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Reise nach South Dakota: Die andere Seite der Prärie

Eine Reise zu den Indianern in South Dakota? Klingt wildromantisch. Ist aber mehr als das. BRIGITTE-Redakteurin Nikola Haaks über eine Reise in eine andere Galaxie.

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Eine Supermarktkasse im Walmart in Rapid City, sieben Uhr morgens. Ich hatte meine Zahnbürste vergessen. Die Kassiererin fragt mich strahlend, wie es mir geht und warum ich hier bin. "Urlaub im Indianerreservat", sage ich norddeutsch kurz angebunden. Ich mag Konversation an der Supermarktkasse ja nur so mittel und schon gar nicht frühmorgens mit Jetlag. Sie flötet: "Wow, hooooow interesting! Good luck!" Damit hat sie jetzt nicht gerechnet, dass Touristen nach South Dakota kommen, um im Reservat Ferien zu machen.

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Vielleicht auch etwas ungewöhnlich, denn es gibt sicher entspanntere Urlaubsorte als das Sioux-Reservat an der Grenze zu Nebraska: Die Arbeitslosenquote beträgt 85 Prozent, Alkoholismus und Gewalt sind an der Tagesordnung. Viele weiße Amerikaner nehmen lieber einen Umweg, als durch das 11000 Quadratkilometer große Gebiet zu fahren. "Entering Pine Ridge Reservation. Jagen nur mit Genehmigung erlaubt", steht auf dem großen rustikalen Holzschild, das anderthalb Stunden Autofahrt später zwei Galaxien voneinander trennt: Amerika und seine Ureinwohner. Die Landschaft erinnert mich an Dithmarschen. Viel Gras, keine nennenswerte Erhebung, ein paar weidende Kühe. Ab und an stehen bunte Wellblechhäuser oder Trailer an der Seite, davor Sperrmüll: Autowracks, Metallteile, verrostete Fahrräder - und immer wieder Schilder: "Please, clear around your home".

Was ich hier will? Ich bin nicht besonders spirituell und erwarte kein Erweckungserlebnis in der Schwitzhütte. Aber ich erhoffe mir einen ehrlichen Einblick in das Alltagsleben der Lakota, einem Unterstamm der Sioux-Indianer. Auch wenn es vielleicht weh tut. Am nächsten Morgen krieche ich aus dem Zelt und trotte hinüber ins Gebäude der kleinen Lakota-Waldorf-Schule in dem 700-Seelen-Nest Kyle. Die Schule ist für die nächsten Tage unsere Basis. Und das Projekt, das im Rahmen dieser Spendenreise unterstützt wird. Wir können dort kochen, essen, duschen - und auf dem Grundstück die Tipis und Zelte aufbauen, in denen wir schlafen.

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Wir, das sind zwölf Frauen und drei Männer - einer davon der deutsche Reiseleiter Dirk, der sich mit Herzblut den Lakota verschrieben hat. Jeden Morgen um kurz nach acht, wenn wir gefrühstückt haben, kommt der gelbe Schulbus auf den Hof gefahren, 18 kleine Indianerkinder springen heraus und beobachten uns ganz fasziniert: 15 erwachsene weiße Menschen in Outdoor-Klamotten, die auf ihrem Schulgelände kampieren. Das gibt es auch nicht alle Tage.

"Der größte Teil von Amerika interessiert sich nicht dafür, was wir hier machen. Wir leben in einem Schattendorf", sagt Isabel Stadnick, 55, eine Schweizerin, die die Schule mitgründete. Das Ziel: die sehr lange von der Regierung verbotene Lakota-Sprache wiederzubeleben. "Ohne Sprache verliert ein Volk seine Identität", sagt Isabel, "die staatlichen Schulen im Reservat bieten Lakota nur als Nebenfach an, kaum ein Pine-Rigde-Bewohner unter 50 spricht es noch."

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Isabel hat sich 1989 auf einer Urlaubsreise in den Lakota Bob verliebt. Nach seinem plötzlichen Tod, acht Jahre später, verließ sie Amerika. Und kam schließlich zurück. Sie liebt die Prärie. Dass der nächste Supermarkt 50 Meilen weit entfernt ist, stört sie nicht. Auch nicht die Armut. Kyle hat sich entwickelt, sagt sie. Seit fünf Jahren gibt es ein Motel mit Restaurant, einen BurritoLaden und einen Coffeeshop. Die junge Patricia Hammond hat ihn letztes Jahr eröffnet. Patricia, 35, kommt aus einer wohlhabenden Lakota-Familie und kümmert sich um Kinder im Reservat.

Sie nimmt uns mit in ein Waldstück namens Yellow Bear Canyon, in dem Medizinmänner seit tausenden von Jahren ihre Kräuter sammeln. Patricia buddelt in der Erde, fördert irgendwelche Knollen zutage und sagt: "Hier, beiß mal drauf!" Es ist eine Echinacin-Wurzel, die sofort meine Zunge betäubt. Wir riechen und reiben an Blättern, deren Namen ich mir nicht merken kann. Zum Schluss sammeln wir Unmengen von wildem Salbei, der hier überall wächst. Salbei ist die heilige Pflanze der Indianer. Geraucht soll er Geist, Herz und Seele klären. Er liegt heute noch in meiner Küche, und wenn ich ihn sehe, bin ich sofort in South Dakota.

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Am nächsten Tag sitzen wir bei der energischen Karlene Hunter im Büro. Die 59-Jährige gründete eine Firma, die Energieriegel aus Büffelfleisch herstellt. Ihre "Tanka Bars" werden mittlerweile im ganzen Land bei der Biomarkt-Kette "Whole Foods" verkauft. Was ein sagenhafter Erfolg ist. Karlene sagt, dass sich im Reservat viel geändert hat, vor allem, weil engagierte Frauen hier leben. Und dass es nur eine einzige Chance gibt, noch mehr zu ändern: Arbeitsplätze. Nach diesen Begegnungen bekomme ich langsam ein Gefühl dafür, dass ein Teil dieses Lebens gar nicht so weit weg von meinem ist, wie ich anfangs dachte.

Wir machen kleine Ausflüge zu Rosi in die "Trading Post", wo wir lernen, Perlenarmbänder zu knüpfen, oder ins Oglala-College zu Charly White Buffalo. Der sieht aus wie die indianische Version von Alain Delon, unterrichtet Lakota und Traditional Arts - und bringt erwachsene Männer dazu, traditionelle Motivbilder zu sticken. Nach Feierabend knattert er gern auf seiner heißgeliebten Harley in die Schule, um uns ein paar Brocken Lakota beizubringen.

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Aber was ist eigentlich sonst so mit den Männern? "Die sind alle nicht zu gebrauchen", sagt Madonna Whirlwindhorse und lacht ihr raues Lachen. Die 39-Jährige kommt jeden Abend und kocht uns Essen. Während sie ein sensationelles in Olivenöl frittiertes Brot zubereitet, das sie später mit Hackfleisch füllt, erzählt sie, dass sie Kinder von verschiedenen Männern hat. Aber erst, seit sie alleinerziehend ist, geht es ihr gut. Madonna nennt sich "contractor" und kann so ziemlich alles, was mit Hausbau zu tun hat. Aber sie hatte keinen Bock mehr, sich irgendetwas von Männern sagen zu lassen, deswegen hat sie gekündigt und macht jetzt ihr Ding. Dazu gehört eben auch, dass sie mal kocht, wenn sie Geld braucht.

Nach drei Tagen bauen wir die Zelte ab, verstauen alles in die Autos und machen einen Ausflug, raus aus dem Reservat, in die Black Hills, die heiligen Berge der Sioux. Auf dem Weg dorthin kommen wir durch Orte mit Läden, Supermärkten, Tankstellen und Leuchtreklame. Wir quetschen uns auf den mit Touristenbussen zugepflasterten Parkplatz am berühmten Crazy Horse Memorial und drängeln uns durch Souvenir-Shops. Plötzlich fühle ich mich wie früher, wenn ich nach einem Tagesbesuch aus der DDR in den Westen zurückkam: reizüberflutet. Aber dann fahren wir weiter, ein Stück nach Osten, in die Badlands. Und spätestens hier kriegt sie mich, die Prärie.

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Die Badlands sind ein riesiges Gebiet, in dem sich zerklüftete Felslandschaften und weite Grasflächen abwechseln. Hier wurden 1990 Teile von "Der mit dem Wolf tanzt" gedreht. Eine unwirtliche, atemberaubende Landschaft. Man kann sich gut vorstellen, wie sich in diesen endlosen Schluchten früher die Indianer vor den Weißen versteckten - allen voran der berühmte Häuptling Sitting Bull.

Im Abendlicht fahren wir über eine sandige Piste, links ein bizarres Felsenmeer, rechts weite Prärie. Dann eine Kurve, und plötzlich stehen wir vor einer frei laufenden Büffelherde. Sie sind ganz nah. Ich steige vorsichtig aus dem Auto, ungefähr 20 Schritte, dann könnte ich einen berühren. Die Sonne versinkt langsam Richtung Horizont, davor die grasenden, schnaubenden Büffel im Prärie-Gras, es sind an die 100. Dieser Moment in den Badlands ist einer, der sich in die Seele brennt.

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Auf der Rückfahrt stehen wir andächtig vor der Gedenkstätte in Wounded Knee. Ein Indianerfriedhof, geschmückt mit bunten Fahnen und Tabaksäckchen als Geschenke an die Toten. Hier fand vor 120 Jahren das größte Massaker in der Geschichte der Sioux statt. Es markierte den Sieg der Weißen über die Indianer. Sie verboten ihnen die Sprache, die religiösen Zeremonien und teilten ihnen Land zu, das unfruchtbar war. Es war der Beginn der zweiten Galaxie.

Zurück im Reservat können wir tagelang kein Lagerfeuer machen, weil der Wind zu stark ist. Unter dem Rand der Tipis pfeift es gnadenlos durch, ein Glück nur, dass Dirk noch andere Zelte dabei hat. Nachts wird es saukalt, tagsüber ziemlich heiß. Die Temperaturen sinken hier im Winter bis auf minus 40 Grad, im Sommer können es bis zu 40 Grad plus werden. Die Indianer haben früher ihre Tipis mit Häuten und Fellen ausgelegt; wir haben Plastikplanen, Hightech-Schlafsäcke und kämpfen gegen den Prärie-Staub, der sich in einer dünnen Schicht über Taschen, Klamotten und alles andere verteilt.

Dieses Land ist rau und ehrlich. Es erschließt sich nicht auf den ersten Blick, sondern braucht Zeit. Mir gefällt das. Es ist wie seine Bewohner. Sie sind da, sie erzählen, und sie lachen mit uns. Madonna nimmt uns sogar einmal mit nach Hause. Sie wohnt nicht in einem Trailer, sondern in einem richtigen Haus. Auch hier stehen Autowracks vor der Tür, kaputte Stühle und allerlei anderes Zeugs liegen im Garten herum. Und während wir reden, verstehe ich: Für die Indianer ist es kein Müll. Es sind einfach nur Dinge, die gerade nicht mehr gebraucht werden, aber irgendwann wieder eine Bestimmung finden.

Aber um die Lakota wirklich zu verstehen und ihren kräftezehrenden Spagat zwischen Tradition und Hier-und-Jetzt zu begreifen, braucht man mehr als zehn Tage. Viel mehr.

Am letzten Abend gibt es für uns noch ein Mini-Pow-Wow in der Schule. Pow-Wows sind indianische Zusammenkünfte, bei denen ein Tanzwettbewerb im Mittelpunkt steht. Wegen der hereinbrechenden Dämmerung tanzen die Lakota später drinnen im Schulraum. Morris Bull Bear, ein Freund von Isabel, zeigt uns zum Schluss einen kraftvollen, stampfenden Indianertanz, begleitet von Trommeln. Die aufwändigen Kostüme und archaischen Bewegungen wollen nicht so recht in diesen Raum mit dem PVC-Boden passen; sie gehören nach draußen, in die Prärie. Aber dennoch berührt es mich. Und es scheint auch niemanden zu stören. Vielleicht ist es genau das: Die Lakota machen ihr Ding trotzdem, und sie machen es weiter. Egal, wo. Es geht nicht ums Drumherum. Es geht um ihre Seele.

Als ich zurückfliegen soll, verpasse ich fast meinen Flieger. Ich sitze draußen am Flughafen von Rapid City auf einer Bank in der Sonne und kann meinen Blick nicht von der Prärie lösen. Ganz hinten am Horizont zeichnet sich die sanfte Silhouette der Black Hills ab. Ist das dieselbe Landschaft, in der ich vor zehn Tagen angekommen bin?

Wenn Sie zu den Lakota wollen: Der auf Spendenreisen spezialisierte Veranstalter Travel Beyond (Leverkusenstr. 22, 22761 Hamburg, Tel. 040/85 37 35 19) bietet die Tour an. Preis inkl. Flug/Verpflegung: 2865 Euro pro Person; plus 200 Euro Spende für die Lakota-Waldorf-Schule. Man erfährt vor Ort genau, wofür das Geld eingesetzt wird. www.travelbeyond.de

Wenn Sie spenden wollen: Auf www.lakotawaldorfschool.org erfahren Sie, wie Sie die Schule unterstützen können. Der Verein Tatanka Oyate wurde von Dirk Rohrbach gegründet und engagiert sich in diversen Projekten - Kontakt über www.weltgeschichten.com

Wenn Sie mehr lesen wollen: Isabel Stadnick: "Wo meine Seele wohnt" (19,99 Euro, Blanvalet). Kent Nerburn: "Neither wolf nor dog" (11,99 Euro, über www.amazon.de)

Autorin: Nikola Haaks Fotos: Djamila Grossman

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