BRIGITTE.de: Frau Ladewig, der Verlust eines Kindes ist sicher umso schmerzhafter, je länger die Schwangerschaft gedauert hat.
Stefanie Ladewig : Im Einzelfall kann eine ein ganz früher Verlust genauso traumatisch sein. Nicht nur die Dauer der Schwangerschaft, viele Faktoren beeinflussen den Trauerverlauf: zum Beispiel die Dringlichkeit des Kinderwunsches, ob schon ein Kind da ist, ob es die erste Fehlgeburt war oder nicht.
BRIGITTE.de: Warum beschäftigen Sie sich gerade mit diesem Thema?
Stefanie Ladewig : Ich selbst habe vor drei Jahren ein Kind verloren: In der 30. Woche wurde bei unserem Sohn ein schwerer Gen-Defekt entdeckt. Damals hat meine Hebamme uns klar gemacht: "Er wird sterben. Macht euch Gedanken, wie ihr den Abschied gestalten wollt: Möchtet ihr, dass er getauft wird? Was wollt ihr ihm anziehen?" Diese konkrete Anleitung in einer emotional unfassbaren Situation war eine große Stütze. Unser Sohn hat nach der Geburt noch eine viertel Stunde gelebt – ohne zu schreien, ohne sich zu quälen. Ihn friedlich einschlafen zu sehen, hat uns nach dem Diagnose-Schock fast froh gemacht, auch wenn wir natürlich völlig neben uns standen. Nach dieser Erfahrung möchte ich dazu beitragen, anderen den Abschied zu erleichtern. Darum untersuche ich, welche Rituale von Eltern als hilfreich empfunden wurden - und welche nicht.
BRIGITTE.de: Welche Reaktionen haben Sie selbst als nicht hilfreich empfunden?
Stefanie Ladewig : Manche wollen trösten, indem sie den Verlust relativieren: "Na, wenigstens hast du schon ein Kind." Oder: "Ihr seid jung, ihr könnt es ja noch mal versuchen." Als könne man einen Menschen durch ein anderen ersetzen. Ich jedenfalls hatte das Bedürfnis, meinem Sohn zu folgen, um bei ihm zu sein. Ich konnte mir ebenso wenig vorstellen, wieder glücklich zu sein, wie alle anderen Eltern, die ein Kind verlieren. Außerdem wird Vätern oft die Trauer abgesprochen, weil die eher schweigend trauern. So hat sich die Bestatterin bei meinem Mann, der die Beerdigung organisierte, immer nur nach mir erkundigt: "Und, wie geht es Ihrer Frau?" Dabei ging es ihm natürlich auch sehr schlecht.
BRIGITTE.de: Was also sind die besonderen Aspekte bei der Trauer um ein früh verstorbenes Kind?
Stefanie Ladewig : Kein anderer kennt es, keiner hat es gesehen, es ist plötzlich einfach weg. Kein Bild vor Augen zu haben macht den Verlust abstrakt und erschwert das Mittrauern. Darum wird zum Beispiel empfohlen, dem Kind einen Namen zu geben und Familienangehörige und Freunde zu bitten, das tote Kind anzuschauen. Hilfreich sind Erinnerungsstücke, ein Fußabdruck, ein Foto, eine Locke, quasi als Beweis: Seht, da war ein Kind, mein Kind, und ich habe es verloren.
BRIGITTE.de: Was geschieht, wenn Eltern solche Möglichkeiten nicht haben oder aufgreifen?
Stefanie Ladewig : Früher war es unüblich, der Mutter das tote Kind zu zeigen. Es gibt Hinweise darauf, dass ein bewusster Abschied, das Anerkennen des Verlustes, Voraussetzung dafür sein kann, den Trauerprozess besser bewältigen zu können. Man vermutet, dass Eltern, die diesen Prozess nicht abschließen können, deswegen oft noch Jahre später unter Depressionen, psychosomatischen Problemen, Suchterkrankungen oder Symptomen posttraumatischer Belastungsstörungen.
BRIGITTE.de: Wie geht es Ihnen heute?
Stefanie Ladewig : Wir haben unseren Sohn im Familiengrab bestattet, seinen Todestag verbringen wir im Kreis der Familie. Ich habe mich nach seinem Tod einer Trauergruppe angeschlossen, inzwischen geht es mir wieder gut. Allerdings merke ich, dass ich immer noch traurig werde, wenn mich jemand fragt, wie viele Kinder ich habe. Die anderen sehen: Ich habe drei Töchter, zwei wurden nach meinem Sohn geboren. Aber in meinem Herzen gehören vier Kinder zu uns: Die drei Mädchen - und Jonas.