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7000 Kilometer Steinmauern stützen die Terrassenhänge. Jeden Morgen, wenn Signora Aurora in die Weinberge geht, schaut sie zuerst bei der kleinen Madonna von Montenero vorbei. Zwar muss sie dafür ein paar steile Stufen mehr hinaufsteigen, aber wer hat in den Cinque Terre schon die geraden Wege im Sinn. "Der Madonna guten Tag sagen" nennt sie das, und kleine Rituale gehören zu ihrem Alltag. Früher, als sie jung war, musste mit ihren beiden Schwestern allein die Weinberge bestellen. Wer hätte damals gedacht, dass die Weinterrassen einmal weltberühmtes Kulturerbe werden! Die begeisterten Ausrufe über die Schönheit dieser italienischen Küstenregion kann Franco Bonanini, Präsident des Nationalparks Cinque Terre, manchmal nicht mehr hören. Natürlich wurden die fünf Erdflecken Riomaggiore, Manarola, Corniglia, Vernazza und Monterosso zwischen Meer und Himmel erbaut. Zugegeben, bei klarem Licht sieht das Ganze ziemlich überwältigend aus: silbrige Olivenhaine, duftende Gärten mit Zitronenbäumen und Weinterrassen. Unter den Steilhängen glitzert auch noch das Meer, und manchmal rauscht es bis unter die Dächer der Häuser. Aber all dieser Schönheit ging auch harte Arbeit vieler Generationen voraus.
Vor tausend Jahren zogen die Bewohner der höher gelegenen Weiler, von Montenero, San Bernardino, Reggio und Soviore, an die Küste hinab. Zuvor hatten Piraten das Leben an der Küste unmöglich gemacht. Heute sieht es an manchen Sonntagabenden nach dem Touristenansturm wie früher nach einem Überfall der Piraten aus.
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Als Nationalpark-Präsident hat Franco Bonanini bereits ein wichtiges Ziel erreicht: Auf dem gesamten Küstenweg wird jetzt Eintritt verlangt, drei Euro für die zehn Kilometer lange Wanderstrecke. Sein nächster Plan: Ab diesem Jahr sollen Besucher verlassene Weinberge pachten; für eine Zeit von zwanzig Jahren können Nicht-Einheimische Parzellen von je 3000 Quadratmeter bestellen. Die Pacht ist kostenlos, der Wein für die eigene Tafel bestimmt. Einzige Bedingung: Der Rebhügel muss selbst bestellt oder die Arbeiten dafür finanziert werden. Denn wenn die Terrassen nicht ständig gepflegt werden, brechen die Trockenmauern zusammen, und die Katastrophe wird nicht aufzuhalten sein.
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Auf vielen Weinterrassen wuchert schon wieder die Macchia. Natürlich geht Aurora auch zu Fuß nach Riomaggiore zurück. Und in ihrer Begleitung scheint, als seien die Cinque Terre von zwei völlig gegenläufigen, sich selten kreuzenden Linien durchsetzt: den waagerechten Wegen des Müßiggangs, auf steinigen Pfaden zwar, aber am Meer entlang, mit atemberaubenden Ausblicken bis nach Korsika und zur vorgelagerten Insel Gorgona. Diese Verbindungslinie zwischen den Dörfern wird eigentlich nur von den Touristen benutzt. Und dann gibt es die senkrechten Linien, die in die Weinberge und zu den Weilern mit den alten Heiligtümern führen. Früher wurden auf diesen Wegen Öl und Wein, Fische und Kartoffeln transportiert. Hier ist das ursprüngliche Leben erhalten geblieben, bestimmt von der Weinlese im September und der Olivenernte im November. Nach dem Fest der Madonna von San Bernardino, Mitte September, fängt in den Cinque Terre die Lese an.
Nur drei bis fünf Meter sind die Terrassen breit, gestützt von Trockenmauern. Aneinander gereiht würden sie fast 7000 Kilometer lang sein. Die prallen Regina-Trauben wachsen in der zweiten Reihe. Früher verkauften die Leute den Wein und tranken selbst nur Wasser. Heitere Mienen. Festliche Stimmung. Es ist, als gäbe die Erde endlich die Mühen des ganzen Jahres zurück. Ausruhen auf der Piazzetta von Muro: Jede Häusergruppe hat einen eigenen Namen - Muro, Seroa, Foce oder Valletino -, der mit dem Stand der Sonne oder den Besonderheiten der Landschaft zusammenhängt. Der Ursprung des Namens ist Teil der kollektiven Erinnerung. Früher, erzählt man, lebten zwanzig Familien hier, und jeden Abend wurde auf der Piazzetta, über die damals sogar eine Rebe rankte, Karten gespielt. Vielleicht ist das die wirkliche Faszination der Cinque Terre: Terrassen, Weinberge, Plätze werden zum Innenraum, wo sich Menschen begegnen und wo nur das Meer und der Himmel wirkliche Grenzen sind.
Reise-Infos Cinque Terre
Telefon: Vorwahl für Italien: 0039, Ortsvorwahl 0187, die immer mitgewählt wird.
Beste Reisezeit: September, dann ist in den Cinque Terre noch Badewetter, und die Strände sind leerer. Auch im Dezember gibt es sehr sonnige Tage, aber dann Unterkunft mit Heizung buchen!
Anreise: Mit dem Zug: über München und Genua nach Monterosso. Von da aus mit dem Lokalzug weiter. Mit dem Auto: München-Innsbruck-Brenner, auf der Autobahn über Verona-Parma-La Spezia-Genua, Ausfahrt Brugnato-Borghetto Vara.
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Unterwegs: Autofahren in den Cinque Terre ist kurvenreich und mühsam, Parkplätze sind begrenzt und teuer. Die Anfahrt mit dem Auto ist nur bei längeren Aufenthalten zu empfehlen. Nächste Tankmöglichkeit: Levanto oder La Spezia. Die Lokalzüge gehen im Stundentakt. In allen Dörfern gibt es Elektrobusse zu den Weilern außerhalb des Dorfgebiets. Taxis nur in Monterosso. Der Nationalpark bietet Pauschaltickets an: z.B. eine Tageskarte für den Küstenwanderweg, beliebig viele Bahnfahrten inklusive Elektrobus. Tickets in Tabakläden und den Info-Points an allen Bahnhöfen.
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Übernachten: In Monterosso gibt es eine größere Anzahl Hotels, in allen anderen Orten überwiegend einfache Privatunterkünfte. Zahlreiche Zimmervermittlungen in jedem Ort. Einfach dem Schild "camere" folgen, in Läden oder Bars nachfragen. Manchmal kann man positive Überraschungen (überwältigender Meerblick!) erleben.
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Locanda Maestrale: sehr stilvoll ausgestattetes Hotel mit Terrasse im historischen Zentrum von Monterosso. (Via Roma 37, 19016 Monterosso, Tel. 81 70 13, Fax 81 70 84, www.monterossonet.com).
Hotel Ca'd'Andrean: einfaches, versteckt liegendes Familienhotel in Manarola, mit schönem Garten im Innenhof. (Via A. Discovolo 101, Manarola, Tel. 920040, Fax 920452). www.cadandrean.it
Hotel Stella Maris: kleines Hotel in einem Palazzo aus dem 19. Jahrhundert im Zentrum von Levanto, mit Dependance am Meer. Levanto liegt wenige Bahnminuten von den Cinque Terre entfernt. (Via Marconi 4, 19015 Levanto, Tel. 80 82 58, Fax 80 73 51, www.hotelstellamaris.it).
Borgo di Campi: ein besonderer Tipp: Im Heiligtum von Montenero/Riomaggiore werden Winzerhäuschen (Schlafzimmer, Kochecke, Dusche, Terrasse) für zwei bis vier Personen vermietet. Einfache Ausstattung, nur zu Fuß (15 bis 20 Minuten) oder über die hauseigene Zahnradbahn zu erreichen. Für Naturliebhaber absolut traumhaft! (Borgo di Campi, Santuario di Montenero, 19017 Riomaggiore, Tel./Fax 760111, www.borgodicampi.it).
Shopping: Besonders schön sind die Märkte, in Levanto jeden Mittwoch von 8 bis 13 Uhr, in La Spezia jeden Freitag von 8 bis 18 Uhr. Typische Produkte: Öl und Wein, eingelegte Sardinen, Pesto, Honig, Zitronenlikör.