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Deutsche Wörter liegen im Ausland im Trend. Ob Kindergarten, Zeitgeist oder auch Gemütlichkeit - die Welt nutzt die deutsche Sprache, um sich auszuhelfen. Der Autor Sven Siedenberg hat in seinem Buch "Besservisser beim Kaffeeklatsching - Deutsche Wörter im Ausland", erschienen im HEYNE Verlag, rund 260 dieser Germanismen gesammelt und lexikalisch aufbereitet. Klicken Sie sich durch beliebte Beispiele.
Kitsch
Reizvokabel für die Gralshüter des hehren Kunstgeschmacks. Trieft und schmalzt. Entstand um 1870 in der Münchner Kunstszene als Bezeichnung für schnell hingeworfene, aber gut verkäufliche Bilder. Etablierte Künstler empörten sich über die billige Konkurrenz, die ihr Metier in Verruf brachte. Mit dem Aufkommen des Jugendstils verbreitete sich der Begriff immer mehr, bis hinein in die Alltagssprache. Im "Oxford English Dictionary" verzeichnet, neben "kitschy" und "kitschiness". US-Amerikaner und Briten bringen "kitsch" reflexartig mit den plüschigen Märchenschlössern des Bayernkönigs Ludwig II. in Verbindung.
Neben den Kombinationen "counter-kitsch" "kitschmerchant" und "porno-kitsch" existieren speziell im amerikanischen Englisch: "Biedermeier kitsch", "Classical kitsch" und "kitschy Americanness"; letzteres beschreibt neuzeitliche Erscheinungen wie die Elvis-Pilgerstätte in Graceland oder die Kitschhölle von Las Vegas, wo auch eine Replik des Hofbräuhauses steht. Im Französischen ist das Wort "Kitsch" seit 1962 in Umlauf.
Man schreibt es klein und gerne auch ohne -s ("kitch"). Es dient auch als Wortbildungslement: "Kitsch-grec", "Kitschromain", "Kitsch-Henri II", "Kitschroman", "Kitsch-gotique", "Kitsch-roccoco". Auch im Finnischen, Französischen, Griechischen ("Kits"), Italienischen, Portugiesischen, Russischen ("kittsch") und Spanischen bekannt.
Biergarten
Ort des Rausches mit bayerischen Wurzeln. Bereits die ersten deutschen Amerika-Einwanderer legten 1695 in Germantown nahe Philadelphia kastanienbeschattete Biergärten an. Schluck für Schluck trieben die Deutschen auch den Ausbau der Bierproduktion voran, in den Großstädten des Ostens wie in den aufblühenden Städten des Mittleren Westens. Die dortigen deutschen Brauereien wurden im Baedeker "United States" von 1909 sogar zu Sehenswürdigkeiten erklärt. Vertrieb und Verkauf organisierten ebenfalls meist Deutsche.
Überall eröffneten sie Hotels, Gaststätten, Wirtshäuser und gemütliche Biergärten, die als Schankstelle "katholischer Erfrischungsgetränke" geschätzt wurden, und auch als Futterkrippe von Brezeln, Hendln und Hax’n. Das Wort "beer garden" breitet sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu den trinkfesten Briten aus, und mit ihm, begleitet von einem speziellen "All-you-can-drink"-Gefühl, weiteres bierspezifisches Vokabular, etwa "Stein" als verkürzte Bezeichnung von Steinkrug. Gefüllt wird er mit deutschem Bier.
Bismarckhering
Wilhelminische Finger-Food-Variante. Außerhalb Deutschlands begegnet man ihr zumeist in amerikanischen Edel-Restaurants und Delikatessenläden. Die in eine saure Marinade aus Essig, Speiseöl, Zwiebeln, Senfkörnern und Lorbeerblättern eingelegten Heringslappen werden auch für Rollmöpse verwendet. In Wahrheit handelt es sich beim Bismarckhering also um einen ungerollten Rollmops. Dass er im 19. Jahrhundert, hübsch verpackt in Gläsern, über den Atlantik schippern konnte, verdankt er nicht zuletzt seiner langen Haltbarkeit. Die Bezeichnung geht auf Reichskanzler Otto von Bismarck (1815–1898) zurück. Aber auch vorauseilender Gehorsam und ausgeprägter Untertanengeist, wie sie im Kaiserreich vorherrschten, waren für die Namensgebung verantwortlich.
Hamburger
Seeluft macht hungrig, heißt es unter Seeleuten. Weshalb die Bewohner der Hansestadt Hamburg, die Hamburger, nicht nur Seefahrerkost wie Labskaus und Kuddeln essen, sondern auch ein besonders zubereitetes Stück Rindfleisch. Dieses sogenannte "Hamburger Stück", eine Spezialität der hanseatischen Küche, überquerte mit Auswanderern den Atlantik und wurde 1842 in den Vereinigten Staaten zum Steak. Doch irgendwann geschah es, dass dieses zu einem Klops aus Hackfleisch degenerierte. Die Amerikaner nannten dieses neue Produkt zunächst "Hamburger Steak", dann "Hamburger" und schließlich "Burger".
Durch die Umdeutung von "hamburger" als Zusammensetzung von "ham" ("Schinken") und "burger" wurde die Bildung von Dutzend anderer "burger" möglich: vom "cheeseburger" (1938) zum "beefburger" (1940), bis hin zum "eggburger", "fishburger", "tomatoburger" oder auch "chickenburger" und "vegeburger" respektive "veggie burger" (1972). Eingeklemmt zwischen zwei schwammige Weißbrotscheiben, trat das Fast-Food-Gericht in der Mitte des 20. Jahrhunderts seinen globalen Triumphzug an, inklusive der Rückkehr nach Deutschland.
Gemütlichkeit
Bauernfrühstück, Gartenzwerg, Feuerzangenbowle, Strandkorb, Nussknacker, Maibaum, Kaffeekränzchen, Schultüte, Glühwein, Kachelofen, Oktoberfest, Poesiealbum, Schaukelstuhl, Bleigießen, Waldspaziergang, Käsespätzle, Skihütte, Pantoffeln, Bier, Auerbachs Keller, Zimtduft, Kuckucksuhr, Geheimratsecken, Fachwerkhaus, Currywurst, Adventskalender, Karneval, Tabakpfeife, Blümchentapete, Kopfsteinpflastergassen, Saumagen, Blasmusik, Grillen, Weihnachtsbaum, Ritterturnier, Hofbräuhaus, Schweinshaxen, Wanderstock, Christkindlmarkt, Stammtisch, Karl-May-Festspiele: ein buntes Deutschland-Puzzle.
Und jedes Puzzleteil erzeugt jenen Nestwärme verströmenden Gemütszustand, der so untrennbar mit den Deutschen verbunden ist, dass er weithin als Merkmal des deutschen Nationalcharakters gilt und sich in keine andere Sprache übersetzen lässt: Gemütlichkeit. (...)
"Gemütlichkeit" und "gemütlich", die Wörter sollen Skiurlauber aus Mittenwald nach England mitgebracht haben, sind beide im "Oxford English Dictionary" verzeichnet und tauchen regelmäßig in englischen und amerikanischen Zeitungen auf, teils mit und teils ohne Umlaut. Die Wörter, so sagt man im englischen Sprachraum, bezeichnen nichts weniger als "the German soul". Auch im Französischen bekannt.
Kindergarten
Beliebtestes aller ausgewanderten Worte. Naturbelassen wie eine Pflanze, sollten sich die drei- bis sechsjährigen Kinder in dem ersten, 1840 in Thüringen von dem Pädagogen Friedrich Fröbel (1782–1852) gegründeten Kindergarten entwickeln, jenseits der autoritären Methoden preußischer Landerziehungsheime. Schon elf Jahre später entstand der erste ausländische Kindergarten in London, 1856 folgte der erste amerikanische Kindergarten in Watertown im Bundesstaat Wisconsin.
Das Echo war so gewaltig, dass es in den Vereinigten Staaten 1882 bereits knapp 350 weitere Kindergärten gab. Amerikaner und Briten übernahmen nicht nur die Vorschulidee, sondern auch die Fröbel’schen Bauklötze und die deutsche Vokabel "Kindergarten". Sie taucht zum ersten Mal 1852 im Englischen auf und ist im "Oxford English Dictionary" verzeichnet, neben den Ableitungen "Froebelian" und "Froebelism". (...)
Das deutsche Wort "Kindergarten" ist auch im Italienischen, Japanischen, Schwedischen und Spanischen bekannt; die bambinivernarrten Italiener kennen zudem die Lehnübersetzung "giardino d’infanzia", das "Kinderheim" in der Bedeutung "Ferienhort" und die "Schwester" in der Bedeutung "deutsches Kindermädchen". Im Französischen benutzen sie seit den 1930er Jahren die Lehnübersetzung "jardin d’enfants".
kaputt
Von lateinisch "caput" ("Haupt", "Vorderteil eines Schiffes"). Im Französischen wurde daraus zunächst das Verb "capoter" ("kentern"), später dann der Ausdruck "capot", als Bezeichnung für einen Kartenspieler, der während des gesamten Spiels keinen einzigen Stich gemacht hatte. Während des Dreißigjährigen Krieges, beim Kartenspiel zwischen deutschen Landsknechten und französischen Söldnern, entsteht schließlich die deutsche Wendung "kaputt machen". Die Landsknechte, allesamt kernige Burschen, verstanden darunter verschiedenartige Tötungsmethoden. Mittlerweile kann so gut wie alles "kaputt gehen": Blumentöpfe, Waschmaschinen, Ehen; und wenn man abends von der Arbeit nach Hause kommt, ist man oftmals so kaputt, gerädert und erschlagen, dass man den Sponti- und Anarcho-Spruch der 68er: "Macht kaputt, was euch kaputt macht!", rufen möchte. Damals trat das Wort seine Reise um den Globus an. Inzwischen ist es ein Allerweltswort, verzeichnet im "Oxford English Dictionary" ("kaput"). Auch im Esthnischen ("kaputt"), Französischen ("kaputt"), Italienischen ("kaputt"), Spanischen ("kaputt"), Russischen ("kaput") und Türkischen ("kaput") bekannt. In Afrika sagen sie "Nusu kaputt" ("halb kaputt"). So heißt Narkose auf Kiswahili.
"Wir verdichten gerne": Interview mit Sven Siedenberg
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BRIGITTE.de: Wann haben Sie angefangen, wandernde Wörter zu sammeln?
Sven Siedenberg: Das muss jetzt ungefähr zwei oder drei Jahre her sein. Wie ein Sammler bin ich über Wörter gestolpert. Sei es in Speisekarten, Kinofilmen oder ausländischen Zeitungen wie der New York Times, Le Monde oder El Pais.
BRIGITTE.de: Und wie viele kamen da so zusammen?
Sven Siedenberg: Gesammelt habe ich rund 260. Aber die Sprachforscher schätzen, dass es zwischen 5000 und 10 000 ausgewanderte Wörter gibt, sehr viele davon sind Fachwörter aus der Medizin, Geologie oder Musikwissenschaft.
BRIGITTE.de: Wie kam es überhaupt zu dem Buch?
Sven Siedenberg: Ich habe vorletztes Jahr den siebten "Harry Potter"-Band auf Englisch gelesen, und auf Seite 49 stutzte ich. Da stand das Wort "doppelgaengers". Das war die Initialzündung. Wenn sogar "Harry Potter" mit deutschen Wörtern bestückt wird!
BRIGITTE.de: Waren Sie denn vorher so oft auf Reisen, dass Ihnen ständig deutsche Wörter begegneten?
Sven Siedenberg: Nein, ich bin ganz normal im Urlaub gewesen, wie andere auch. Aber ich interessiere mich für Sprache und wenn man wirklich mal in Speisekarten, CD-Booklets oder Comics in Italien, Russland, Südafrika oder Spanien guckt, dann findet man schon viele deutsche Wörter - viele übrigens meist falsch, oder zumindest anders, geschrieben. Auch in Frankreich kursieren deutsche Wörter im allgemeinen Sprachgebrauch.
BRIGITTE.de: Zum Beispiel?
Sven Siedenberg: Das deutsche Wort "lustig". Es wird zwar mittlerweile anders geschrieben, und zwar "loustic", und wurde auch zum Substantiv umgeformt, aber die Franzosen benutzen es. Bei ihnen bedeutet es soviel wie Spaßmacher oder Witzbold.
BRIGITTE.de: Aber wie sind solche Wörter denn ins Ausland gelangt?
Sven Siedenberg: Das ist sehr unterschiedlich und oft kann man das auch gar nicht mehr nachverfolgen. Bei einigen Wörtern hingegen gibt es klare, literarische Belege. Wie beispielsweise "Angst" oder "Liebchen". Aber auch das schöne Wort "Wunderkind"...
BRIGITTE.de: ... und wie kamen die nun in andere Sprachen?
Sven Siedenberg: "Angst" wurde das erste Mal 1849 von der englischen Schriftstellerin George Eliot in ihren "Letters" erwähnt. George Bernard Shaw, ein Musikkritiker, war ebenfalls sehr germanophil und benutzte 1891 das Wort "Wunderkind", um genau das in einem Artikel auszudrücken.
BRIGITTE.de: Ist es in anderen Sprachen denn so schwer, passende Wörter zu finden?
Sven Siedenberg: Ja, teilweise schon. Im Deutschen neigen wir dazu, Substantive zusammenzusetzen, um etwas zu benennen. In anderen Sprachen geht das so nicht. Da werden dann mehrere Substantive durch andere Wörter verbunden oder auch ganze Sätze benötigt. Aber in der Praxis zeigt sich, dass knackig kurze Sätze bevorzugt werden - wir verdichten gerne, nicht der Poesie wegen, sondern aus reiner Faulheit.
BRIGITTE.de: Das trifft wohl auch auf so Wörter wie "Fingerspitzengefühl" oder "Zeitgeist" zu.
Sven Siedenberg: Ja, bei diesen Beispielen zeigt sich ganz deutlich, dass andere Sprachen da vielleicht eine Sprach- oder auch Bedeutungslücke haben, die dann mit solchen deutschen Wörtern gefüllt werden. Deutsch ist im Ausland teilweise sehr schick und angesagt.
BRIGITTE.de: "Zeitgeist" ist ja ein oft zitiertes Beispiel für ein ausgewandertes, deutsches Wort. Welche Wörter sind denn noch sehr beliebt im Ausland?
Sven Siedenberg: Momentan wird in vielen englischsprachigen Ländern das deutsche Wort "Über" gerne vorangestellt. Gesprochen wird es "jüber". Seinen Ursprung hat es in Nietzsches "Übermensch". Auch "Ossi" oder "wallraffen" kennt man neuerdings im Ausland.
BRIGITTE.de: Die Engländer und Amerikaner nehmen unsere Wörter und wir benutzen ständig Anglizismen - auch kurios!
Sven Siedenberg: Ja, das ist witzig, das ist wie ein Wörteraustausch. Das hat damit zu tun, dass sich ein Muttersprachler gegenüber anderen Menschen seiner Sprache oftmals absetzen, als besonders witzig oder klug erscheinen will. Dafür benutzt er dann Wörter aus anderen Sprachen. Aber: Jede Sprache verkraftet das. Mehr noch, es gehört zum Wesen einer jeden Sprache, dass sie andere Sprachen aufnimmt. Das gefährdet sie nicht.
Mehr wandernde Wörter finden Sie im Blog von Sven Siedenberg.