Mit den Stunden geht man hier sehr streng um. Als mich am frischroten Morgen ein Taxifahrer vom Flughafen der neuseeländischen Metropole Auckland zu meiner Bed-&-Breakfast-Herberge gebracht hat, warnt dort ein Schild, unter keinen Umständen zwischen zehn Uhr abends und sieben Uhr in der Früh um Einlass zu klingeln. Ich verharre kurz im Vorgarten, nehme zwei Gestalten wahr, die im Morgenrock aus der Tür treten, ein wenig schuldbewusst ihre Zigaretten rauchen und wieder verschwinden, ohne mich oder meine Koffer eines Blickes zu würdigen. Hinter der Hibiskushecke, auf dem Bürgersteig der steil ansteigenden Straße, zieht bereits der zehnte Jogger unaufhaltsam und ohne erkennbare Atemnot an mir vorbei. Ich atme die frische Luft tief in meine Lungen und denke besorgt an das Programm der kommenden 14 Tage in diesem Land.
Auf dem 24-stündigen Flug, der mich aus dem verregneten Frankfurt um die halbe Erde trug, bin ich die Einzelheiten noch einmal durchgegangen: Dabei ist mir klar- geworden, dass meine neuseeländischen Gastgeber sich den Besucher weniger als einen graugesichtigen Caféhaus-Literaten vorstellen denn als einen gymnastikgestählten Naturburschen, der dem Ruf der Gletscher in den Southern Alps der Südinsel ein genauso williges Ohr leiht wie dem Balzen der seltenen Vogelarten Takahe und Kakapo. Um es vorsichtig zu sagen: Selbst äußerst wohlwollende Freunde haben mir eine solche Rolle nicht zugetraut. Ich mache mich auf die Suche nach einem Laden für Turnschuhe.
Natürlich sind die Geschäfte noch geschlossen, so kann ich mich ganz auf die Architektur jenes "Ortes der hundert Liebenden", wie die Stadt in der Sprache der Maori genannt wird, konzentrieren. Nennen wir den Eindruck zwiespältig: gemütliche alte Kolonialbauten spiegeln sich in den Glasfronten neuer Geschäftstürme. Der Wille zur Metropole ist unverkennbar, doch so richtig ernst scheint die Bevölkerung ihn nicht zu nehmen. Ihr Traum vom Glück offenbart sich wohl eher in jenen unendlich langen Reihen wohlgepflegter Vorstadthäuser, in die sich die 950.000 Einwohner zurückziehen. Diese Liebe zum Eigenheim hat dazu geführt, dass der Besucher gut 50 Kilometer zurücklegen muss, um in Auckland von der nördlichen zur südlichen Stadtgrenze zu gelangen.
Am Nachmittag dieses Tages erschließt mir eine Busreise weitere Attraktionen der Stadt. Der Fahrer trägt wissensnotwendige Daten vor, doch meine Aufmerksamkeit wird von der Sitznachbarin beansprucht, einer älteren Japanerin, die sich ihre eigenen Informationen mitgebracht hat. "Zwar glauben manche, die Maori seien aus meinem Land gekommen", erzählt Toshiko, "Sie wissen schon, damals vor tausend Jahren, mit ihren sieben großen Booten, doch ich halte das für kein sehr gutes Gerücht. Japaner haben nie richtig paddeln gelernt." Wir blicken auf den Hauraki Golf, unzählige Segel glitzern in der hellen Sonne. Dem Reiseführer fällt zu diesem Postkartenprospekt der Name "City of Sails" ein, und er fügt schnell eine Statistik hinzu, welche die Bevölkerung der Zahl der Schiffchen zuordnet.
Keine Schlangen, keine Skorpione, kaum Gangster
Auf Toshikos makellos gepudertes Gesicht legt sich der Unmut eines Zweifels. "Ich habe hier andere Daten", bemerkt sie kühl und zieht aus ihrer Reisetasche einen roten Wollstrumpf. "Merry Christmas" steht auf dem Strumpf sowie der Name eines Hotels. In Neuseeland hat der Sommer begonnen. Also steht Weihnachten kurz vor der Tür. Toshiko kramt nach einer Broschüre. "Mehr Schiffe pro weniger Mensch", triumphiert sie, "mein Reiseveranstalter hat mich gründlich vorbereitet. Sieht man von Auckland ab, ist dieses Land überhaupt sehr einsam. Deswegen kommen so viele von uns ständig hierher. Einsame Strände und wilde Flüsse, Jade und Gold, doch keine Schlangen, keine Skorpione und kaum Gangster. Dafür der Gelbaugenpinguin und der Schwarze Stelzenläufer." Sie seufzt beglückt und schaut wieder in ihre Broschüre. "Sie sind ja auch Schriftsteller, Sie werden das begreifen."
Doch schon bei meinem ersten Ausflug zu der Halbinsel Coromandel, zweieinhalb Autostunden östlich von Auckland, bemerke ich an mir die verblüffende Veränderung von einem Bücherwurm zu einem Naturfalter: Aus meinem Wortschatz verflüchtigen sich die Adjektive und machen ehrfürchtigem Staunen platz. Die Fahrt führt an der Küste vorbei, durch eine Allee von Laubbäumen, aus denen dunkelrote Doldenblüten schimmern. Zur Linken liegt ein Meeresarm, dessen von sepiaschwarz bis kupfergold glänzende Oberfläche anmutig gebuckelte Schären umspielt. Ans Ufer schmiegen sich Hügel, auf welche die Sonne sämtliche Farben zaubert, welche je ein Künstler zum Ausdruck des Spektrums "Grün" auf seine Palette gemischt haben mag.
Eine Orgie des Schauens
Angereichert wird diese Orgie des Schauens durch alle Effekte, die einsame Baumgruppen, Buschkaskaden oder verstreute Schafherden erzeugen können. Da dankt der Dichter gern ab und wünscht dem Bildgestalter von Herzen viel Glück. Die Allee, deren Schönheit mir den Atem und die Adjektive raubt, wird von Bäumen gesäumt, welche in der Sprache des Landes "Pohutukawa" genannt werden. Vermutlich handelt es sich dabei um eine schlichte, vielleicht verstellte Maori-Fassung unseres Begriffes von "Weihnachtsbaum", man kann schließlich bei den glühenden Dolden auch an Tannenbaumkerzen aus Purpur denken.
Doch so einfach will ich mir die Sache nicht machen. Mir ist nämlich aufgefallen, dass in diesem Land lauter Tarnwörter ihr Unwesen treiben, welche den Fremden verwirren. Ortsnamen wie zum Beispiel Te Aroha oder Whitianga, Pauanui oder Matamata klingen wie das verlockende Versprechen aus einem Piratenfilm mit Errol Flynn, doch in der schnöden Wirklichkeit können sie sich als aus dem Katalog gewürfelte Fertighaussiedlungen entpuppen. "Reibt ihr euch nicht an diesen exotischen Lauten?" frage ich am Abend meine Gastgeber. Man kann in Neuseeland sehr praktisch und preiswert bei wildfremden Leuten einkehren, mit denen man schon nach der ersten Tasse Tee seit Jahren befreundet zu sein scheint. "Was meinst du mit exotisch?" gibt der Gastgeber verständnislos zurück.
Alle Orte heißen irgendwie gleich
Vielleicht hege ich meinen Groll auf die fremd klingenden Namen aber auch nur deshalb, weil sie mir ständig wieder aus dem Gedächtnis purzeln. Auf dem Weg nach Rotorua, in jene atemberaubende Bergwelt der Vulkane, verliere ich mich dank einer Umleitung tief im Busch. "Mann", sagt der Graukopf am Wegesrand, den ich um geographische Hilfe bitte, "Mann, haben Sie sich vielleicht verfahren!" Es klingt fast bewundernd. Dann nennt er mir sieben oder acht Weiler (mit den ensprechenden Abbiegungen), die mich zurück zur sicheren Hauptstraße steuern würden. Natürlich heißen sie alle Tirohia oder Takunui, möglicherweise auch Takuhia oder Tirunui. Ich muss noch oft anhalten und lerne so viele hilfsbereite Menschen kennen.
Im Arts & Crafts Institute in Rotorua führt mich Emily in die Kunst und das Handwerk der Maori einführt. "Betrachten Sie mich als eine verwässerte Maori, doch so richtig rein ist hier kaum jemand", lacht sie. Dann zeigt sie mir ausgefallene Schnitz- und Webarbeiten, deren Tradition in diesem Museum gepflegt wird, einmal, um den Touristen eine andere Seite der neuseeländischen Geschichte zu zeigen, zum anderen und wichtigeren, um Emilys eigenem Volk den Stolz auf das Vermächtnis der Vorfahren zu zeigen. Die Kultur der Maori kennt nur mündliche Überlieferungen, um so wichtiger sind die geschnitzten und geknüpften Artefakte der Ureinwohner.
Die esoterische Kraft der Maori
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"Es geht um das Bewahren unseres spirituellen Erbes", sagt Emily, "um die esoterische Kraft." An dieser Stelle muss ich eine verstockte Miene aufgesetzt haben, schon immer habe ich Handarbeit höher geschätzt als Spiritualismus. Um mich zu überzeugen, erzählt Emily mir flink eine Geschichte, deren Pointe mich mit der Geisterwelt des Inselreichs versöhnt: Irgendein Tunichtgut, ein Weißer, kein Maori, hat unlängst einen Umhang gestohlen, den Emily für ihren Enkel verfertigt hatte. Klassische Muster und seelische Vertiefung hatte sie in das Werk eingewoben, aber das wurde dem Dieb erst klar, als er einige Nächte keinen Schlaf finden konnte, weil er sich mit jenem heiligen Kleidungsstück zugedeckt hatte. Die geraubte Ruhe trieb den vormals Ungläubigen zur Rückgabe des Maori-Mantels - und in das Lager einer puritanischen Sekte.
Ganz nach der Art der Alten können natürlich weder die Maori noch die Weißen, die pakehas, leben. Das erläuterte mir ein besorgter Ökologe im TransAlpine, jenem legendären Zug, der auf der Südinsel die Städte Christchurch (im Osten) und Greymouth (im Westen) miteinander verbindet. Wobei "Verbindung" ein viel zu herbes Wort für diese viereinhalbstündige Traumfahrt ist. Während vor unseren Augen schneebedeckte Gipfel und sanft geschwungene Täler vorbeiziehen, das Flussbett so klar und hell leuchtet, dass noch sein Boden durchsichtig erscheint, beschwört der junge Professor das Schicksal des Eulenpapageis und der Urfrösche, warnt vor dem Aussterben der Rieseninsekten und Brückenechsen, und er trauert den vielen verschwundenen Arten des mir unbekannten Moa nach.
"Überfahrene Opossums nicht berühren!"
Tradition kann nicht mehr Vorbild sein, weder für Maori noch für Weiße. So wollen es auch die strengen Auflagen des neuseeländischen Umweltschutzes, die den einen - etwa - die Verwendung von Federn seltener Vogelarten für ihre traditionellen Kostüme verbieten, den anderen - etwa - die allzu eifrige Befolgung des christlichen Gebotes, der Mensch solle sich die Erde untertan machen. Schließlich sind genug Wälder niedergeschlagen und -gebrannt worden, schließlich müssen heute die herrlichen Kauri-Fichten genauso gehegt werden wie die seltenen Braunen Kiwis. Die Suche nach Gold ließ Krater entstehen, auf die der Mond neidisch sein könnte. Und was dem Menschen nicht aus eigener Kraft gelang, das besorgten Kaninchen, Rotwild oder Opossums.
Natürlich bin auch ich nur Tourist, wenn auch privilegiert, wenn auch mit neuen Turnschuhen. Wie alle anderen Fremden wandere ich zwischen Alpen und Stränden, durch Moose und Farne und lasse die Augen trinken, was die Wimper hält: Regenwälder, Palmen und Geysire, Seelöwen und Pinguine, Weiße Reiher, Saumschnabelenten und bizarre Felsformationen, aus denen das Meer spuckt, als sei es dieses Effektes überdrüssig. Der Zauber dieser zwei Inseln hat es gefügt, dass ich ein seit Jahren nicht nicht mehr verspürtes Locken in verschlafenen Muskelpartien empfinde, einen geheimnisvollen Bewegungsdrang. Freudig stimme ich zu, wenn mein Begleiter empfiehlt, statt mit dem Hubschrauber (einem Wesen, das hierzulande offenbar der Vogelwelt, mithin der Natur, zugerechnet wird), die Gletscherfelder Franz Joseph und Fox hochzusteigen. Ich rümpfe die Nase, wenn mich das jetboat zur Lagune von Okarito befördern soll, lieber will ich auf meinen eigenen Pfaden schreiten. Der Gedanke, dass die schiere Natur ihren Bewunderer glücklich machen könne, ist mir näher denn je. Allerdings weiß ich noch nichts von den berüchtigten "sandflies", den Teufelsgeißeln dieses Paradieses. Doch damit begänne nun wieder eine völlig andere Geschichte.
Neuseeland im Netz
Wer bietet in Auckland Pferde-Trekking an? Wo gibt's Informationen zur Kultur der Maori? Wo sind die besten Plätze zum Tauchen oder Windsurfen? Und wo kann man Ballon fahren? In der Online-Datenbank für Neuseeland gibt's ein Suchprogramm, Links und Informationen zu rund 19000 neuseeländischen Veranstaltern aller Sparten - wie Aktivitäten, Natur, Übernachtungen, Kultur. Weitere Informationen beim Fremdenverkehrsamt von Neuseeland, Friedrichstr. 10 - 12, Frankfurt/Main, Tel. 069/9712110, Fax 97121113.
Anreise: Zum Beispiel dreimal wöchentlich mit Air New Zealand von Frankfurt nach Auckland via Los Angeles (Flugzeit 24 Stunden). Die Kiwi-Linie fliegt auch in der Economy Class mit besonderem Komfort: Sitzabstand 86 cm. Stopover in der Südsee. Auf Angebote in den Reisebüros achten!.
Pauschalen: Unter dem Motto Erlebnis & Abenteuer bietet Dertour komfortable Rundreisen mit Geländewagen an.
Wohnmobile zur Miete enthält u. a. der Katalog von Meier's Weltreisen.
Individuelle Touren in kleinen Gruppen führt Harry's Adventure Tours durch (Harald Dindorf, Neidlingstr. 13, 88630 Pfullendorf, Tel. 01 71/491 77 87).
Kiwi-Experten sind auch Inter-Air Voss Reisen in Frankfurt, Hauser Exkursionen und Kiwi-Tours in München.
Bed & Breakfast: Die ebenso persönliche wie preiswerte Übernachtungsform (in Neuseeland heißt sie auch Home- oder Farmstays) ist sehr beliebt. Auskunft bei der NZ Federation of Bed & Breakfast Hotels Inc.: 52, Armagh Street, Christchurch, Tel. 00 64/3/366 15 03. Eine Zusammenstellung besonders guter Adressen enthält das "New Zealand Bed & Breakfast Book", im Lande fast überall im Buchhandel erhältlich. Lodges, Farmen und B & B-Unterkünfte bietet auch Michael Nees Travel in seinem Ginz-Katalog "Zu Gast in Neuseeland" an (Kantstraße 5, 63533 Mainhausen, Tel./Fax 061 82/30 35).
Reiseführer: "Camping Guide Neuseeland" aus der Reihe Reise Know How, Därr Verlag; "Neuseeland" aus der Reihe Merian XL, Gräfe und Unzer Verlag; Viva Guide "Neuseeland", RV-Verlag; "Neuseeland entdecken und erleben" aus der Reportage-Reisebuchserie von abenteuer & reisen; Robinson Reisebegleiter "Neuseeland" aus dem OPS-Verlag.
Bildbände: das Buch "Neuseeland" aus dem Stürtz-Verlag, mit Bildern von Karl Johaentges und Texten von Bruni Gebauer und Stefan Huy, 58 DM; "Naturwunder Neuseeland" von Andris Apse, Bruckmann-Verlag.
Literatur: "Potiki" von Patricia Grace: eine Maori-Gemeinschaft verteidigt das Land ihrer Ahnen und sucht ihre Zukunft (Unionsverlag).
Info: Das Fremdenverkehrsamt von Neuseeland, Friedrichstraße 10-12, 60323 Frankfurt, Tel. 069/971 21 10, Fax 069/97 12 11 13, verschickt einen kostenlosen Reiseführer mit vielen praktischen Tipps. Im Internet: das New Zealand Tourist Board.