In der ersten Wohnung (ok, es war nur ein Zimmer) dachte ich noch, es läge am Geld. Ich blätterte zwischendurch ein paar Lifestyle-Zeitschriften durch und war mir sicher: Mit ein paar Euro mehr wäre es auch bei mir so hübsch. Die erste größere Bude, da stimmte das Karma einfach nicht und als ich mit meinem Freund zusammenzog, zerstörte der riesige Plasma-Fernseher das Ambiente. 10 Jahre und 5 Wohnungen später bleibt mir nichts weiter übrig, als es zuzugeben: Es liegt an mir. Ich habe einfach kein Talent. Und ordentlicher werde ich irgendwie auch nicht.
Mittlerweile wohnen wir in einem Neubaugebiet eines Vororts. Ja, man hätte es ahnen können, ich aber dachte, es sei nur ein Klischee: Da wohnen Menschen, die Tischdecken benutzen. Gebügelte, meine ich. Als meine Nachbarinnen beginnen, sich gegenseitig (auch mich) einzuladen, denke ich erst: "Wie nett!". Das böse Erwachen kommt in Form eines Servietten-Besteck-Teeservice-Blumenarrangements, das mir den Atem raubt. Und das ist nur der Anfang. Auf den staubfreien Landhauskommoden stehen kleine Vasen neben gleichfarbigen Bilderrahmen, die gephotoshopte Kinderfotos beherbergen. Schwarz-weiß, versteht sich, damit das Farbkonzept nicht gestört wird. "Tunesien", sagt meine Nachbarin, als sie meinen Blick sieht. "Da ist die Welt so aufregend chaotisch und ursprünglich." Chaotisch und ursprünglich, das gibt es auch in der direkten Nachbarschaft, denke ich, sage aber nichts.
Sogar das Geerbte passt zur Einrichtung – wie macht die das?
Der Kaffee wird serviert, wir bekommen Milch und Zucker aus kleinen Behältern, die sie von ihrer Großmutter geerbt hat. Zufälligerweise passen sie perfekt. Bei mir zuhause passt nicht mal der Ton des Fußbodens zur Farbe der Wand. Beim Kaffee findet man schnell ein Gesprächsthema: Perfektionismus. Kennen sie alle. Entspannen können sie sich erst, wenn alles wieder seine Ordnung hat, wenn die Hundehaare dem Staubsauger zum Opfer gefallen, die Töpfe trocken im Schrank verstaut sind. Ich höre zu. Zum Glück fragt keiner, was ich dazu zu sagen habe.
Ich würde wirklich gerne lästern über vorstädtische Spießigkeit und übertriebenes Design, aber es geht nicht. So sehr ich mich dagegen wehre, die Ordnung und Ästhetik dieses Hauses lässt meine chaosgeplagten Augen zur Ruhe kommen. Ich fühle mich pudelwohl in dieser nachbarschaftlichen Parallelwelt, in der alles seinen Platz hat, in der das Raumkarma keine "Oh-Gott-sie-kommen-gleich-Panik" kennt und sich keiner für die Unordnung im Regal schämt, der man auf die Schnelle nicht Herr wurde.
Dann wird es Zeit, Abschied zu nehmen. Unwillig gebe ich meine Gästehausschuhe wieder her und versuche mir einzuprägen, wie die Bilder im Flur arrangiert sind. Werde beim Einprägen gestört, als die Gastgeberin mich nach dem Dachausbau fragt. Es mache doch bestimmt Spaß, ein neues Zimmer einzurichten. "Klar", lüge ich und denke an unser Wohnzimmer, das durch ein nicht funktionierendes Möbelkonzept und noch immer kahle Wände besticht. Das Sofa ist zu dunkel und zu groß, der Tisch zu klein, die Bücher im Regal stehen nicht, sie liegen, weshalb kein Platz im Regal für Deko ist. Ist auch besser so, denn ich habe einen Hang zu Fehlkäufen. Was in Geschäften schön aussieht, verliert in unseren Räumen magischerweise jegliche Ästhetik. Fehlt mir ein Gen?
Und dann steht sie einfach vor der Tür
Eine Woche später steht meine Nachbarin vor der Tür. Einfach so. Sie wollte sich mal kurz den Ausbau angucken, weil sie ja auch überlegen und so. Mir wird heiß und kalt, ich wünsche mir einen Unsichtbar-Umhang, als sie sich nach der eh schon peinlichen Besichtigung unseres komplett verdreckten Rohbaus zwischen ungefalteter Wäsche auf das zu große Sofa setzt. Neben uns das Bügelbrett. Auf dem Tisch ein Laptop, zwei alte Kaffeetassen und ein Stapel Post. "Stör ich?", fragt sie irritiert. "Nein, ich lese grade eh nur ein Buch!", sage ich und merke erst nach dem Satz, dass das mein Image-Todesstoß gewesen sein muss. Dann bemerke ich ihren Blick. Darin liegt keine Überheblichkeit, keine Abscheu, keine Arroganz, sondern tiefe Bewunderung. "Ich wünschte, ich könnte das auch", seufzt sie und fängt an, zu erzählen. Sich nur entspannen zu können, wenn alles perfekt ist, bedeute im Grunde, sich niemals entspannen zu können. Ein Buch würde sie auch gerne mal wieder lesen. Aber es sei noch so viel zu tun. Immer. Ich überlege eine Weile, danach gehe ich zu meinem Regal und ziehe mein Lieblingsbuch heraus. Dann mache ich uns Kaffee, den ich in einem Micky-Maus-Becher und einem geklauten Glühweinbecher serviere.
Am Ende war es auch gut – anders gut, aber gut
Zwei Stunden später liegen wir noch immer im Chaos, und erwachen zufrieden aus den Welten unserer Lektüren. "Darf ich bald wiederkommen?", fragt meine Nachbarin. "Nur wenn ich manchmal an deinem Tisch mit der gebügelten Tischdecke Kaffee trinken darf", sage ich. Sie umarmt mich lachend und ich freue mich zum ersten Mal in meinem Leben über mein Chaos-Gen, weil es mir das Talent aufgezwungen hat, mich auch im Chaos entspannen zu können. Und ich merke: Sie fand es gut bei mir. Anders gut. Aber gut!