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Model oder Mutti: Gibt es keine anderen Frauen im Reality-TV?

Model oder Mutti: Gibt es keine anderen Frauen im Reality-TV?
© Imago/Xinhua
Frauen in Reality-TV-Formaten sind immer gleich: Entweder Models oder Muttis und in jedem Fall ziemlich beschränkt. Warum gucken wir den Kram überhaupt, fragt sich BRIGITTE-Redakteur Henning Hönicke.

Frauen im Reality-TV: Duales System aus Model und Mutti

Neulich auf RTL:

"Ich hab den nicht geküsst. Absolute Lüge, das stimmt ü-ber-haupt nicht!"

"Ja, da bist du selber Schuld. Du denkst, du kannst machen, was du willst. Du musst das einfach mal akzeptieren, dass du hier nicht Number One bist. Und jetzt kann dich keiner mehr ab."

"Keiner kann mich ab? Stimmt nicht, mit Susi kann ich drei, vier Worte wechseln."

"Ja, mal gucken, wie lange noch."

Hier streiten keine Zwölfjährigen um den heißesten Jungen in der siebten Klasse, sondern Kandidatinnen der aktuellen Staffel um den "Bachelor". Die Teilnehmerinnen sind, zumindest auf dem Papier, erwachsen, toppen in ihren kindischen Stimmungsschwankungen aber locker jede Zweijährige.

Reality-Shows: Bescheuert, aber wir gucken sie trotzdem

Ich gucke mir sowas gern an. Das ist peinlich, aber wahr. Doch mittlerweile frage ich mich bei dem austauschbaren Zickenkrieg auf allen Kanälen, warum man solche Trash-Formate nicht auch mal mit anderen Frauentypen bestückt. Ob "Germany's Next Topmodel", "Frauentausch" oder Dschungelcamp - im Reality-TV kommen fast alle Teilnehmerinnen entweder aus der (möglichst blondierten) Schublade "potenzielle Fußballer-Spielerfrau" oder aus dem Topf "zu engagierte/zu faule Hausfrauen". Joan Bleicher, Medienwissenschaftlerin an der Uni Hamburg, bringt es in ihrer Analyse auf den Punkt: "Fasst man die Idealbilder unterschiedlicher Reality-Formate zusammen, so ist die Traumfrau schlank mit einer auffälligen Oberweite, die mit wenig Intelligenz und viel Aggressionsbereitschaft gegenüber ihren Geschlechtsgenossinnen einhergeht. Hat sie einen festen Partner, ist sie gleichzeitig Hausfrau und Mutter mit ausgeprägtem Sinn für Reinlichkeit und einem festen Glauben an die Gültigkeit traditioneller Werte. Ist sie weder schlank noch reinlich, und auch kein ausgeprägtes Muttertier, braucht sie dringend Hilfe von einem der zahlreichen Fernsehengel."

Männer geben den Ton an

Dazu gehört dann auch, dass diese Frauen möglichst durch Männer beurteilt, bewertet und aussortiert werden. Wenn bei "Germany's Next Topmodel" (für Fans kurz GNTM) Juror Thomas Hayo eine Kandidatin anmeckert mit dem Vorwurf: "Dein Body ist nicht in Bikini-Shape. Wenn du mir sagst, dass du hier zwei, drei Kilo zugenommen hast, dann kannst du dir nicht die Pommes mit viel Mayo und Ketchup reinpfeifen", muss diese mit den Tränen kämpfen. Wenn beim "Bachelor" die letzte Finalistin für die nächste Runde bekannt gegeben wird, freut sie sich wie die Siegerin einer Misswahl, während die "Verliererinnen" ihr tapfer applaudieren.

"Bachelor"-Kandidatinnen
"Bachelor"-Kandidatinnen
© RTL/Kass

Dass umgekehrt Frauen Männer bewerten, funktioniert eher nicht. Vor ein paar Jahren hatten wir auf Pro7 das Format "Die Schöne und der Freak": Da kümmerten sich Models um introvertierte Männer und spendierten ein umfassendes Coaching nebst Umstyling (jeder schüchterne Mann möchte in Wahrheit ein Abercrombie & Fitch-Model sein, logisch). Aber selbst bei dieser vermeintlichen Umkehrung des Reality-Standards ging es natürlich wieder in erster Linie um das bewährte "Barbie"-Frauenbild (nur jetzt noch mit zusätzlichen Mutterqualitäten, zwei Klischees zum Preis von einem). Das Ganze floppte bei Zuschauern und Kritikern - keiner wollte Frauen sehen, die an Männern herumkritteln. Die Website "jetzt.de" (ein Ableger der "Süddeutschen Zeitung") urteilte damals: "Die Unerträglichkeit, mit der (die Moderatorinnen) Jana Ina Zarella und Monica Ivanca Menschen vorführen, wird nur überboten von der Unverfrorenheit, mit der sie ihre eigene Beschränktheit zum gesellschaftlichen Standard erheben." Ein schöner Satz, den man prima auf Thomas Hayo und die restliche Jury von GNTM übertragen kann.

Und wer ist schuld? Wir selbst

Aber warum gucken wir den Kram überhaupt, wenn dort nur verstörende Frauen-Karikaturen zu sehen sind? Das liegt jedenfalls nicht nur an den Männern, die sich bei GNTM über die Miniröcke freuen, und die es nicht so eng sehen, wenn eine Kandidatin erst in die neunte Klasse geht. Nein, Hauptzielgruppe sind Frauen. Und Frauen gucken anderen Frauen gerne beim Doofsein zu, die Quoten sprechen da eine deutliche Sprache. Aber warum? Die Antwort ist so unschön wie offensichtlich: Weil man sich im Vergleich mit der hysterischen Freakshow selbst viel besser und wahnsinnig überlegen fühlen darf. Oder, wie Joan Bleicher BRIGITTE sagte: "Die Zuschauerinnen grenzen sich von dem gezeigten Verhalten der Reality-Kandidatinnen ab und fühlen sich in ihrer eigenen Normalität bestätigt".

Stehen wir dazu: Der Spaß an den meisten Reality-Formaten ist der wohlige Grusel, die heimliche Überlegenheit: "Haha, ich bin nicht wie die!" Und nein, keine Sorge, ich steige jetzt nicht auf das "Wie könnt ihr nur?"-Podest, um mich meinerseits überlegen zu fühlen (jegliche moralische Überlegenheit habe ich spätestens mit dem Konsum von zwei Staffeln "Flavor of Love" verspielt). Was ich mich trotzdem frage: Ist es das wert?

Ich esse gerne Junkfood und nehme in Kauf, dass meine Pommes und Burger weder gesund noch gut für die Umwelt sind. Junk-TV hat auch üble Nebenwirkungen (erhöhtes Risiko für Essstörungen bei GNTM-Guckerinnen, Propagierung von Frauenbildern, die es maximal ins Parteiprogramm der CSU schaffen sollten) - aber ich kriege nicht einmal den Unterhaltungs-Gegenwert von "Hmm, lecker!", den mir ein fettiges Stück Pizza gibt.

Ehrlich gesagt, ist Zicken beim Zicken zugucken nach so vielen Jahren ganz schön langweilig geworden. Die meisten Reality-Formate gucke ich aus Gewohnheit, wenn ich beim Durchzappen hängenbleibe. Und wie man abgestumpfte Zuschauer wie mich bei der Stange hält, sehe ich in den USA: Dort sind die Kandidatinnen in vergleichbaren Shows noch zehnmal aggressiver und prügeln sich so oft und selbstverständlich wie in einem Bud-Spencer-Film. Brauche ich das jetzt auch noch im deutschen Fernsehen?

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"Als beste Waffe der ZuschauerInnen kann immer noch der Abschaltknopf fungieren", gibt mir Prof. Bleicher mit auf den Weg. Jaja, sie hat natürlich Recht. Also, liebe Trash-Formate: Ich habe leider kein Foto, keine Rose und vor allem keine Zeit mehr für euch. Und falls ich doch irgendwann wieder Sehnsucht nach Drama, Tränen und ungehemmter Wut habe, kaufe ich meinen beiden Kindern ein neues Spielzeugauto. Unter der Bedingung, dass sie "gerecht teilen".

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