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Die echten Stars sitzen bei "Deutschland sucht den Superstar" vor der Bühne. Sie singen nicht und können es auch gar nicht, sie geben bloß ihren Senf zu dem, was sie hören und sehen. Das ist bedingt anspruchsvoll, und trotzdem ist die Jury, sind Dieter Bohlen in hohem Maße und Bär Läsker in kleinem die Hauptfiguren des Samstagabend-Events. Eine Frau aber stiehlt ihnen die Show: Jury-Mitglied Anja Lukaseder, 40, über die man eigentlich nur weiß, dass sie im Hauptberuf Musikmanagerin ist und vor vielen Jahren als Sängerin scheiterte.
Andreas "Bär" Läsker brummt, Dieter Bohlen ätzt. Die Anja aber menschelt. Zeigt echte Begeisterung, strahlt, wo sie kann - und wenn tatsächlich jemand vor ihr steht, der von sich überzeugt, aber komplett talentfrei ist, dann verpackt sie ihre Kritik immer so, dass der Möchtegern-Star trotzdem noch einigermaßen aufrecht nach Hause gehen kann. "Ich habe Respekt vor jedem, der sich traut, sich da hinzustellen", sagt sie einfach. Und so ist Lukaseder zwischen den beiden griesgrämigen Herren die gute Seele von Deutschlands größter Castingshow, ja, in ihrer zweiten Staffel "DSDS" hat sie sich zur Lichtgestalt entwickelt. Denn anders als ihre beiden Kollegen strahlt sie Güte aus und Menschenliebe. Sie sei, sagt sie, immer vom Glück gesegnet gewesen in ihrem Leben, von klein auf. Was klingt, als könne sie einfach viel zurückgeben; und doch verwundert es einen beinahe, sobald man mehr erfährt von ihrem Leben, ihrer Kindheit, den prägenden Jahren.
Bevor der Anruf von RTL kam, hatte sie sich einen Namen hinter den Kulissen der Musikbranche gemacht. War Managerin von Popbands wie Bro'Sis oder Outlandish, eine angenehme Geschäftspartnerin, immer freundlich, meist gut gelaunt. Überrascht hat es sie trotzdem, das Engagement bei RTL. Aber einer der von ihr betreuten Künstler sagte ihr, dass sie das verdient habe, als eine Art Belohnung. "Er meinte bloß: Das ist endlich mal was für dich, Luki, das machst du, wegen all der Dinge, die du vorher gemacht hast in deinem Leben", sagt Lukaseder. "Das hat mir eingeleuchtet. So gesehen: passt schon."
Nun gibt es Anja-Lukaseder-Fanpages im Netz, hysterische Anbetung, Liebesschwüre, Heiratsanträge. "Am Anfang fand ich das extrem befremdlich, weil ich das Gefühl hatte: So etwas steht nur Menschen zu, die irgendetwas erreicht haben mit ihrer Kunst", sagt sie mit ihrer rauen Stimme (eine Schachtel Zigaretten pro Tag). Sie sitze ja bloß im Fernsehen herum und sage ihre Meinung. Und bleibt damit übrigens komplett unter ihren Fähigkeiten. Vor allem: Organisieren. Damit hat Lukaseder schon nach dem Abi angefangen, als sie eine Agentur für Modenschauen gegründet hat. Für Adidas und Puma hat sie solche Events auf die Beine gestellt, Weltfirmen, die ganz in ihrer Nähe in Franken beheimatet waren, "das hat richtig gut funktioniert". Später organisierte sie nebenher Festivals eines bayerischen Radiosenders: "Richtiger Rock, in Ingolstadt waren mal 60 000 Leute da."
So rutschte sie ins Musikgeschäft, in die Welt der Festivals, die Welt der Heras-Zäune und Dixie-Klos. Sie machte ihre Sache gut. Auch, weil sie ein Harmoniemensch ist, alles, was sie erreichen möchte, zunächst einmal freundlich angeht. "Es gibt viele Manager, die überall reinrumpeln und sich wichtiger nehmen als ihre Künstler", sagt Lukaseder; "so viele Stars sind so unglaublich nett und haben die fürchterlichsten Leute als Manager. Ich mag keine verbrannte Erde - es soll für alle cool sein, alle sollen mit einem Lächeln nach Hause gehen."
Es hört sich warm an, wenn sie von ihrem Job erzählt. Sie lacht viel, dieses Anja-Lukaseder- Lachen, das von ganz tief innen kommt. Mit ihrer Stiefmutter diskutiert sie über die Kandidaten, auch mit ihren Brüdern, Zwillinge, elf Jahre älter, ein Ingenieur, ein Banker, gute, geregelte Jobs. "Manchmal habe ich schon Sehnsucht nach so einem geregelten Leben", sagt Lukaseder, "einem echten Alltag, in dem man um fünf den Computer ausmacht und nach Hause geht. Aber auf der anderen Seite habe ich immer Jobs gehabt, die mir Spaß gemacht haben, das halte ich für einen riesigen Luxus. Ich bin voller Demut dafür, dass ich immer etwas anderes mache, dass ich so viel Abwechslung habe." Mit Wärme spricht sie auch über ihre Herkunft. Sie hatte eine gute Familie um sich, tolle Großeltern auf dem Land in der Nähe von Würzburg. Eine unbeschwerte Kindheit war es trotzdem nicht ganz.
Anja Lukaseder war elf Monate alt, als ihre Mutter starb, von einem Tag auf den anderen, plötzlicher Herztod mit Anfang 40. Da stand ihr Vater nun da, allein mit drei Kindern im ländlichen Franken. Anja kam zu einer Schwester ihrer Mutter, die nahm sie mit nach New York. Für zwei Jahre lebte sie dort, fast wäre sie von ihrer New Yorker Tante adoptiert worden, doch dann holte der Vater sie zurück - er hatte eine neue Frau gefunden, eine neue Mutter für die Kinder. Lukaseder war zu klein, um zu begreifen; dass die neue Frau nicht ihre richtige Mutter war, wusste Anja nicht, und niemand sagte es ihr. Ein Kinderarzt hatte dem Vater geraten, den Tod der Mutter zu verschweigen. Es sei besser so, bloß keine Wunden aufreißen, sondern ihr eine normale Kindheit ermöglichen, hat er gesagt, und der Vater nahm den Rat an. Mit acht Jahren erfuhr Lukaseder es dann doch. Ihr Stief-Opa verplapperte sich aus Versehen in einem Gespräch mit der Nachbarin, sagte unbedacht, dass Anja nur angeheiratet sei. Was das bedeutete, fand Lukaseder schnell heraus, auch, dass ihre leibliche Mutter lange tot war. Aber ihre Großeltern baten sie, zu schweigen - ihr Vater wolle ihr alles erzählen, wenn sie 18 sei, dabei solle es bleiben.
Und so lebte dieses Mädchen zehn Jahre lang in einer absurden Situation: Sie wusste, dass ihre richtige Mutter tot war, musste aber gegenüber allen anderen, die über die Wahrheit im Bilde waren, so tun, als wüsste sie es nicht. Das war auch für ihre älteren Brüder schlimm, die zwölf Jahre mit ihrer Mutter gelebt hatten und nun überhaupt keinen Platz mehr für ihre Trauer hatten - die Mutter fand einfach nicht mehr statt, kein Bild, keine Erinnerung, alles für Anjas "normale" Kindheit. Die Familie mütterlicherseits wurde schweren Herzens einfach weggedrückt. Lukaseder begab sich trotzdem auf Spurensuche, fand Fotos, die sie jahrelang in ihrem Schulspind aufbewahrte. Aber sie hielt die Klappe. Für sich, ihren Vater und vor allem für die Stiefmutter, die sie so sehr liebte - Lukaseder hatte Angst, dass sie sie verlieren würde. Es sagt viel über Anja Lukaseder, dass sie ihre Kindheit trotzdem "glücklich" findet. Sie hat die Sache geklärt mit ihrem Vater, im Ansatz nach ihrem 18. Geburtstag, so richtig, bevor er vor elf Jahren starb und sie ihn bis zum Ende pflegte.
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Sie lebt jetzt in München, seit zehn Jahren, anfangs war es schwer, "man braucht ein bisschen hier, aber jetzt find ich's prima". Auf 56 Quadratmetern in Bogenhausen, die Isar nebenan, ein Hundeparadies für ihre Gina (eine langbeinige Parson- Russell-Hündin). Mittlerweile wohnt sogar ihr neuer Freund mit in der Dachgeschosswohnung. "Mit jemandem zusammenziehen - vor zwei Jahren hätte ich das nie zugelassen", sagt Anja Lukaseder, "beim Richard war das keine Frage. Wir kleben aneinander, da sind alle Dämme gebrochen bei mir." Ihr "spätes Glück" nennt sie das, die erste Beziehung mit dem Gefühl: könnte für immer sein. "Es macht einen großen Unterschied, sich mit 40 zu verlieben oder mit 20", sagt sie, "ich empfinde das heute als viel wertvoller, als Geschenk, als etwas, das es wert ist, bewahrt zu werden - früher habe ich es als selbstverständlich hingenommen." Möglich ist das nur, weil sie weniger arbeitet als früher. Ihr Körper hatte sich gewehrt gegen den Stress, das ewige Unterwegssein; zwei doppelte Bandscheibenvorfälle waren ihr Warnung genug.
Jetzt wird mehr gelebt, gesund gegessen, Yoga gemacht. Und geliebt: "Es war, als hätte ich Platz geschaffen für den richtigen Mann in meinem Leben, vorher hatte ich nie Zeit für so jemanden." "Deutschland sucht den Superstar" geht in die heiße Phase, am 17. Mai ist Schluss für diese Staffel. Anja Lukaseder ist felsenfest überzeugt von der Show. Bei manchen Sendungen bekomme sie eine Gänsehaut, "so gut sind die Leute teilweise". "DSDS" ist ein Forum, das diesen Jungs und Mädchen so nie wieder geboten wird: "Jeden Samstag live zur besten Sendezeit vor so einem Publikum zu singen - dafür würden viele etablierte Künstler alles geben. Das gibt's sonst nirgendwo", sagt Lukaseder. Es sei doch grandios, "diesen jungen Leuten diese Chance zu geben". Sie meint das so. Ihre Freundlichkeit ist aufrichtig, ihr Staunen, ihre Freude darüber, Teil des "DSDS"-Kosmos zu sein, auch. Am 3. Mai wird sie 41, live im Fernsehen, die drittletzte Folge läuft an diesem Abend. Sie hofft, dass keiner auf die Idee kommt, dort "Happy Birthday" für sie zu singen. Von wegen. Der ganze Saal wird für sie singen, weil alle sie mögen. Das wird schwer für sie und ihre Contenance. Aber niemand hat je behauptet, dass es leicht sei, ein Superstar zu sein.