Filzen in Südtirol: Reibereien um meine Tasche
Die Wolle liefern die Schafe, alles andere macht man beim Filzen selbst: den Stoff, das Design, die Fehler. BRIGITTE-Mitarbeiterin Doris Ehrhardt lernte ihre Lektion in Südtirol.
Die Bäuerin will reingehen, es ist ihr zu kalt. Die Bürositzerin will raus, sie kommt selten an die frische Luft. Beider Prägungen prallen in 1200 Meter Höhe aufeinander, in der südlichsten deutschsprachigen Gemeinde Südtirols. Vom Amort-Hof am oberen Ende des Bergdorfs Altrei hat man weite Sicht übers Passeiertal: Wiesen, Wälder, Berglandschaft. Die Bäuerin ist Rita Amort. Sie macht aus eigener Schafwolle Filz und daraus von Hand Dinge in exzellenter Qualität. "Der Erfolg hat mich selbstbewusster gemacht", erzählt sie später. "Endlich, mit über 50!". Seit einigen Jahren gibt "die Rita", wie Kenner der Materie sie respektvoll nennen, Workshops im Filzen.
Die Bürositzerin bin ich. Heiß darauf, mal eine Arbeit zu machen, die ein Ende hat und sich anfassen lässt. Und ich dachte, wir würden im Freien werkeln oder in einem Atelier mit Aussicht und nicht in einer Garagenwerkstatt ohne Fenster. Rita entschärft den Konflikt, sie weiß ja, wie man mit aufgeregten Hühnern, sturen Kühen und blöden Schafen umgeht. "Das kriegen wir schon hin", sagt sie und lächelt, "jetzt gehen wir erst mal rein."
In dem Moment trifft die zweite Teilnehmerin von Ritas Filztaschen-Workshop ein. Christina, frecher Pferdeschwanz, schüchterner Blick, fester Händedruck, Bäuerin aus Kastelruth. Sie hat schon mal was gefilzt, ich hab schon mal was gegoogelt: Filz entsteht aus gekämmter Wolle, die mit Reibung, Wärme und Feuchtigkeit bearbeitet wird.
Beim Öffnen der Tür schlägt uns der Duft von Kernseife entgegen. Den kleinen Raum füllt eine Tischtennisplatte als Arbeitsfläche; in den Ecken ein Regal mit Utensilien, eine Herdplatte mit Kochtopf darauf, eine Vitrine mit Ritas Werken. An einer Wand ein Zettel: "Wer aufhört besser zu sein, hat aufgehört gut zu sein". Die Frau hat deutlich mehr Ehrgeiz als Platz.

"Was für eine Tasche wollt ihr machen?", fragt Rita. "Eine Laptop-Umhängetasche", sage ich. Grau in Grau soll sie sein. Vor allem will ich jedes Fitzelchen selbst machen. "Wollwoll", sagt Rita und meint damit: Jaja, wirst schon sehen.
An die Arbeit! Rita stapelt Schichten von dunkel- und hellgrauem Vlies auf den Tisch. Diese Wolle-Wolken sind weicher als Watte! Wir reißen daraus große Stücke für die Bestandteile unserer Taschen, vom Schulterriemen bis hin zum Schnür-Verschluss. Dann bekommen Christina (Dirndl-Umhängetasche) und ich je eine kuchenblechartige Wanne, in der sich alles weitere Werkeln abspielen wird. Daneben: Schüssel, Seife, Schwamm. Als ich das erste große Stück Vlies in die Wanne lege, schäume ich über vor Freude. Jeder Schritt läuft nach dem gleichen Prinzip ab: Erst lässt Rita mich machen, dann lasse ich mir helfen. Ich beträufle das Vlies mit heißer Seifenlauge, Rita macht es platschnass. Ich reibe mit den Fingerknöcheln, Rita mit den Handballen. "Filz ist wie ein Tannenzapfen aufgebaut", erklärt sie, "die Fasern haben Schuppen, das warme Wasser öffnet die Schuppen, durchs Reiben verhaken sie sich mehr und mehr." Und weil meine Tasche groß und stark werden muss, reibe und reibe und reibe ich.
Nebenbei entwickeln wir uns zu Ratsch-Reibern. Rita erzählt, dass sie vor zwölf Jahren diverse Fortbildungskurse besuchte - der zum Filzen fixte sie voll an. Heute besitzen sie und ihr Mann rund 30 Schafe, die zweimal im Jahr "zum Friseur gehen". Aus der Wolle macht Rita Hüte, Pantoffeln, die hier "Patschen" heißen, und Taschen. "Nur drei hab ich für mich behalten", sagt sie. Alle anderen hat man ihr praktisch aus den Händen gerissen.
Bis zur Kräuterteepause am Nachmittag reibe, reibe und reibe ich. Eine kleinere Handyhülle zu machen wäre schlauer gewesen, denke ich. Zumal nur zwei Tage Zeit sind. Andererseits ist mir das werdende Etwas schon ans Herz gewachsen. Mir gefällt, dass die Woll-Spender in Südtirol ein gutes Leben führen. Und entsteht Filz nicht wie eine Partnerschaft? Erst lose, dann immer fester. Macht man Fehler, sagt er: Schwamm drüber, das bessern wir aus. Hoffentlich nimmt er mir nicht übel, dass ich ihn am Abend in einer erkalteten Seifensuppe zurücklasse.
Alles fügt sich. Die Morgensonne und ein massiver Gartentisch als Werkbank sind auf der Terrasse bereit, Rita und Christina auch. Ähnlich, wie am diesigen Horizont die Konturen der Berge mit dem Himmel verschmelzen, verbinden sich unter unseren Händen die Einzelteile unserer Taschen - nahtlos. Nur durch Reiben fügt sich alles zu einem Stück.
Zum Finale bringt Rita Handtücher. "Damit walken wir." Das heißt: Filz mit heißem Wasser übergießen, Handtuch drüber, beides zu einem Strudel wickeln, hin- und herrollen. Druck ausüben. Durchs Walken schrumpft der Filz auf die Größe und Dichte, die er haben soll. Sofern man es richtig macht. Bei meiner Tasche aber gibt es eine Schwachstelle. Kinderfaustgroß! "Filz verzeiht Fehler", hat Rita gesagt, "aber nur bis zum Walken." Was jetzt? Seite an Seite arbeiten wir büschelweise frisches Vlies ein. Sie gelassen, ich nicht. Pick pick, flick flick. Es funktioniert!
Zurück auf der Terrasse, wundert sich Christina, wo wir so lange geblieben sind. Stolz präsentiert sie ihr gutes Stück - mit seinen integrierten Blumen. Kompliment! Bin auch gleich so weit ... Fehlt nur noch ein Bad im Brunnenwasser, ein Tauchgang in Essig-Sud, ein Schleudergang, einmal bügeln. "Na, was sagst jetzt?" So etwas fertig gebracht zu haben, fühlt sich fantastisch an. Rita und ich strahlen uns an. Die Stelle, an der "es" passiert ist, bleibt unser Geheimnis.
Mein Fazit: Diese Tasche war bestimmt erst der Auftakt einer Serie!
Nachmachen: Ein zweitägiger Workshop mit maximal drei Teilnehmer/innen kostet pro Pers. 50 Euro, das Material je nach Verbrauch ca. 25 Euro. Termine auf Anfrage (Amort-Hof, Guggal 26a, Altrei, Tel. 00 39/04 71/88 20 30, www.roterhahn.it).
Übernachten: Naturoase Stegerhof. Bauernhof mit fünf Ferienwohnungen, eine davon heißt "Iris": viel Zirbenholz, modern und minimalistisch möbliert; mit Kamin, großer Küche, zwei Balkonen. Außerdem im "Stegerhof": kleiner Außenpool; schöner Wellnessbereich mit Heubad, Sauna etc. 70 Euro/Nacht. Der Hof liegt im Dorf Truden, ca. 15 Fahrtminuten von Altrei entfernt (Pintergasse 10, Truden im Naturpark, Tel. 00 39/?04 71/86 92 11, www.naturoase-stegerhof.com).
Einkehren: Kürbishof. Südtiroler Küche auf Gourmet-Menü - und nur ein paar Schritte unterhalb vom Amort-Hof (www.kuerbishof.it).
Waldheim. Gerade mal fünf Minuten mit dem Auto vom Kursort entfernt wird hier ein ordentliches Mittagessen serviert. Und wie im "Kürbishof" kann man sich auch hier einmieten (www.hotel-waldheim.com).
Hinkommen: Anreise über Bozen, von dort ca. eine Autostunde Richtung Neumarkt/Fleimstal. Der Kursort ist Altrei, eine Gemeinde, die sich auf verschiedene Bergdörfer verteilt (www.gemeinde.altrei.bz.it).