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Kurze Nächte - Leseprobe

Mütter - und alleinerziehende Mütter - haben auch Sex. Das schreibt Anna Blumbach in "Kurze Nächte". Hier lesen Sie einen Auszug aus dem ersten Kapitel.

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Perfekt! Matze steht in der Tür. Als er mich sieht, winkt er mich an der zahlenden Schlange vorbei und ich dackelblicke ehrfürchtig im Vorübergehen zu ihm auf und grinse brav mein glückliches Danke hoch in seine versteinerte Türstehervisage. (Nur manchmal erwische ich ihn dabei, wie sich ein Mundwinkel nach oben verzieht - für eine Millisekunde nur, aber ich hab ihn schon dabei erwischt!) Nachdem ich meine Klamotten an der rappelvollen Garderobe abgegeben habe, bekomme ich mein Bier über den Tresen in die Hand gedrückt und werde keines Blickes mehr gewürdigt.

Ich habe es wie immer freudig strahlend entgegengenommen, so als wäre es das erste Mal, proste meinem Gönner mit diesem schweren Humpen zu und begebe mich nun zu meinem Treppenabsatz vor die Tanzfläche. Bevor ich mich setze, lächle ich auch noch einmal den Mister DJ unter seinen Kopfhörern an, er nickt und lächelt zurück. Damit ist sie jetzt beendet: meine geliebte wortlose Willkommensproze-dur im Kaffee Burger. Hach, bin ich nicht blingbling? Und so nebenbei auch noch 7,50 Euro gespart! Fast mein Tagessatz zum Leben! Wie lustig, dass die hier den roten Teppich für eine Hartz-IV-Eva ausrollen.

Also setze ich mich auf meinen Treppenabsatz und be-glotze stumpf und mein Bierchen süffelnd die um die Tanz-fläche herumstehenden Leute. Wie immer traut sich noch niemand drauf. Ich nehme einmal ganz stark an, dass ich mir für diesen Job, die Tanzfläche in Gang zu bringen, meine VIP-Behandlung hier erarbeitet habe, oder aber ich gehöre einfach nur schon zum Inventar. Was weiß ich. Cool, dass Rocco heute auflegt, also kann ich dann auch bald meinen inoffiziellen Auftrag in Angriff nehmen. Tanzen! Deshalb bin ich hier. Ich freu mich drauf, mir ordentlich die Kante zu geben, mir das dumme Hirn wegzutanzen und völlig abgeackert ins Bett zu fallen. Das ist der Plan und der war mal wieder einfach und nur genial.

Eine ganze Weile gucke ich mir die Leute um die Tanzfläche herum an. Kein Typ dabei, der mich umhauen könnte. Aber es läuft hier ein Mädchen herum, die hat Starqualitäten ... und diese Fee setzt sich jetzt gerade neben mich und fragt nach einer Zigarette, sieht mich ein, zwei Sekunden zu lange an und lächelt. Und wie sie lächelt. Holla, die Waldfee! Wie keck, wie keck. "Gefällt dir die Musik?", fragt sie mich. "Dieses Lied mag ich nicht."

"Ich auch nicht", antwortet sie, springt dann aber auf, schnappt sich den moppeligen Typen, den sie mir als Max vorstellt, und zieht ihn und ein paar andere Leute, die sie zu kennen scheint, auf die leere Tanzfläche. Sie schmeißt sich dem Moppel-Max zwar an den Hals, aber diese Show nehme ich ihr nicht ab. Der ist doch gar nicht ihr Typ. Solche Mädchen stehen auf Alphamännchen, aber vielleicht sind sie ja auch Buddelkistenfreunde, was weiß ich denn schon...

Ich ergötze mich derweilen an ihrem eng und gut geschnittenen Jeans-Rock, an ihren langen schönen und verdammt noch einmal nackten Beinen, die in knöchelhohen Hacken-Stiefeletten stecken. Oben herum spannt eine weiße taillierte Bluse. Hm, die kommt wohl gerade von der Arbeit. Ich bemerke dann auch, dass ihre Homies echte Bürohengste und -stuten abgeben, und erst recht, wie sie jetzt die Tanzenden ganz lustig anfeuern. Urgs - die Ar-beitswelt steht da in meiner Spaßzeit neben mir im Burger und gibt sich die After-Work-Party nach einem erfolgrei-chen Meeting oder einem endlich ergatterten Millionen-Auftrag.

Ich wende mich also lieber wieder dieser Fee und ihrem hübsch knackigen Popo zu und natürlich ihren Beinen... und sie tanzt auch ganz gut, finde ich, nur dieser Max da, der sich bürokollegengeil auf sie stürzt, der passt nicht so gut in dieses Bild vor meiner Nase und als das nächste Lied anfängt, kommt sie doch tatsächlich zu mir gehüpft und fragt, ob sie mich denn jetzt auch zum Tanzen auffordern könnte. Und wie sie kann.

Wir berühren uns gar nicht beim Tanzen, schwirren nur lächelnd umeinander herum. Aber unsere Bewegungen harmonieren ganz gut, und ab und zu kommt es auch schon mal zu Körperkontakt. Bald entsteht eine Typen-Traube um uns herum, einige Sakkoträger wollen auch... Was denn? Einer tanzt sich hinten an sie heran und einer bei mir und versucht, mich zu sich herumzulocken, bis es uns zu bunt wird und wir Mädchen uns jetzt umarmen - da kommt keiner mehr dazwischen. Unser Balztanz macht jetzt richtig Spaß, mit diesen Lechzern um uns herum, und dann sagt sie mir ins Ohr, dass sie sich ja wohl die beste Tänzerin des Abends geangelt hätte. Ich lächle sie an und drücke sie an mich. Ja genau! Das hast du Süße... danke für deine Süße! Ich fand sie auch schon vorher lecker und könnte mir schon vorstellen, sie zu küssen, und so wie wir jetzt tanzen...

Wir tanzen ziemlich heiß gerade. Ihr Oberschenkel da zwischen meinen beiden, geil, und ab und zu tanzen wir Wange an Wange. Ich greife ihr in den Nacken, in ihr Haar, sie riecht gut, lacht total aufreizend, auffordernd, aber... ich kann spüren, dass sie auch verunsichert ist. Am Ende bin ich doch nicht eindeutig genug. Nicht, dass ich nicht wüsste, was zu tun wäre (ab und an küsse ich schon mal ein Mädchen auf der Tanzfläche), sondern weil ich im Grunde überhaupt keine Lust habe, ihr noch näher zu kommen. Weil ich nämlich keine Lust habe auf die Situation in die-sem Laden nach dem Kuss. Der Abend ist doch noch jung und wir würden uns nur immer wieder über den Weg laufen, und dann? Dieses kokette Grinsen und das Umeinan-der-Herumschwänzeln... das würde mich heute komplett überfordern.

Also gebe ich ihr einen Kuss auf die Wange, verbeuge mich wie ein Kavalier und setze mich auf meinen Platz. Es dauert nicht lange, da sitzt schon wieder jemand neben mir und will mich irgendwann, einfach so, ohne ein Wort ge-wechselt zu haben, zu einem Drink einladen. Will ich jetzt einen erkauften Smalltalk führen? Noch bin ich nicht besoffen genug, dass ich mir das Glas einfach nehme und den Menschen dann stehen lasse, falls er überhaupt vorgehabt haben sollte, mich zuzutexten. Nicht alle Drink- und Ziga-rettenspendierer erwarten unbedingt eine Gegenleistung dafür. Eigentlich finde ich ihn gar nicht uninteressant, seine Körperhaltung gefällt mir, was er anhat und auch sein schräger Pony im Gesicht, aber er ist viel zu jung... und wenn ich schon das Mädchen nicht geküsst habe, dann hat er so rein gar keine Chance, auf rein gar nichts... bin einfach keine gute Gesellschaft heute. Echt nicht.

Hirn- oder Körperkontakt würden mich nur wieder auf mich selbst zurückwerfen und, verdammt, das wollte ich doch heute nicht. Ich will nur ganz weit weg von mir. Ich lehne dan-kend ab. Und wie süß er auch noch lächelt und dabei "Na dann später vielleicht" sagt... ach ja... Ich gehe mal draußen frische Luft schnappen.

In der Tür muss ich mir den Weg durch eine Herde Touristen peitschen. Au weia, wenn die alle reingelassen wer-den, kann man sich da drinnen ja gar nicht mehr bewegen und früher oder später muss ich einem Arschgrapscher wieder ordentlich ans Schienbein treten. Das mache ich jetzt immer so, weil ich festgestellt habe, dass es ein ungemein befriedigendes Gefühl ist, einem Typen, der einem vielleicht sogar mitten beim Tanzen, völlig unaufgefordert und ignorant also, an den Hintern grapscht und dich dann auch noch so von oben herab siegesbewusst angrinst - von wegen: Da stehste doch drauf, Puppe! -, so dermaßen gepfeffert ans Schienbein zu treten, dass man sich an seiner plötzlich ganz anders dämlich verzogenen Fresse ergötzen kann.

Und während ich so an der Wand herumstehe und rauche, mir die Leute hier draußen so ansehe, höre ich ein Mädchen aus ihrem Schwarm Freundinnen heraus im Vorübergehen "Kaffee Burger" sagen und dabei spricht sie das Burger wie bei Burger King. Sie kichern drüber und ich finde es auch ganz lustig. Ja, genau: Einen Kaffee Burger, mit Pommes und Ketchup, bitte. Während ich mich durch die Menge quetsche, zurück zu meinem Platz, schaue ich mich um, ob ich nicht jemanden kenne, jemanden, zu dem ich mich gern setzen würde, damit ich hier nicht mehr so als Freiwild herumlungern muss. Auf meinem Treppenabsatz dumm herumstehend, warte ich auf einen guten Song.

Plötzlich bedrängeln mich Tom und Guy zur Begrüßung rechts und links und machen sich über mein Gesicht lustig, sagen, dass ich zum Fürchten aussehen würde, und dass mich damit garantiert niemand anquatscht heute Abend. Ich freue mich, dass sie hier sind.

"Wer will denn hier angequatscht werden? Das ist meine Abwehrfresse", gebe ich obercool zurück. Sie lachen mich aus, tröten im Chor: "Ja, ja!", und Tom geht Wodka holen. Guy bleibt an der Bar und dort an Bettina oder so hängen. Ich will keinen Wodka. Das Zeug ist mir zu scharf, zu stark und außerdem vertrage ich nichts. Ich will ja auch noch heil nach Hause kommen. So sitzen wir auf meinem Treppenab-satz, Schulter an Schulter, Schenkel an Schenkel, Tom mit seiner berühmten Wodka-Laune, ich mit meiner berühmt-berüchtigten langen Fresse und er fragt mich nach den Gründen dafür. Ich antworte bloß, dass das privat sei.

"So schlimm?", fragt er schon in einem besorgten Tonfall. Uff! Ich habe ehrlich keine Lust mit ihm über diesen gan-zen Bockmist mit Wolf zu reden und über Mila schon gar nicht und erst recht so was von gar nicht, nach dieser mit-leidigen Frage. Ich grinse affektiert, drücke meine Wange an seine und sage ihm ins Ohr: "Ich bin doch schon ein großes Mädchen", und dann tanze ich mir endlich höllisch die Seele aus dem Leib - Firestarter, Killing in the Name - bis ich pitschepatsche nass bin.

Ich muss mal pullern und mir Wasser ins Gesicht klatschen. Leider stehen noch drei Mädels vor mir, aber ok, ich warte trotzdem, eine gute Gelegenheit etwas abzukühlen, auch wenn es hier im Durchgang stinkt. So schlimm?, frage ich mich nun selbst.

Mit Wolf ist jetzt aber wirklich endgültig Schluss. Ich meine für immer! Ich meine auch ohne Chance von wegen: Lass uns doch Freunde bleiben, wie er das so gern hätte. Was dieser Schwachmat unter Freundschaft versteht, werde ich nie kapieren. Der kann mich mal bis zur Steinzeit und wieder zurück. Der hatte es doch tatsächlich fertig gebracht letztes Wochenende... Stopp! Wenn ich nur daran denke, mutieren meine Eingeweide schon wieder zu einem zuckenden, bissigen Alien.

Endlich bin ich dran mit Pullern. Mir kommt ein ziemlich besoffenes Hosenbund-Speckrollen-Girlie nebst zweier passender Typen aus dem Klo entgegengestolpert, ich stoße sie beiseite. Mir und meiner Mitwarterin entfleuchen fast gleichzeitig ein "Ihhh" und ein "Bäh", und wir sehen uns angewidert und kopfschüttelnd an. Die Amis grinsen bloß dreckig und stieren mit übergroßen roten Fischaugen zurück. Schnell verscheuche ich meine hässlichen Gedanken an eine Szenerie in diesem Klo, die ich wirklich, wirklich nicht sehen wollen würde. Bluähks! Hoffentlich haben die sich nur etwas reingepfiffen, denn im Klo steht der Boden fast unter Wasser.

Was für eine Haltung beim Pullern, die Hosenbeine über dem Boden festzuhalten und mit dem Arsch bloß nicht das Klo zu berühren. Wie unwürdig! In meinem nächsten Leben bin ich ein Mann... und dann pisse ich meiner bescheuer-ten Ex Fuck You in den Schnee vor ihr Fenster. Und dann stelle ich mir vor, wie ich das trotz meiner weiblichen Hülle bewerkstelligen könnte und muss richtig losprusten...

Tom sehe ich an der Bar mit Guy und seiner Bettina stehen. Guy ist so ein Arsch, so ein dämlicher Vollidiot, der hat da zuhause im Kibbuz eine richtig tolle Frau sitzen, eine klasse Frau, die ihn auch noch liebt, wieso verstehe ich auch nicht, und dazu noch diesen super süßen kleinen Sohn, und der hat hier in Berlin an der Bar im Burger nichts Besseres zu tun, als diese fast zehn Jahre jüngere Bettina anzubag-gern, die zwar zugegeben schon sehr klug und hübsch und das alles ist, aber denkt der wirklich, der kann das hier einfach so und heimlich durchziehen? Gibt es eigentlich noch ein Stück Resthirn über der Gürtellinie? Ich habe echt fertig mit diesen Typen. Ehrlich ey! Ich habe so was von total fertig!

Ich setze mich also an die Bar und gaffe Guy vorwurfsvoll an und er weiß auch ganz genau, was gemeint ist. Da stellt sich Tom vor meine Nase und verwickelt mich in ein Gespräch. Er versucht seinen Freund in Schutz zu nehmen. Ja klar! Tom ist ja auch so einer. Hat da diese süße und junge Freundin, die angeblich von gar nichts weiß, ihn aber auch nicht stresst, und Tom macht also weiter wie gehabt. Drei Kinder von zwei verschiedenen Frauen sollten ihn doch irgendwie zumindest ein wenig wachgerüttelt haben, aber...

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Kurze Nächte Anna Blumbach 256 Seiten ANAIS Band 7 Verlag: Schwarzkopf Preis: 9,90 EUR ISBN 978-3-89602-555-5

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