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Interview: Sally Hawkins über die rosarote Brille

"Glück hat nichts mit Erfolg zu tun", sagt die britische Schauspielerin Sally Hawkins. In ihrem neuen Film spielt sie eine unverbesserliche Optimistin - und läuft seitdem immer noch mit einem Dauergrinsen im Gesicht herum.

Bislang war sie vor allem in Nebenrollen zu sehen. In diesem Jahr hat die Schauspielerin einen wahren Kickstart hingelegt: Im neuen Woody-Allen-Film "Cassandras Traum" beglückt sie Colin Farrell mit Fish and Chips, und als quirlige Poppy in Mike Leighs "Happy-Go-Lucky" verzauberte sie das Berlinale-Publikum und gewann den Silbernen Bären. Beide Filme sind jetzt im Kino zu sehen. Hawkins, die als Tochter zweier Kinderbuch-Illustratoren in London geboren wurde, wusste schon mit zehn, dass sie später gern Leute zum Lachen bringen würde. Sie schreibt Texte für britische Comedy-Serien und identifiziert sich mitunter so mit ihren Charakteren, dass selbst ihre Freunde sie in ihren Rollen kaum wiedererkennen. Dank Poppy ist sie zur Glücksexpertin geworden.

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BRIGITTE: Von der Berlinale durften Sie einen Silbernen Bären mit nach Hause nehmen - schweben Sie jetzt mit ihm auf Wolke sieben?

Sally Hawkins: So ein Bär ändert dein Leben nicht grundlegend. Er lässt die Leute nur etwas aufmerksamer werden. Im Moment wollen so viele Menschen mit mir reden. Ich glaube, das liegt an ihm.

BRIGITTE: So richtig himmelhoch jauchzend klingt das aber nicht.

Sally Hawkins: Doch! Ich bin sogar sehr glücklich. Aber nicht, weil ich für "Happy-Go-Lucky" den Schauspiel-Bären bekommen habe, sondern weil ich so stolz auf meine Rolle in diesem Film bin.

BRIGITTE: Jetzt kokettieren Sie aber.

Sally Hawkins: Nein. Erfolg ist eine sehr zweischneidige Sache: Ich möchte noch sehr lange durch die Straßen gehen können, ohne von Paparazzi abgeschossen zu werden. Und warum müssen Erfolge im Lauf eines Lebens eigentlich immer gewaltiger werden? Als ich gerade frisch von der Schauspielschule kam, habe ich mich schon wie eine Schneekönigin gefreut, wenn mir überhaupt jemand auf einen Bewerbungsbrief geantwortet hat. Warum sind wir mit den kleinen Triumphen irgendwann nicht mehr zufrieden?

BRIGITTE: Gute Frage – was meinen Sie?

Sally Hawkins: Ich meine, dass wir uns viel unabhängiger von Erfolgen oder Leistungen machen sollten. Davon hängt unser Glück nicht ab. Ich bin sehr froh, in meinem Beruf voran.

BRIGITTE: Hat der britische Filmemacher Mike Leigh Sie deshalb für die Figur der Poppy in "Happy-Go-Lucky" ausgewählt?

Sally Hawkins: Möglich. Poppy hat sich bewusst dafür entschieden, ihr Leben so und nicht anders zu leben. "Jeder ist für sein Glück selbst verantwortlich", sagt sie im Film.

BRIGITTE: Sie mögen diese Poppy gern, diesen Londoner Sonnenschein, der durch die Welt hüpft, als sei sie ein Vergnügungspark?

Sally Hawkins: Als ich anfing, mich mit ihrem Charakter auseinanderzusetzen, merkte ich, dass ich viel von ihr lernen kann: Ihre Fähigkeit, das Leben zu nehmen, wie es ist, und Dinge einfach passieren zu lassen, ist fast schon erschreckend. Einmal wird ihr Fahrrad gestohlen, und sie sagt nur: "Oh, ich konnte mich gar nicht von ihm verabschieden." Ich hätte mich da erst mal wahnsinnig aufgeregt. Gebracht hätte das natürlich nichts

BRIGITTE: Was ist das Besondere an Poppy?

Sally Hawkins: Da ist etwas Magisches zwischen uns. Und irgendwie ist sie immer noch um mich . . . Man muss sie einfach lieben. Sie ist so eine warmherzige, mitfühlende, witzige, optimistische Person, die wahnsinnig offen auf Menschen zugeht. "Unbeschwert" (deutsch für "happy-go-lucky") ist ein blödes Wort, aber das trifft es wirklich am besten. Für Poppy ist das Glas immer halb voll. Sie setzt die rosarote Brille einfach nie ab.

BRIGITTE: Sie haben diese Brille dann ja auch aufgesetzt. Was sieht man denn durch ihre getönten Gläser?

Sally Hawkins: Mehr von anderen und weniger von sich selbst. Man nimmt die eigene Person plötzlich nicht mehr so wichtig. Und wenn man die Brille nur lange genug aufhat, färbt das Rosarot auch ab. Ich wurde nach dem Film gefragt, ob es nicht anstrengend sei, ständig ein Dauergrinsen im Gesicht haben zu müssen. War es aber keine Sekunde lang. Ich fühlte mich einfach nur großartig.

BRIGITTE: Drogen haben Sie dafür aber nicht genommen, oder?

Sally Hawkins: Negative Gedanken sind doch viel wirkungsvollere Drogen. An ihnen kann man sich so richtig schön berauschen, von ihnen kann man sich total betäuben lassen. So sehr, dass man irgendwann nicht mehr ohne sie kann. Da soll unerschütterlicher Optimismus gefährlicher sein?

BRIGITTE: Färbt dieses starke Rosarot irgendwann auch auf andere ab?

Sally Hawkins: Nicht auf alle. Viele reagieren sehr irritiert. Poppys misanthropischer Fahrlehrer Scott etwa: Je fröhlicher sie ihm begegnet, desto aggressiver wird er. Er kann mit ihrer sonnigen Art nicht umgehen, weil er das Leben nicht so umarmen kann wie sie. Die rosa Brille macht eben auch etwas in anderen Menschen sichtbar, das sonst verborgen bleibt. Sie zeigt ihnen, wie es in ihrem Innern aussieht, wo sie wirklich stehen. Und das zu sehen gefällt vielen gar nicht.

BRIGITTE: Poppy glaubt dennoch, sie könne alle Menschen glücklich machen.

Sally Hawkins: Sie ist nicht dumm. Sie weiß, dass man Menschen nicht zu ihrem Glück zwingen kann. Sie will ihnen nur gern das geben, was sie brauchen. Aber nicht jeder möchte das auch annehmen . . .

BRIGITTE: . . . und rennt lieber sehenden Auges in sein Unglück.

Sally Hawkins: Für viele ist es einfach zu schmerzhaft, die Maske fallen zu lassen und vielleicht das Gesicht zu verlieren. Dabei sind wir alle doch nur kleine Jungs oder Mädchen, die ganz viel Liebe brauchen.

BRIGITTE: Sie sagen das jetzt tatsächlich völlig unironisch, oder?

Sally Hawkins: Unsere Zeit ist schon ironisch genug. Es ist heute so trendy und cool, allem mit Ironie oder beißendem Zynismus zu begegnen. So muss man ja auch nicht zeigen, was man wirklich denkt und fühlt, sondern hat immer Oberwasser, kann die Untiefen umschiffen und am sicheren Rand entlanggleiten. Eigentlich ziemlich feige.

BRIGITTE: Sind Sie nie ironisch?

Sally Hawkins: Ständig. Macht ja leider auch extrem viel Spaß. Es ist so leicht, der Ironie in die Falle zu gehen. Und eigentlich so blöd.

BRIGITTE: Und wie kommt man aus der Ironie-Falle wieder heraus?

Sally Hawkins: Schnell die Poppy-Brille wieder aufsetzen! Das bedeutet: aus sich herauskommen, neugierig auf die Welt und ihre Bewohner sein. Ich weiß schon ganz gut, wie das Leben spielt. Heute denkst du: Was bin ich für eine klasse Frau - und morgen: Was ist bei meiner Geburt bitte falsch gelaufen? Es geht nicht darum, Schlechtes einfach auszublenden. Aber wenn ich mich schlecht fühle, muss ich mich selbst da rausholen. Ich muss meine Brille eben wiederfinden, wenn ich sie mal verlegt habe.

BRIGITTE: Wo liegt sie denn gewöhnlich?

Sally Hawkins: Manchmal vergesse ich sie bei meinen Freunden. Mit ihnen zu lachen oder, noch viel besser, sie zum Lachen zu bringen, vertreibt düstere Gedanken immer sehr schnell. Liebesgeschichten kommen und gehen. Freunde sind das Fundament, auf das man sich verlassen kann.

BRIGITTE: Und wenn niemand zur Stelle ist?

Sally Hawkins: Ich liebe das Autofahren. So schnell wie möglich. Dieses Raser-Gen habe ich von meiner Mutter geerbt. Wenn du dann aussteigst, sieht die Welt schon ganz anders aus. Aber ehrlich gesagt: Ich habe gar kein Auto. Ich hätte gern eines dieser lustigen Elektro-Cars. Doch dafür müsste man das Ladekabel von meiner Wohnung über mehrere Balkone nach unten zur Straße ziehen. Das wäre ziemlich aufwändig.

BRIGITTE Heft: 15/08 Interview: Sina Teigelköttter

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