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Umbrien: Aussteigen auf Zeit

Aussteigen auf Zeit? Auf dem Landgut Monestevole in Umbrien kann man es ausprobieren: Stall bauen, Holz hacken, Brot backen... Kirsten Wulf über ihren Urlaub bei einer Tribewanted-Community.
Eingebettet in die Hügel Umbriens: Das Landgut Monestevole
Eingebettet in die Hügel Umbriens: Das Landgut Monestevole
© Espen Eichhöfer

Dass es eine ziemlich schmuddelige Angelegenheit werden würde, war klar. Ich schiebe die Ärmel hoch. "Also, was soll ich ...?" Fragend schaue ich Sara an. Die junge Architektin matscht voller Wonne mit beiden Händen in der Schubkarre herum, mischt Schlamm mit Stroh, formt Fladen daraus und klatscht sie in einen Eimer.

Drei Pferde lugen neugierig über den Lattenzaun zu uns in das Holzgerüst mit Dachstuhl. Daraus soll ihr neuer Stall werden, mit Mauern aus Erde, Wasser und Stroh. "Sie werden ein exzellentes Raumklima haben!", garantiert Sara und zwinkert mir aufmunternd zu. Also los. Keine Rücksicht auf die Maniküre, rein da mit den Pfoten! Und watsch!

Die Fladen legen wir über Querstreben im Holzgerippe und verschmieren sie miteinander. "Im Studium habe ich alle möglichen Werkstoffe kennen gelernt, Hightech, hoch kompliziert", lacht Sara, "aber über das einfachste Baumaterial, das hier vor der Tür liegt, Erde und Stroh, kein Wort!" Wir treten zurück und begutachten das Werk. "Ein Kinderspiel", sagt Sara, "man darf nur keine Angst haben, sich dreckig zu machen."

Hab ich auch nicht, sonst hätte ich mir ein anderes italienisches Landgut ausgesucht als Monestevole, gut 30 Kilometer nördlich von Perugia, in der Hügellandschaft Umbriens, dem grünen Herz von Italien. Ein wuchtiges, uraltes Landhaus aus erdbraunen Steinmauern, dazu 40 Hektar Wiesen, Felder und Wald, ein Olivenhain, ein Weinberg und eine Wasserquelle. Beste Voraussetzungen für Menschen, die sich so weit wie möglich selbst versorgen wollen.

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Umbrien: Aussteigen auf Zeit
© Espen Eichhöfer

Dieses Landgut ist ein Laboratorium für nachhaltigen Lebensstil und, damit sich die Ideen weiterverbreiten, ein ökotouristisches Projekt. Für alle, die im Urlaub ausprobieren möchten, wie es denn wäre, das Leben tatsächlich umzukrempeln. Das Projekt nennt sich "TribeWanted Monestevole" und ist der italienische Ableger der Online-Community "TribeWanted", was übersetzt "Stamm gesucht" heißt. Die Mitglieder des virtuellen Stammes bauen mit ihren Monatsbeiträgen von umgerechnet zwölf Euro weltweit kleine, nachhaltig wirtschaftende Lebensgemeinschaften auf. Die Betonung liegt auf nachhaltig, denn der Erfolg dieser Projekte misst sich nicht am Profit, sondern an ökologischen und sozialen Kriterien. Und erst drittens soll sich das Projekt langfristig auch finanziell selbst tragen.

Das erste "TribeWanted"-Projekt wurde 2006 auf einer Fidschi-Insel gegründet, vier Jahre später zog der Stamm an einen Strand von Sierra Leone, und im März 2013 eröffnete "TribeWanted Monestevole". Wohin die Reise als Nächstes geht? Das entscheidet die Community per Online-Abstimmung.

"TribeWanted"-Gründer und Tierfreund Filippo Bozotti mit Lieblingshuhn
"TribeWanted"-Gründer und Tierfreund Filippo Bozotti mit Lieblingshuhn
© Espen Eichhöfer

Einer der "TribeWanted"-Gründer ist Filippo Bozotti. Der junge Italiener hat lange genug in den USA gelebt, um italienisch heiter und amerikanisch überzeugend die Ideen der Community zu erklären. Als er vor gut zwei Jahren auf Monestevole bei dem Ehepaar Valeria Cancian und Alessio Giottoli und ihren vier Kindern anklopfte, fiel er mit seiner Idee in ein weit geöffnetes Scheunentor. Alessio, der Musiker, Pferdenarr, Koch, Tischler, Vater - vor allem Vater! -, träumte längst davon, sich auf diesem Hügel selbst zu versorgen. Kurz: Alessio, der vollbärtige Naturbursche mit zotteligen Haaren, und Filippo, der sozial engagierte Finanzexperte mit Uni-Abschluss in Boston, taten sich unter der Flagge von "TribeWanted" zusammen, um das alte Landhaus zu renovieren, in diesem Fall auch mit Geld von Sponsoren.

Elf komplett unterschiedliche Gästeunterkünfte gibt es nun, kleine und riesige mit Hängematte vorm Kamin. Sie tragen so schöne Namen wie "Aria", "Fuoco", "Stelle" oder "Gelsomino" - Luft, Feuer, Sterne oder Jasmin. Alle sind mit neuen Betten aus der eigenen Tischlerei und gesunden Öko-Matratzen ausgestattet. Sämtliche Bäder wurden renoviert und an den neuen Wasserkreislauf angeschlossen: Gebrauchtes Wasser wird von Pflanzen gereinigt, das Regenwasser aufgefangen und für die Landwirtschaft und Toiletten genutzt. Sonne und Biomasse sorgen für Strom und Wärme. Und wenn demnächst auch das Windrad steht, ist Monestevole tatsächlich autonom in der Energieversorgung.

Aber reichen allein ökologisch sinnvolle Technologien aus, um die Sehnsucht nach einem anderen Leben hervorzulocken? Nein. Die grüne Revolution beginnt natürlich im Herzen.

Das Essen kommt größtenteils aus dem Garten
Das Essen kommt größtenteils aus dem Garten
© Espen Eichhöfer

Vielleicht mit dem kleinen Morgenglück des Erwachens auf Monestevole, in meinem Zimmer mit den uralten Deckenbalken und derben Natursteinmauern: Wenn silbriges Licht durch das kleine Fenster tanzt, dazu ein leichter Wind, der den Duft der Rosen von der Hauswand hereinträgt und freundliche Töne; eine Biene brummt, ein Specht pocht, ein Pferd wiehert. Schließlich "dongel-dongel", dunkel klingt die Kuhglocke von Stella herüber. Es ist also nach acht Uhr, die Kuh wurde gemolken, natürlich per Hand, und trottet nun aus dem Stall auf ihre Weide, Kalb Samantha im Trippelschritt hinterher. Stella wird die Bewohner und Gäste wie üblich großzügig mit Trinkmilch versorgen, vielleicht ist sogar genug da für Joghurt oder Käse.

Zeit für meine Morgenrunde. Zu Gira, der schwangeren Araberstute, die seit zwei Wochen überfällig ist und sich nicht drum kümmert, ob Alessio ein "eindeutiges Gefühl" hat oder Vollmond die Geburt animieren sollte. Sie bleibt einfach schwanger, steht dickbäuchig im Auslauf herum. Hinter dem Stall tollen gefleckte und gestreifte Ferkel auf dem Erdhügel, halb Wild- und halb Hausschwein, weil ihre Mutter sich im Wald rumgetrieben hatte.

Die schwangere Araberstute Gira trägt die Kinder spazieren
Die schwangere Araberstute Gira trägt die Kinder spazieren
© Espen Eichhöfer

Ich nehme mir Kaffee und frischen Saft aus Äpfeln, Möhren und Ingwer, dazu ein Brot mit der begnadeten Hagebuttenmarmelade des Hauses. Dann ein Blick auf die Aktivitätentafel für die Gäste, die Filippo täglich aktualisiert. Wird heute Pasta oder Käse gemacht, werden Olivenbäume beschnitten, gibt es im Weinberg etwas zu tun? Ist Mittwoch und somit Markttag unten, auf der Piazza in Umbertide? Noch kaufen die Monestevole-Bewohner dort kistenweise Gemüse, irgendwann soll das alles von den eigenen Feldern geerntet werden.

Natürlich dürfen die Gäste auch einfach nur faul sein. Zum Beispiel im eines Tages fertig gebauten, chlorbefreiten Bio-Pool mit Panoramablick ihre Bahnen ziehen. Sie können über die Hügel wandern und im Wald Beeren, Pilze oder gar Trüffel finden. Oder in der Hängematte baumeln. Oder einen Kulturtrip machen, um beim gemeinsamen Abendessen die Digitalkameras herumzureichen mit Fotos aus der Welt da unten, aus Perugia, Assisi oder vom Lago Trasimeno, aus Arezzo oder der Etruskerstadt Cortona - alles wundervolle Orte für Ausflüge.

Aber nach ein paar Tagen, wenn man sich in den Rhythmus auf Monestevole eingeschwungen hat, kann man eigentlich kaum noch anders, als mit anzupacken. Mit fragendem Blick bleibe ich neben Andrea am Holzlager stehen. Schon drückt er mir die Axt in die Hand. Ich? Den Holzklotz? Und zack, durch isser! Ha! Alessio meint später: "Es gibt irrsinnig viel zu tun. Das ist das Gemeine und zugleich Schöne an Monestevole." Keiner zählt hier die Stunden, keiner scheint wirklich zu arbeiten. Die Dinge werden erledigt, ohne Tamtam. Eins nach dem anderen.

Giovanni, der seit Herbst 2012 hier lebt und dafür einen guten Job gekündigt hat, sah ich morgens im Pferdestall, danach haben wir zusammen Brot gebacken, mittags war er Chefkoch für etwa 30 Gäste und Bewohner, nachmittags hämmerte er im Dachstuhl des neuen Stalls, anschließend setzte er die Kinder auf die Stute und führte sie mit der Gelassenheit eines Mönchs spazieren - und das sind nur die Einsätze, die ich gesehen habe. Ist der gedopt? Nein, glücklich. "Ich tue genau das, was ich tun will", sagt Giovanni, gebürtiger Umbrer. Und ich, ich finde mich am späten Nachmittag auf Augenhöhe mit Gänseblümchen wieder. Liege auf dem Bauch im warmen Gras, gucke einem Huhn hinterher, das bedächtig umherstolziert. Plötzlich - ein Gedanke huscht durch den Kopf, ganz kurz nur, aber ich erwische ihn noch, und der heißt: "Ich will hier nicht mehr weg." Wie bitte?

Auf Monestevole essen alle zusammen - Bewohner und Gäste
Auf Monestevole essen alle zusammen - Bewohner und Gäste
© Espen Eichhöfer

Der nächste Gedanke ist vernünftiger: zurückgehen und selbst etwas machen. Zum Beispiel zu Hause Brot backen, den Balkon begärtnern, Tomaten anbauen, solche Sachen. Bewusster darauf achten, was mich glücklich macht, deshalb öfter mit Freunden gemeinsam essen. Und insgesamt einfach die Idee weitertragen, dass andere Werte mehr zählen als Geld. Vor dem Abendessen versinkt die Sonne goldflutend hinter den Hügeln. Ein Pfau stolziert mit seinem langen fedrigen Schweif über den Dachfirst. Aus der Küche hallen italienische und englische Wortfetzen. Es duftet nach gerösteten Paprika und frisch gebackenem Brot.

Auf Monestevole essen alle um 13.30 und 20.30 Uhr, Gäste, Bewohner, alle zusammen. Vor dem Abendessen herrscht Gedränge rund um die monströse, natürlich selbst getischlerte Kochinsel aus massiver Eiche. Andrea mit Muskelshirt und buntem Tattoo auf der Schulter püriert die Gemüsesuppe, "zu sämig, mehr Wasser!", meint Giovanni, der schon wieder fast unbemerkt durch die Küche wieselt und die Hühnchen kontrolliert, die mit Rosmarinkartoffeln im Ofen brutzeln. Alessio säbelt feierlich an einem riesigen Schinken herum - die erste zarte Kostprobe von einem Schwein, das sich einst glücklich auf Monestevole im Schlamm suhlte. Filippo schneidet einen hausgemachten flachen Käselaib auf und drückt mir ein Glas Hauswein in die Hand. "...our friends are all aboard...", singen die Beatles in "Yellow Submarine", wohl wahr, wir stoßen an, auf das magische Abendlicht, die neue Stallmauer aus Erde und Wasser und das Leben, hier oben und da unten im Tal.

Die Reise-Infos

Umbrien: Aussteigen auf Zeit
© KE/Freierstricher.com

...Mitglied werden? Als Mitglied im sozialen Netzwerk "TribeWanted" fördert man mit einem monatlichen Beitrag von ca. zwölf Euro nicht nur die bestehenden Projekte. Mit jedem 1000. Mitglied wird ein neues Projekt eröffnet. Wo? Darüber stimmt der Stamm online ab. Außerdem erhalten Mitglieder einen Rabatt für den nächsten Urlaub in Sierra Leone oder Monestevole. Mehr Infos auf www.tribewanted.com

...in Monestevole übernachten? Alte Mauern, Naturmaterialien, moderne Ausstattung, gutes Raumklima: Die elf Zimmer und Apartments haben alles, was man zum Sichwohlfühlen braucht; mehr nicht. Eine Woche im Doppelzimmer mit Bad und Vollpension ab 500 Euro/Person (für "TribeWanted"-Mitglieder 400 Euro).

...in Kontakt treten? Filippo, der die Buchungen und E-Mails bearbeitet, spricht fließend Englisch, die meisten Bewohner von Monestevole sprechen etwas Englisch. Ansonsten bekommen Gäste hier ein prima ItalienischTraining. Buchung unter Tel. 0039/07 59 41 55 69 und www.tribewanted.com

...gut vorbereitet sein? Praktische Kleidung und bequeme Schuhe einpacken; im Herbst schaden auch Gummistiefel nicht. Monestevole liegt auf 600 Metern, es kann also sogar im Sommer abends frisch sein und im Winter tatsächlich schneien - auch das ist Italien.

...bequem und umweltbewusst anreisen? Dann fahren Sie mit dem Zug nach Perugia und bestellen für 30 Euro den privaten Shuttle-Service von "TribeWanted Monestevole".

Fotos: Espen Eichhöfer Illustration: KE/Freierstricher.com Text: Kirsten Wulf BRIGITTE 16/13

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