Lino Sliskovic), den die ungarischen Grenzer in den Westen trieben, muss sich bei seinem ihm fremden Vater in West-Berlin einleben. Hier zeigt sich eine der Stärken des Films: Er etabliert mit Katja nicht etwa nur eine einzelne Heldenfigur, sondern erzählt auch die Schicksale der Menschen, die Katja nahe stehen.
Katjas Ex-Freund Andreas arbeitet inzwischen beim West-Fernsehen und versucht mit aus der DDR herausgeschmuggelten Aufnahmen von Massendemonstrationen den Druck auf das DDR-Regime zu erhöhen. Derweil riskieren Katjas jüngerer Bruder Micha (Matthias Koeberlin) und sein Kumpel Dirk (Ronald Zehrfeld) Kopf und Kragen, als sie die Montagsdemonstrationen filmen und das Band über Kontaktmänner in den Westen schmuggeln. Die beiden Figuren sind übrigens nur halb-fiktional. Ihre realen Vorbilder: Aram Radomski und Siegbert Schefke, die jahrelang Missstände in der DDR dokumentierten und ihre Aufnahmen ins westliche Ausland schmuggelten.
Im Herbst 1989 schließen sich immer mehr Menschen dem Widerstand an. Sogar Katjas junge Kollegin Jule (Anna Fischer), deren Vater Bernd (Jörg Schüttauf) als Oberst im Innenministerium arbeitet. Dass draußen die DDR zerfällt, davon erfährt Katja im Stasi-Knast nichts.
Ein TV-Movie, das unter die Haut geht - mit einem hochkarätigen Schauspieler-Ensemble, das seine Rollen glaubhaft verkörpert.
"Wir sind das Volk - Liebe kennt keine Grenzen" ist am 6. und 7. Oktober ab 20.15 Uhr auf Sat.1 zu sehen.