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Bonuspunkte für die Liebe

Beim Fliegen, Tanken und Einkaufen ist das Bonuspunkte-Prinzip durchaus nützlich. In Liebesbeziehungen ist es geradezu unverzichtbar, meint BRIGITTE-Mitarbeiter Till Raether.

Eine Frau sitzt vor dem Fernseher. Oder noch besser: Sie ist gerade dabei, sich vor den Fernseher zu setzen. Heute kommt ihre Schwägerin für ein paar Tage zu Besuch, ihr Mann holt sie nach der Arbeit vom Flughafen ab. Der Flughafen ist recht weit entfernt, das heißt, die Frau wird die nächsten drei Stunden ihre Ruhe haben. Ihr Plan ist, sich einen schönen Abend zu machen. Während sie ihren Körper aufs Sofa senkt und in derselben Bewegung mit der Fernbedienung den Fernseher anschaltet und ein gut gekühltes Glas Weißwein auf den Couchtisch vor sich stellt, wird ihr klar, dass sie eigentlich gar keine Lust auf Fernsehen hat. Ihr wäre jetzt mehr danach, was zu unternehmen oder was halbwegs Sinnvolles zu tun. In diesem Augenblick klingelt das Telefon. Seufzend steht sie wieder auf und geht ran. Es ist ihr Mann. Er ist zerknirscht. Er muss viel länger arbeiten als gedacht. Bis eben hat er gehofft, er schaffe es noch, seine Schwester abzuholen, aber jetzt ist klar: Er kommt unter keinen Umständen mehr rechtzeitig zum Flughafen. Er weiß, sie hat sich drauf gefreut, heute Abend einfach mal in Ruhe abzuhängen, nichts zu tun, aber es geht nicht anders, ob sie bitte, bitte zum Flughafen fahren und die Schwester abholen könne?

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Die Frau in dieser kleinen Szene steht in diesem Moment vor einer der zahlreichen folgenschweren Entscheidungen, die eine Beziehung jeden Tag aufs Neue von denen verlangt, die sie führen. Es ist nicht die Entscheidung zwischen Ja oder Nein - Nein scheidet komplett aus, Nein wäre zu kindisch. Die Frage ist: Auf welche Art und Weise sagt sie Ja? Ihr Ziel kann nur sein, durch ihr Ja in diesem Moment so viele Bonuspunkte wie möglich zu sammeln.

"Du, kein Problem, ich hab sowieso keine Lust auf Fernsehen, der Abend drohte gerade, richtig öde zu werden" - diese Antwort wäre nett, aber schön blöd, sie würde nicht allzu viele Bonuspunkte bringen. Denn die Höhe der in der Partnerschaft angerechneten Bonuspunkte steigt, wenn die erbrachte Leistung ein gewisses Opfer erfordert. Das andere Extrem wäre: "O nein, das kann nicht dein Ernst sein, sag mir, dass das nicht wahr ist, ich habe gerade den Pizzamann bezahlt, die DVD eingelegt und angefangen, mir die Zehennägel zu lackieren, und jetzt soll ich bitte was machen? Deine Schwester abholen? Vom Flughafen? Na ja, was bleibt mir übrig. Mist." Auch diese Reaktion wird nicht zur Anrechnung der höchstmöglichen Zahl von Bonuspunkten führen, denn wichtig ist, dass das Gegenüber ein zwar leicht schuldbewusstes, aber nicht eindeutig schlechtes Gefühl bekommt. Wer bei einer bonuspunktfähigen Transaktion innerhalb der Partnerschaft ein schlechtes Gefühl hat, wird weniger anrechnen als jemand, bei dem das Gefühl der Erleichterung und Dankbarkeit überwiegt. Also sagt die Frau, nach einer angemessen langen Pause: "Okay." Im Ton neutral, aber leicht erschöpft, dabei nicht unwillig. Dann, hörbar um die richtige Einstellung bemüht, mit stark konstruktivem Oberton: "Ist ja kein Thema. Ich fahr gleich los."

Jetzt ließe sich noch etwas wie "Schade um die Pizza" einflechten, egal, ob tatsächlich eine Pizza vorliegt oder nicht; die Frau verzichtet darauf, denn sie hat was Besseres in petto, sie sagt, schon leicht geistesabwesend, im Aufbruch: "Ich muss mich nur schnell anziehen, ich bin schon im Schlafanzug." In dieser Reaktion ist die perfekte Mischung aus Opfer und gutem Willen erreicht: Höchstpunktzahl.

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Seit einigen Jahren haben Tankstellen, Fluggesellschaften, die Bahn, Drogeriemärkte und viele andere Unternehmen das Prinzip der Bonuspunkte aus der Partnerschaft übernommen. Es gibt kaum eine Kasse, an der man nicht gefragt wird: "Sammeln Sie Punkte?" Das Bemerkenswerte daran ist, dass sich dieses Prinzip so offensiv in den Bereich der Kundenbindung übertragen ließ, obwohl es in der Partnerschaft nie offen besprochen, fast tabuisiert wird. Die Herausforderung in der Partnerschaft ist, Bonuspunkte zu sammeln, ohne dass der andere es merkt, das heißt, der andere rechnet einem die Bonuspunkte sozusagen auf der unbewussten Ebene an. Trotzdem muss er im entscheidenden Augenblick bereit sein, die volle Vergütung der gesammelten Bonuspunkte zu gewährleisten. In einer Episode der in Beziehungsfragen immer aufschlussreichen Fernsehserie "The King of Queens" ist dieses Prinzip auf folgende Art anschaulich gemacht worden: Doug, die männliche Hauptfigur, plant einen Poker- Trip nach Las Vegas, den seine Frau Carrie ihm niemals erlauben würde. Bevor er ihr von seinen Vegas-Plänen erzählt, geht er mit ihr ein Wochenende in eine Art Yoga- Wellness-Farm, um auf diese Weise die nötigen Bonuspunkte für den Vegas-Trip zu sammeln. Carrie ist schwer begeistert, dass der Yoga-und-Wellness-Hasser Doug ihr zuliebe über seinen Schatten gesprungen ist, und in ihrer Begeisterung möchte sie wilden Sex mit ihm haben. Doug entzieht sich ihren Verführungsversuchen, sie versteht nicht, warum, bis es irgendwann aus ihm herausbricht: "Ich will meine Bonuspunkte nicht für Sex verschwenden!"

Man muss sich darüber im Klaren sein, dass Bonuspunkte anders funktionieren als das von Psychologen und Paartherapeuten immer wieder beschworene "Verhandeln". Beim Verhandeln ist der Witz, dass normalerweise unausgesprochene Wünsche deutlich formuliert werden, die Partner sich selbst und einander also besser verstehen können und somit lernen, ihre eigenen Bedürfnisse und die des Partners zu erkennen und ernst zu nehmen. Das klingt gut, aber ich bin nicht überzeugt. Sie möchte ans Meer, er in die Berge. Wenn die beiden nun verhandeln, kommt am Ende ein Kompromiss heraus, der beide nicht zufrieden macht: British Columbia, Meer und Berge in einem, aber viel teurer als einfach Alpen oder Ostsee. Oder: dieses Jahr Alpen, nächstes Jahr Ostsee. Dabei ließe sich auch ein derart grundsätzlicher Konflikt viel eleganter über Bonuspunkte lösen bzw. abrechnen: Der Urlaub findet dort statt, wohin derjenige möchte, der im Laufe der letzten Monate mehr Bonuspunkte gesammelt hat. Ungerecht? Im Gegenteil, denn während des Urlaubs in den Bergen wird die Ostseeliebhaberin bei jedem Wanderschritt, bei jeder Bretteljause und jedem Gipfelpanorama das gute Gefühl haben, im Hintergrund die Bonuspunkte auf ihr Konto rasseln zu hören. Sammeln Sie Punkte? Aber wie! Das heißt, es haben beide was davon.

Ein kritisches Thema ist natürlich auch Toleranz. Toleranz, man muss es ganz klar sagen, ist die reinste Verschwendung von Bonuspunkten. Wer im Punktesystem bestehen will, darf sich keine Toleranz erlauben. Angenommen, man hat überhaupt nichts dagegen, wenn der Partner jeden zweiten Abend ausgeht und erst am frühen Morgen nach Hause kommt, der Partner aber zieht im umgekehrten Fall immer ein langes Gesicht und hätte es grundsätzlich am liebsten, wenn man die ganze Zeit zu Hause sitzt und ihm den Rücken krault. Das heißt: Wenn der Partner ausgeht, sammelt man ab dem Moment, wo man erkennen lässt, dass einem dies nichts ausmacht, keine Bonuspunkte, null, nicht einen einzigen. Gleichzeitig verbraucht man Bonuspunkte wie Inflationswährung, wenn man selbst bis morgens um fünf einen drauf- macht. Ist das noch Liebe? Nein, es ist ungerecht. Man ist in die Toleranzfalle getappt. Liebe ist, auch in den Fällen, wo einem das Verhalten des Partners eigentlich egal ist, zu signalisieren: Es macht mir etwas aus, ich bringe ein Opfer. Denn nur so kann man Bonuspunkte sammeln und das Gleichgewicht wieder herstellen.

Außer dem Bonuspunkte-System gibt es noch andere Parallelen zwischen Geschäftswelt und Partnerschaft, aus denen man in der Liebe Kapital schlagen kann. Zum Beispiel der aus der Pauschaltouristik bekannte Frühbucherrabatt. Dieses Wort bezeichnet in der Partnerschaft folgendes bewährtes Prinzip: Man teilt dem Partner ein für ihn nachteiliges Ereignis so weit im Voraus mit, dass er es in diesem Moment lächelnd beiseite schieben und sorglos vergessen kann; und wenn es dann so weit ist, kann man zu Recht darauf hinweisen: "Aber das habe ich dir doch schon vor ewigen Zeiten gesagt!", und ist fein raus. Zum Beispiel sie, im Juni: "Du, im Oktober kommen Uschi, Babs und Polly, die drei Mädels, mit denen ich damals gekellnert habe, für ein langes Wochenende und wohnen alle bei uns, und wir reden und kichern die ganze Zeit." Er, beim Anfächeln der Grillkohle, Oktober ist für ihn in diesem Moment kein Datum, sondern Science-Fiction: "Ja, ja, toll." Im Oktober bleibt ihm nichts anderes übrig, als weinerlich der Realität ins Auge zu sehen, sie hingegen kassiert lächelnd Frühbucherrabatt.

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Auch das bekannte Prinzip "Nur für begrenzte Zeit! Bevorraten Sie sich!" hat seine Entsprechung im Zwischenmenschlichen. Beim Lebensmittel-Discounter nimmt man unter dem Eindruck dieser Aufforderung Dinge von der Sonderverkaufsfläche, die man eigentlich nicht braucht. In der Partnerschaft ist der Trick, dem anderen einen Gefallen innerhalb eines kurzen Zeitraums so oft und so nachdrücklich zu erweisen, ungefragt und immer wieder, dass die Nachfrage anschließend auf unbestimmte Zeit gedeckt ist, man also künftig nicht mehr behelligt wird. In vielen Beziehungen steht beispielsweise der ausgesprochene oder unausgesprochene Vorwurf im Raum: "Nie massierst du mir den Rücken." Dies liegt daran, dass es sehr öde und anstrengend ist, jemandem den Rücken zu massieren. Durch das Ausbleiben der Rückenmassage bekommt dieser an und für sich eher unspektakuläre Vorgang einen völlig übertriebenen Stellenwert, die Rückenmassage wird zum Mythos, zur Utopie der glücklichen Partnerschaft.

Wenn aber beispielsweise die Frau während eines überschaubaren Zeitraums ihrem Partner bei jeder passenden und gegen Ende auch bei jeder unpassenden Gelegenheit den Rücken massiert oder anbietet, ihm den Rücken zu massieren, wird die Rückenmassage schnell ihren überhöhten Legendenstatus verlieren und die Nachfrage sehr bald langfristig gedeckt sein. Und das Schöne ist, dass alles sich ergänzt, denn während sie dem Partner den Rücken massiert, sammelt sie die ganze Zeit Bonuspunkte, und außerdem ist die Massage der ideale Zeitpunkt, um den einen oder anderen Keim für einen Frühbucherrabatt zu legen. Und wenn der Partner ihr dann irgendwann, weil ihm das ewige Massiertwerden langsam auf die Nerven geht, vorsichtig mitteilt, er würde heute gern ohne Massage "Sportschau" gucken - dann gilt es, die richtige Mischung aus gutem Willen und leichter Enttäuschung an der Grenze zur Verletztheit zu zeigen.Und in diesem Moment noch mal extra Bonus-Bonuspunkte zu sammeln. Dafür, dass sie aufhört, etwas zu tun, das sie sowieso nicht gern macht. Ja, so schön kann Liebe sein.

Text: Till Raether

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