Anzeige
Anzeige

Mit der Bummelbahn durchs Wunderland

Wer auf dem malerischsten aller Wege durch Fjord-Norwegen fahren will, muss in den Zug steigen. Die Flåmsbahn, die sich durch das steile Flåmstal schlängelt, gilt als Meisterwerk norwegischer Ingenieurkunst. Zwanzig Jahre baute man an der Strecke, die direkt zum spektakulären Aurlandsfjord führt.

Er sieht aus wie eine Mischung aus einer Bummelbahn aus einem Vergnügungspark und einem herrschaftlichen Zug aus britischer Kolonialzeit. Nur, dass die Briten nie in Norwegen waren. Der dunkelgrüne Zug bietet soviel Raum, dass auf jeder Seite des Ganges fünf Leute bequem nebeneinander Platz haben. Man sitzt auf rot-orangefarben gepolsterten Bänken, die Wände sind mit rot gemusterter Stofftapete und Holz verkleidet. Sogar silberne Kleiderhaken gibt es. Jeden Augenblick erwartet man einen Kellner aus der Jahrhundertwende, der englischen Tee und Ingwerkekse reicht. Doch der kommt nicht. Stattdessen stürmt ein Rudel Japaner den Waggon und sichert sich die besten Plätze am Fenster.

Paradies für Modelleisenbahner

image

An der ersten Haltestelle wird dann noch ein ganzer Trupp Rentner eingeladen, der über eine Lage Holzpaletten sicher in den Zug gelangt. Ich wusste zwar, dass sich die Flåmbahn rühmt, jährlich mehrere hunderttausend Personen durch die schluchtenreiche Landschaft zu befördern, aber nicht, dass sie alle auf einmal in den Zug steigen. Zum Glück habe ich mir einen Platz neben einer dänischen Familie gesichert, deren ausgewachsener Bobtail friedlich zu ihren Füßen schläft. Als die Türen wieder zu sind, weist uns die freundliche Ansage in Norwegisch, Englisch und Spanisch darauf hin, dass unsere Reise 863,5 Meter in die Tiefe führt. Der Zug ruckelt vorbei an allerlei unaussprechlichen Orten wie Vatnahalsen oder Reinunga. Die Landschaft sieht aus, als hätte ein Modelleisenbahner seinen Traum verwirklicht. Grüne Täler schmiegen sich an mächtige Berge. Kleine Dörfer gruppieren sich um typische Stabkirchen, und manchmal ist der Bahnhof nur eine kleine rot-weiße Hütte mit einem Feldweg, an dem ein hölzerner Wegweiser steht.

Man muss seinen Hals richtig recken, damit man die tiefen Schluchten hinunter sehen kann. Nirgendwo auf der Welt gibt es eine so steile normalspurige Eisenbahnstrecke. Die Gleise mussten in starkem Gefälle und scharfen Kurven verlegt werden, damit sich die Züge die Abhänge hoch- und niederschlängeln können. Auf einem Großteil der Strecke bewältigt die Flåmbahn eine Steigung von 55 Prozent. Das entspricht einem Meter Gefälle auf eine Strecke von 18 Metern. Von Myrdal bis ins malerisch gelegene Flåm sind es nur zwanzig Kilometer, aber die Fahrt dauert fast eine Stunde. Es ist einfach zu steil, um hier eine wilde Talfahrt hinzulegen. Außerdem würde man in flotterem Tempo ja die zahlreichen Sehenswürdigkeiten verpassen.

Ich stehe auf, um aus dem Fenster auf der anderen Seite sehen zu können. Unter uns liegt das Flåmsdalen wie hingemalt. Darüber ragen schroffe Felsen in den Himmel und kleine rot-weiße Häuschen schießen wie Fliegenpilze aus dem Berg. Als ich mich wieder umdrehe, sehe ich nur noch Haare. Der riesige Bobtail der dänischen Mitreisenden hat sich auf dem Platz neben mir breit gemacht. Sein Herrchen scheint das wenig zu stören. Ich räuspere mich genervt, aber der Besitzer bemerkt mich nicht. Er ist viel zu beschäftigt, jeden vorbei fliegenden Grashalm mit seiner Videokamera festzuhalten. Der Hund macht es sich bequem und versperrt mir vollends die Sicht. Na, Hauptsache er kann was sehen.

Nach zwanzig Minuten halten wir am Kjosfossen, einem sagenumwobenen Wasserfall. Doch bevor ich gemerkt habe, was der Grund unserer Rast ist, haben die Japaner bereits die geräumige Aussichtsplattform erobert. Auch die Dänen drängt es nach draußen. Im Reiseprospekt heißt es „An keinem Ort der Erde haben Eisenbahnreisende die Möglichkeit, den Anblick eines derart imponierenden Wasserfalls zu genießen wie vom Bahnsteig am Kjosfossen.“ Ich kann die ganze Aufregung nicht verstehen. Zwar ist der Wasserfall durchaus schön anzusehen, aber da ist er in Norwegen ja nun wirklich nicht der einzige.

image

Ich beschließe, die Ruhe im fast leeren Abteil zu genießen und lehne mich zurück. Dann erregt doch etwas meine Aufmerksamkeit. Von draußen ertönt plötzlich ein Gesang, der wie Robbengeheul mit mittelalterlichen Einflüssen klingt. Ich sehe aus dem Fenster und entdecke plötzlich eine Frau die neben dem Wasserfall auf einem Felsvorsprung steht. Das will ich mir genauer anschauen. Ich schnappe meine Kamera und verlasse den Waggon. Die Japaner sind ganz aus dem Häuschen. Über uns im Berg steht noch immer die Frau, die ein bisschen aussieht, wie eine norwegische Esmeralda-Ausgabe in ihrem roten Flatter-Gewand. Zu weinerlichen Gesängen tanzt sie über die Steine und verschwindet hinter einer Ruine. Dann taucht sie plötzlich zwanzig Meter tiefer hinter einem andern Felsen auf. Schon klar: Es handelt sich hier um zwei Frauen, aber den Japanern ist das egal. Staunend deuten sie auf den Wasserfall und winken aufgeregt. Ihre Fotoapparate klicken unaufhörlich. Ich kann mich gemeinsam mit ein paar anderen Reisenden nicht mehr halten vor Lachen und weiß nicht, ob die Norweger hier einfach große Selbstironie beweisen oder ihre historische Bahnstrecke doch ein Vergnügungspark ist. Jetzt erinnere ich mich auch, dass wir zehn Minuten zuvor im Zug darauf hingewiesen wurden, dass im Flåmstal manchmal mystische Figuren gesichtet werden. So war das also gemeint.

Wer ein Foto machen will, muss schnell sein

Ich bin froh, als wir endlich weiter fahren, denn ich will Natur sehen. Und davon gibt es auf dieser Strecke genug; sie gilt schließlich als eine der spektakulärsten Europas. Der Bobtail liegt wieder am Boden und wärmt mir mit seinem Fell die Füße und ich versuche ein paar Fotos von der Troll-Landschaft dort draußen zu zu erhaschen. Aber ganz so einfach ist das nicht. Wer auf dieser Fahrt ein gutes Bild machen will, muss den Finger am Abzug halten. Denn ehe man sich’s versieht, steckt man in einem der zwanzig Tunnel. Aber auf die ist man hier besonders stolz. Nur zwei wurden mit Maschinen gebaut. Die anderen schlugen die Arbeiter mit eigener Kraft in den Fels. Um die Höhenunterschiede in dem enorm steilen Gebirge auszugleichen, sprengte man Wendetunnel spiralförmig ins Gebirge.

Es geht vorbei an schneebedeckten Gipfeln, an Wasserfällen, die ins Tal stürzen und Berghöfen, die sich an die steilen Hänge klammern. Wegen der Lawinengefahr kreuzt die Flåmsbahn dreimal das Tal und einen Fluss. Brücken gibt es nicht. Stattdessen wurde der Fluss in Tunneln unter der Eisenbahnstrecke durchs Gestein geführt.

Nur noch wenige Minuten, dann erreichen wir den kleinen Ort Flåm und den äußersten Zipfel des spektakulären Aurlandsfjord, einem Seitenarm des Sognefjord. Ein Regenbogen verschwindet hinter dem Berg, und auf dem Wasser dümpelt einsam ein Segelboot. Von hier werden wir morgen früh kurz vor Sonnenaufgang mit der Fähre sechs Stunden auf diesem weltweit längsten Fjord nach Bergen fahren. Langsam ist genau das richtige Tempo für Norwegen.

Mehr Informationen finden Sie unter: www.flaamsbana.no

Einfache Fahrt: Erwachsene ca. 20 Euro Kinder 4 - 15 Jahre Nok 10 Euro

Maike Dugaro

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel