"Wir sind im Alten Testament", jubelt Barbara, eine unserer Mitreisenden, "gleich kommt Moses im Binsenkörbchen angeschwommen!" - "Und da hinten picknicken Adam und Eva unterm Apfelbaum!", rufe ich zu ihr rüber, denn so wie auf dieser Nil-Insel habe ich mir als Kind das Paradies vorgestellt: Mangos, die noch die Kühle der Nacht gespeichert haben, baumeln über Feldern voller Okraschoten und Auberginen, Prachtpalmen versprechen zum Dessert klebrig süße Datteln. Im Schatten von Zitronenbäumen futtern sandfarbene Esel Klee, ein Junge im weißen Gewand treibt Kühe zur Morgentoilette an den Fluss, durch dessen Blau ein Fischerboot gleitet.
Schon bei meinem ersten Sonnenaufgang am Nil verstehe ich besser, warum die Pharaonen ganze Berge versetzt haben, um nach ihrem Tod mit der Morgensonne wiederaufzuerstehen und ins Paradies einzugehen. Genauer: warum sie hunderttausende Tonnen Stein für ihre Göttertempel aus der Wüste schlagen ließen, zu einer Zeit, in der das Dynamit noch 4000 Jahre auf sich warten ließ.

Einige der schönsten Tempel stehen auf dem Programm unserer Nilreise: Luxor, Karnak, Hatschepsut, Kôm Ombo, Philae. In fünf Tagen segeln wir von Luxor nach Assuan, und weil unser Schiff wegen seines geringen Tiefgangs nicht nur an Kaimauern, sondern auch in Buchten anlegen kann, bekommen wir außerdem ägyptisches Landleben mit. Die Zeit für diese Reise war nie besser: Seit dem Arabischen Frühling ist der Niltourismus fast versiegt. Unsere kleine Reisegruppe - drei Paare und drei Frauen aus Deutschland - muss die altägyptischen Schätze nur mit wenigen Touristen teilen.

Als wir in Luxor eintreffen, liegen die großen Kreuzfahrtschiffe reihenweise vor Anker, die Fenster verhängt, die Decks verwaist. Reiseleiterin Abier, Ägyptologin aus Kairo, erzählt, dass sie selbst auf dem Tahrir-Platz gegen Mubarak gekämpft hat. Nun leidet sie unter der Verunsicherung der Urlauber - die Abstände zwischen ihren Jobs sind lang geworden.
Auch die Händler mit ihren Götterfiguren aus Alabaster und Basalt brauchen unser Geld dringender denn je. Im Tal der Könige kleben sie an uns wie Schatten. Noch bevor wir unser Schiff beziehen, durchqueren wir in der Glut der Wüstensonne eine Mondlandschaft aus Sandsteinbergen, die sich ins kompromisslose Blau des Himmels erheben - bis wir vor Hitze und Händlern in die unterirdische Grabanlage von Ramses IV. fliehen. Ein einziger Schritt katapultiert uns in eine bezaubernde Unterwelt: Der kühle Korridor, der tief in den Berg zu Ramses' Sarkophag hineinführt, ist über und über bunt bemalt. Unsere Augen eilen haltlos über Decken und Wände: Da ist das Totengericht, das verfügt, ob ein Verstorbener des ewigen Lebens würdig ist. Die Einbalsamierung, überwacht vom schakalköpfigen Gott Anubis. Die Kostbarkeiten, die dem Verstorbenen das Jenseits versüßen sollen. Die Könige ließen sich hier am Westufer des Nils begraben, wo am Abend die Sonne stirbt - in der Hoffnung, am Morgen nach ihrer Reise durch die Unterwelt mit Sonnengott Re am Ostufer ins ewige Leben einzugehen.
Ein Abenteuer mit Verwöhnfaktor

Für uns geht es aus der Unterwelt erst mal an Bord unserer "Dahabeya". Dankbar stürzen wir die Limonade aus aromatischen Nil-Zitronen hinunter, die Koch Mohammed für uns gepresst hat. Schnell wird klar: Das Schiff bietet unschätzbaren Luxus. Die 13-köpfige Crew navigiert den Nil mit links, kocht nebenbei ägyptische Spezialitäten und braut exzellenten Mokka mit Kardamom und Muskat. Kapitän Ramadan serviert uns Riesenportionen "Uma'Ali" - ein Dessert aus Milch, Nüssen und Rosinen - mit den aufmunternden Worten: "In Ägypten sagen wir: ‚Frauen ohne Fleisch schmecken nicht'." Sabr ist jederzeit für eine Runde Backgammon an Deck zu haben, und Ahmed huscht heimlich in unsere Kabinen, um aus unseren Handtüchern Krokodile und Mumien zu zwirbeln. Es ist wie Urlaub mit der Großfamilie.
Und trotzdem so entspannend. Wer auf dem Nil reist, heißt es, sieht fast das ganze Land - von der Liege aus. 90 Prozent der Einwohner leben an seinen Ufern: Weiß beturbante Fellachen schneiden auf den Feldern Klee, andere lagern im Schatten, reden, rauchen. Mit Stöcken und der Gelassenheit gesättigter Nilkrokodile treiben Fischer den Fang in ihre Reusen, andere sammeln Algen, um Netze daraus zu knüpfen. In der Mittagsglut zeugt dann nur noch flatternde Wäsche vom Leben in den Häusern aus Nilschlammziegeln. Ob die Leute jetzt fernsehen? Von den Dächern recken sich Satellitenschüsseln gen Himmel - Antennen ins irdische Jenseits, die die Verheißungen moderner Götter empfangen: Lippenstifte aus Paris, Entsafter aus Tunesien, Hollywood, Bollywood.

"Da hinten kommt Kôm Ombo!", ruft Abier in die Stille und zeigt auf einen Sandsteintempel, der am Ostufer thront. Kommt er, oder kommen wir? Alles fließt, alles gleitet, wir brauchen keinen Fernseher, die Welt an Bord ist Film genug. Als Soundtrack lispelt leise der Nil am Bug, und jetzt ist da auch noch der Motor des Schleppers, der unsere "Dahabeya" zieht: Flaute. Von meiner Liege blicke ich schläfrig zum Kapitän. Ramadan, das Gesicht von der Sonne zerfurcht wie trocknender Nilschlamm, steht an der Reling, summt sanfte nubische Weisen und dirigiert seine Mannschaft. "Ramadan, wann segeln wir wieder?", frage ich. "Inschallah, morgen ...", antwortet der, "morgen, wenn Gott will." Lächelnd schließe ich die Augen - nie war eine Reise besinnlicher.
Irgendwann beginnen die Religionen zu verschwimmen: Am Ufer, wo die Kuppeln der Palmen mit den Kuppeln der Moscheen konkurrieren, wo Obelisken und Minarette am Himmel kratzen und die Kathedralen der Kopten thronen. Und in unseren Köpfen. Wir lernen: Göttin Isis musste ihren Sohn Horus genauso vor machthungrigen Häschern verstecken wie später Maria ihren Jesus. Schon die alten Ägypter malten sich aus, dass die Pharaonen, allesamt Gottessöhne, auf Töpferscheiben geformt wurden: klarer Fall von unbefleckter Empfängnis. Und die Auferstehung haben die Christen auch nicht für sich gepachtet: "Gott Osiris, der von seinem Bruder Seth zerstückelt worden war, wurde von Isis wieder zusammengesetzt, weil sie ein Kind von ihm wollte", erklärt Abier beim Essen an Deck und fügt hinzu: "Und weil Isis den Penis ihres Liebsten nicht finden konnte, knetete sie ihm kurzerhand einen neuen aus Nilschlamm." Dann flüstert sie mir ins Ohr: "Der erste Dildo der Welt!" Ich staune. Zwar wusste ich, dass der Nil den ersten Nationalstaat der Menschheit in den Wüstensand geschwemmt hat, aber dass er auch Vater des ersten Sextoys war, ahnte ich nicht.
Durch eine fremde Welt gleiten: Nie war eine Reise besinnlicher

An Tag fünf auf meiner Liege zerfließen auch die Szenen der Reise wie Baklava in der Sonne. "Abier, in welchem Dorf hat uns die schwangere Amal in ihr Haus eingeladen?" - "In Bisau", antwortet sie. "Wie hieß noch mal der Markt, wo das Kamel unter brütender Sonne gehäutet wurde?" - "Darau." - "Abier, wo haben uns die mumifizierten Krokodile so nett angelächelt?", löchere ich sie weiter. "In Kôm Ombo." Abier verdreht verzweifelt die schönen Augen, weil ich sie das schon dreimal gefragt habe. Und so frage ich mich selbst: Hat der Imam der Abu-el-Haggag-Moschee, die wie ein Wespennest am 4000 Jahre alten Luxortempel klebt, eigentlich wirklich gesagt, dass er mich heiraten will? Darf der das?
Plötzlich drehen die Götter das Gebläse hoch. Der Wind kühlt nicht länger, er heizt. Wir segeln 30 Kilometer vor Assuan, wo die Sahara den Sand bis ans Ufer kippt und den Nil tailliert. Der gluckst und schäumt vor Wut, trotzdem kann er die Wüste nicht davon abhalten, einen Staubschleier über ihn zu legen. Alle fangen hektisch an zu husten. Nur Abier bleibt gelassen: "Das ist der Sandsturm Khamasin."
Das Abendrot fällt heute ins Wasser. Über der schwarzen Bergsilhouette der Wüste hängt die Sonne als weiße Scheibe am grauen Himmel und versilbert den Nil. Der Welt wurde jegliche Farbe entzogen - so wie den Toten auf ihrer Reise durch die Unterwelt, die die altägyptischen Priester als schwarze Strichmännchen an die Grabwände malten. In den Gesängen der Muezzins, die übers hibbelige Wasser wabern, meine ich, Stimmen aus dem Totenreich zu hören.
Als Sonnengott Re mir am Morgen mit seinen Strahlen sanft die Augen öffnet und ich aus dem Kabinenfenster blinzle, bin ich erlöst: Die Welt ist wieder in Farbe. Zwei Wasserbüffel, bauchtief in ihrem Element, blicken mir malmend in die Augen, ein Wiedehopf-Pärchen pickt sein Frühstück aus dem Gras, im Schatten eines Palmenhains säugt eine Dromedarmutter ihr Baby. Ich bin im Paradies.
Reisetipps Nil-Kreuzfahrt Ägypten
Die Reise. 7-tägige Rundreise mit 5-tägiger Kreuzfahrt auf einer "Dahabeya" von Luxor nach Assuan, 2 Nächte im Iberotel Luxor, Zugfahrt 1. Klasse von Assuan nach Luxor, deutschsprachige Reiseleitung, Flug, Transfers und VP ab 1393 Euro/Person in der Doppelkabine (OFT Reisen, Tel. 071 56/16 11 15, www.oft-reisen.de).
Beste Reisezeit. Im ägyptischen Wüstenklima sind die Temperaturen von November bis März am kühlsten - tagsüber bleiben sie unter 30 Grad, allerdings können sie nachts in den einstelligen Bereich sinken. Also auch einen warmen Pulli einpacken!
Sicherheit. Die Dahabeya-Kreuzfahrt beschränkt sich auf den ländlichen Süden Ägyptens - weit weg von Kairo und Alexandria, wo es zurzeit zu Unruhen kommt. Mit dem Direktflug nach Luxor und der Rund-um-die-Uhr-Betreuung durch Reiseleitung und Crew fühlt man sich sehr sicher. Aktuelle Infos zur Sicherheitslage unter www.auswaertiges-amt.de
Lesen. Einen guten Einblick in die Sehenswürdigkeiten gibt der Reiseführer "Ägypten. Die klassische Nilreise" (Dumont, 16,99 Euro). - In ihrem Buch "Tausend Meilen auf dem Nil. Die Ägyp- tenreise der Amelia Edwards 1873/74" berichtet die britische Autorin von ihrer Dahabeya-Reise: detailliert und unterhaltsam (Phoibos Verlag, 39,90 Euro).
Schwelgen. Die Reise in Bildern: www.brigitte.de/fotoshow-aegypten
Informieren. Ägyptisches Fremdenverkehrsamt: www.egypt.travel