Vulgär, gefährlich und gleichzeitig sehr süß
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Nicolette Krebitz, 36, Schauspielerin und Regisseurin, ist bis Ende Juni und ab November im Berliner Theater am Kurfürstendamm zu sehen. Mit Jasmin Tabatabai und Katja Riemann spielt sie in Tschechows "Drei Schwestern"
Als ich Madonna 1983 zum ersten Mal im Fernsehen sah, wusste ich sofort: Die werde ich nie wieder los!
Madonna war vulgär, gefährlich und gleichzeitig sehr süß. Während alle anderen Pop-Frauen eher wie Puppen daherkamen, war Madonna der pure Sex. Plötzlich räkelte sich da eine Frau selbstbewusst auf dem Boden herum und machte, was sie wollte. Madonna ist nicht gerade mit einer Wahnsinns-Stimme beschenkt worden. Was sie ausmacht, ist ihr Gesamtwerk - der Ausdruck ihrer großen, nie versiegenden Lust. An der Musik, am Tanzen, an Spaß, an Männern und an Frauen. Eine Wiederholung wäre ihr zu langweilig, und deshalb ist sie auch nach all den Jahren immer noch da. Ich hätte gern so wenig Angst wie sie davor, peinlich zu sein. Sie besitzt die Fähigkeit, der Welt erhobenen Hauptes entgegenzurufen: "Na und? Mir gefällt das!"
Madonna gibt einem die Zuversicht, dass sich auch eine Frau in unserer sehr männerdominierten Welt verwirklichen kann. Und zwar nicht dadurch, dass sie sich beschwert, sondern indem sie die Sache einfach anpackt. Sie sagt feministische Dinge und findet Männer trotzdem toll. Madonna hat die Welt schon dadurch zu einem besseren Ort gemacht, weil sie so vielen Mädchen und Frauen gezeigt hat, wie großartig es ist, eine Frau zu sein. Ich bewundere sie dafür, ihre Sexualität auszuleben, ohne darüber nachzudenken, wie das ankommt. Madonna ist frei und authentisch - bei ihr habe ich immer das Gefühl, ich kann sie riechen. Wenn Madonna mit einem Mann zusammen war, dann nie, weil er ihr beruflich weiterhelfen konnte, sondern aus Liebe. Sie war verknallt und hat Fehler gemacht, wie es jedem anderen in der Liebe auch passiert.
Nach jedem Beziehungsende ist sie, trotz mancher Demütigungen, voller Würde wieder aufgestanden und hat weitergemacht. Ich habe schon darüber nachgedacht, Madonna in einem meiner Filme zu besetzen, falls das möglich ist. Als Schauspielerin fand ich sie immer erfrischend. Ich würde sie gern ungeschminkt sehen, vielleicht in der Rolle einer Frau, die man wie ein Orakel befragt. Aber natürlich weiß man bei Madonna nicht, ob der Film am Ende so wäre, wie ich ihn mir als Regisseurin vorgestellt habe, oder ob es nicht eher der Film wird, den Madonna im Kopf hatte. Das Risiko würde ich eingehen.
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Seelenlose Perfektion mit einem Herzen aus Stahl
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Stefanie Hellge, 37, BRIGITTE-Redakteurin
In meinen Augen ist Madonna eine von Minderwertigkeitskomplexen getriebene, gefallsüchtige Irre mit einem Herzen aus Stahl, die ihren Körper hochgetunt hat, um ihre innere Bedeutungslosigkeit zu kompensieren. Madonna hat sich während ihrer ganzen Karriere fast ausschließlich über ihren Körper definiert, ihr Ruhm basiert - mal abgesehen von der Musik - vor allem darauf, dass sie ihre Brüste in spitze Metalltrichter von Jean Paul Gaultier gestopft hat. Und nie, nicht ein einziges Mal in all den Jahren, sah man irgendwo ein Gramm Fett, ein schlecht platziertes Körperhaar oder einen verrutschten Träger. Madonna war und ist seelenlose Perfektion.
Ich weigere mich, diese Maschine als weibliches "role model" zu sehen. Wenn ich höre, dass Madonna sogar als feministische Ikone bezeichnet wird, könnte ich kotzen. Auch weil diejenigen, die sie so nennen, also vor allem Modemacher, Fotografen oder andere Künstler, Madonna stets nur als Projektionsfläche für ihre eigenen Ideen benutzt haben. Was gibt es Besseres als eine perfekte Hülle ohne störenden Inhalt? Mit diesem hochinteressanten Frauenbild wächst leider auch Madonnas Tochter Lourdes auf, die bis heute nicht fernsehen darf, aber dafür bereits ihren 11. Geburtstag im Schönheitssalon feierte. Madonna hat alles erreicht und könnte nun in Würde altern, aber stattdessen sucht sie auch mit 50 Jahren noch nach körperlicher Perfektion: Auf ihrer aktuellen CD "Hard Candy" posiert sie breitbeinig in Netzhöschen und Lacklederstiefeln. Ihre Oberschenkel sind ein Meisterwerk der Retuschierkunst.
Manchmal stelle ich mir vor, ich würde mit einer langen spitzen Nadel direkt in einen dieser Schenkel pieksen. Ich bin sicher, Madonna würde nicht einmal quieken. Alles, was dabei herauskäme, wäre eine große Menge heißer Luft.
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Mama Madonna
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Christiane Rebmann, 53, Musikjournalistin
Seit 1992 habe ich Madonna fünfmal zu Interviews getroffen. Beim ersten Treffen trug sie ihre Marlene-Dietrich-Verkleidung und erinnerte an die Figuren der Malerin Tamara de Lempicka, deren Bilder sie sammelte. Sie hatte eine dicke Schicht Make-up aufgetragen, wie einen Schutzschild. Ich fand es erst mal schwierig, darunter den Menschen Madonna zu finden. Beim zweiten Mal 1995 war sie dezent geschminkt, hatte etwas Gewicht zugelegt und bereitete sich auf ihre Hauptrolle in "Evita" vor.
Sie wirkte viel zugänglicher als bei unserer ersten Begegnung und schwärmte verliebt von ihrem Fitnesstrainer Carlos Leon. Damals war ihr Leben im Umbruch. Sie hatte sich mit diversen Weltreligionen auseinandergesetzt und mit Ashtanga- Yoga begonnen. Neugierig fragte sie mich aus, wie ich Muttersein und Karriere vereinbare. Ein paar Monate später kam die Meldung, sie sei schwanger - von Carlos Leon. Von da an hatten wir ein gemeinsames Gesprächsthema: Kinder und Familienleben. 1998 erzählte sie sehr zärtlich von ihrer Tochter. Im Jahr 2000 packte ich dann gerade für unseren Familienurlaub, als der Anruf kam: "Madonna gibt ein einziges Interview zu ihrem Album 'Music'. Morgen um sechs fliegst du." Na gut, dann eben über Los Angeles in den Urlaub nach Mallorca. Meine Familie war nicht gerade begeistert. Madonna - hochschwanger mit ihrem Sohn Rocco - war ungeschminkt und futterte wacker rote Erdbeerlakritzstangen in sich rein. Das erinnerte mich an meine Schwangerschaft.
Sie erzählte locker aus ihrem Familienleben: "Guy findet es zwar nicht gut, wenn ich darüber spreche. Aber bei uns fliegen oft ganz schön die Fetzen. Er ist nicht dumm und hat einen starken Willen. Genau wie ich. Das geht ganz schön ab." Als ich von dem Termin zurückkam, riss mir meine damals 18-jährige Tochter die neue CD aus den Händen und kopierte eine Zeit lang begeistert Madonnas neuen Glitzer-Cowboy-Look. Als sie 2006 für ihr Album "Confessions On A Dance Floor" im lila Gymnastikanzug auftrat und sich von jugendlichen Tänzern herumwirbeln ließ, waren meine Tochter und ich uns allerdings einig: peinlich. Das Album fand ich aber klasse. Meine Tochter nannte es etwas enttäuscht "Turn-Album". Bei unserem Interview in diesem Jahr wirkte Madonna sehr erschöpft und verletzlich.
Was sie von ihrer Ehe mit Guy Ritchie erzählte, klang reifer, aber auch etwas desillusioniert: "Wir haben den Glauben aufgegeben, dass es den idealen Partner gibt." Inzwischen hat sie drei Kinder, Lourdes, Rocco und Adoptivsohn David. Als sie von ihnen erzählte, lebte sie auf: "Sie sind alle drei sehr verschieden, das ist toll, wir haben viel Spaß zu Hause." Allerdings habe sie mit ihrer pubertierenden Tochter manchmal schon ganz schön Zoff. Nur die Frage nach ihrem Geburtstag regte sie auf. "50 ist eine Zahl wie jede andere", antwortete sie. "Ich denke, wenn man es anders sieht, hat das mit Konditionierung zu tun."
<il href="http://www.brigitte.de/kultur/leute/madonna/index.html?p=4">Auf der nächsten Seite: Sängerin Jenniffer Kae</il>
Gewaltiges Vorbild
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Jenniffer Kae, 20, Sängerin.
"Like a Prayer" ist meine erste Erinnerung an Madonna. Wie sie da in der Kirche tanzt mit ihren langen braunen Haaren. Ich habe mitbekommen, dass ein Riesenwirbel gemacht wurde, aber nicht ganz verstanden, warum. Ich fand das Video super, vor allem die Gospelchöre am Schluss. Ich mag es, wenn ein Song sich langsam steigert und am Ende ganz groß wird. Genau wie bei meiner ersten Single "Little White Lies": Das Stück ist ähnlich aufgebaut, und am Ende setzt ein riesiger Gospelchor ein. Dahinter steckt dieselbe Idee, obwohl sich die Songs natürlich stilistisch total voneinander unterscheiden.
<il href="http://www.brigitte.de/kultur/leute/madonna/index.html?p=5">Auf der nächsten Seite: Daniela Zapf</il>
So wollte ich aussehen, so wollte ich sein!
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Daniela Zapf, 35, arbeitet in der Reisebranche
Die Zeiten waren nicht einfach. Ich war zwölf und wurde in Cafes gefragt: "Und was bekommt der junge Herr?" Mein Kleinstadt-Alltag war grau und ohne Ziele. Bis Madonna kam und alles veränderte. Ich erinnere mich genau an den Moment, als sie in mein Leben trat. Bette Midler kam auf die Bühne des Live Aid Konzerts und sagte: "She's great, she's young, she's a bit like a virgin! She's Madonnaaaa!"
Ich saß vor dem Fernseher, und mein Herz schlug schneller. So wollte ich aussehen, so wollte ich sein. Meine Freundin Katrin und ich zogen sofort los, um uns die entsprechende Ausstattung zu kaufen: pinkfarbene Lippenstifte, neonfarbenes Haargel und Strumpfhosen in Neongrün und Pink, die wir daheim zu Haarbändern umstylten. Ergänzt wurde das Outfit von Strapsen, Korsagen, Pumps und alten Vorhängen, die wir Katrins Mutter abluchsten. Leider machten uns unsere besorgten Eltern einen Strich durch die Rechnung, als wir - zwei wunderschöne, weltgewandte Madonnas ausgehen wollten. Mein Vater benutzte zwar das Wort "Straßenschwalben", meinte aber: So nuttig geht meine Tochter nirgendwohin! Fortan mussten wir unsere Leidenschaft im Geheimen leben. Mit ungebrochenem Enthusiasmus stylten wir uns nur für den Badezimmerspiegel und für die Kamera, die ich zur Kommunion bekommen hatte.
Madonnas Songs nahm ich während "Formel Eins" aus dem Fernsehen auf: Kassettenrekorder direkt am Lautsprecher, Pausentaste gedrückt, und wenn ich aufgeregt "Cause the boy with the cold hard cash is always Mister Right" mitschnitt, rief meine Mutter: "Essen ist fertig!", und das war dann mit drauf (und ist es bis heute). Madonna lebte alles, was ich nicht konnte und durfte. Sie war das Mädchen aus katholischem Hause, das konsequent sein Ziel verfolgt und dabei keine Kompromisse eingeht. Damit hat sie meine Träume dieser Jahre für mich mitgelebt.
<il href="http://www.brigitte.de/kultur/leute/madonna/index.html?p=6">Auf der nächsten Seite: Schauspielerin und Sängerin Maren Kroymann</il>
Zuhälterin, Sexobjekt - und Feministin
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Maren Kroymann, 58, Schauspielerin und Sängerin.
Gerade hat sie ihren neuen Film "Das Fremde in mir" in Cannes vorgestellt. Für mich liegt Madonnas Bedeutung in ihrer Selbstzelebration als sexuelles Wesen. Endlich sagte eine Frau: Ich zeige mich, wie ich will, als Sexualsubjekt sozusagen. In meiner Generation sind Frauen ja immer inszeniert worden - als Schauspielerin wartete man auf den Regisseur, der einen groß rausbringen konnte, als Sängerin auf den Produzenten. Madonna war die Erste, die das selbst in die Hand nahm. Sie hat die absolute Kontrolle über ihre Präsentation, über die Produktion ihrer Musik und das, was sie sagen will.
Ein wichtiger Aspekt, den die Frauenbewegung lange nicht verstanden hat: Es geht nicht nur ums Ideologische, sondern auch ums Geld. Daran, wie viel man verdient, bemisst sich die Macht, mit der man die Inhalte bestimmen kann. Madonna ist sozusagen das Zwischenglied zwischen Alice Schwarzer und Verona Feldbusch. Richtig großartig finde ich Madonnas Bildband "Sex", das war Neuland im Grenzgebiet zwischen Kunst und Pop. Aktfotos von sich produzieren zu lassen und Gestaltung und Vermarktung selbst in der Hand zu haben eine große Provokation. Bei Sexfotos vermutet man ja immer einen Zuhälter in der Nähe, der eine Frau so inszeniert, wie andere Männer sie sehen wollen. Madonna hingegen ist Zuhälter und Sexobjekt in einem. Sie inszeniert sich mit diesem Stück Exhibitionismus, den man sonst eher Männern zugesteht. Dazu gehört ein wahnsinniges Ego.
Ihr Ehrgeiz wirkt zwar ein wenig anstrengend, aber es ist gut, dass es eine Frau mit so einem stählernen Erfolgswillen gibt. Das ist zwar nicht unbedingt sympathisch, aber man ist ja auch nicht auf dieser Welt, um nett gefunden zu werden. Viele Feministinnen meiner Generation haben Berührungsängste mit Nacktheit und ihrer Darstellung. Unser Körper war uns ja nicht gerade am nächsten, weil man durch ihn erniedrigt werden konnte. Madonna war in dieser Hinsicht bewusstseinserweiternd. Bei ihr ging es ums Ich-Sagen, um die eigene Sexualität, um das eigene Körpergefühl. Madonna ist eine Vermittlerin, die feministische Gedanken auf Mainstream-Niveau gebracht hat. Bei ihr haben es wirklich alle kapiert.
Allgemeingut wird ein Gedanke eben immer erst, wenn er in der Hitparade war. Grundsätzlich ist es gut, dass sie diese Haltung auch mit 50 noch hat; Frauen werden in diesem Alter ja irgendwann nicht mehr als sexuelle Wesen betrachtet. Allerdings sehe ich ihre Bearbeitung des eigenen Körpers kritisch - das ist eigentlich unsouverän, schließlich sollte die Jugend für sie nicht der Maßstab sein. Ich finde es toll, wenn sich eine Frau kraftvoll und selbstbewusst erotisch inszeniert, aber so alt aussieht, wie sie ist. Wer gut aussehen will, muss sich nicht liften lassen, mutiger und wegweisender ist es, darauf zu verzichten. Madonna hat gezeigt, dass ein Idol die Leute mitnehmen und mit Neuem überraschen kann. Sie hat den Entwicklungsgedanken aus der humanistischen Bildung in den Mainstream geholt.
"Sich neu erfinden" ist inzwischen eine Modefloskel - die gedankliche Urheberin ist Madonna. Für mich ist sie damit auch ein Vorbild dafür, dass man in seinem Leben unterschiedliche Sachen machen und diverse Seiten von sich zeigen kann. In meinem Programm "Gebrauchte Lieder" trage ich übrigens auch einen Cowboyhut wie Madonna aufdem Plattencover von "Music". Da ich meinen allerdings schon ein Jahr vorher hatte, kann ich immer sagen: Das hat Madonna von mir geklaut.
<il href="http://www.brigitte.de/kultur/leute/madonna/index.html?p=7">Auf der nächsten Seite: Modedesignerin Anna Fuchs</il>
Sie macht Kommerz aus jedem Trend
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Anna Fuchs, 34, Modedesignerin in Hamburg
Ich finde Madonnas Kleidungsstil sehr uneigen und kommerziell - man merkt, dass sie eine Armee von Stylisten und Zeitgeistberatern hat, die ihr sagen, was sie anziehen soll. Bei ihren Klamotten wird nichts dem Zufall überlassen, Madonna folgt morgens beim Anziehen keiner Tageslaune, sondern einer genau durchdachten Planung: Hauptsache, die Kleidung ist zielgruppentauglich.
Bei ihrem aktuellen Video "4 Minutes" habe ich mich zum ersten Mal sogar richtig fremdgeschämt. Da hat Madonna etwas Schrulliges, Freakiges, im negativen Sinn. Ihr auf jung retuschierter Körper neben dem 22 Jahre jüngeren Justin Timberlake - einfach grotesk. Warum kann Madonna den "jungen Leuten" nicht ihr eigenes Ding lassen? Warum muss jeder Jugendtrend sofort von ihr aufgegriffen und kommerzialisiert werden? In sich ruhen, authentisch rüberkommen, bescheiden wirken, weil man sich nichts mehr beweisen muss, elegant sein - das fände ich sexy und adäquat.
Am authentischsten finde ich Madonna deshalb, wenn sie joggen geht. Der Jogginganzug wirkt als einziges Kleidungsstück nicht so, als sei es vorher mit einem Stylisten abgesprochen worden.