Kinder können aus den unterschiedlichsten Gründen weinen. Zum Beispiel wenn die Kugel Erdbeereis aus dem Hörnchen gefallen ist und sich wie ein kleines Kunstwerk auf dem Gehweg ausbreitet. Oder wenn sie ihre Lego-Weltraum-Expedition abbrechen müssen, um sich bettfertig zu machen. Oder wenn sie das in Aussicht gestellte Überraschungsei doch nicht bekommen, weil Mami Angst hat, dass sich darin Salmonellen befinden könnten. Für Kinder ist das okay, Kinder dürfen weinen. Kinder dürfen trauern, wenn ihnen danach ist – ob es dabei um eine Kugel Eis geht, um eine Weltraum-Expedition oder um ein klöterndes Ei.
Aber Erwachsene? Erwachsene können das nicht so einfach. Bei Erwachsenen finden es viele Menschen komisch, wenn sie weinen, es sei denn, im Fernsehen läuft mal wieder Titanic. Erwachsene scheinen nur dann ein Trauer-Anrecht zu haben, wenn eine ihnen nahestehende Person gestorben ist (abgesehen von katastrophalen Situationen wie Flut, Krieg, unheilbare Krankheit und Co.). Schließlich sprechen wir sogar bei dem Verlust einer Liebe durch eine Trennung bereits von Liebeskummer statt von Liebestrauer.
Tatsächlich haben wir aber als Erwachsene vielfältige Gründe zu trauern, genau wie Kinder. Sicherlich werden wir in der Regel nicht um eine heruntergefallene Eiskugel trauern (welcher gesunde, erwachsene Mensch lässt schon eine Eiskugel fallen??), doch wir geraten in unserem Leben immer mal wieder in Situationen, die Anlass zur Trauer bieten. In dem Online-Magazin "Psychology Today" nennt die US-amerikanische Therapeutin Sarah Epstein zum Beispiel folgende.
4 überraschende Trigger von Trauer, die kaum jemand auf dem Zettel hat
1. Trauer um das, wogegen wir uns entschieden haben
Meistens treffen wir in unserem Leben die Entscheidungen, die wir als richtig erachten: Zum Beispiel entscheiden wir uns für eine Trennung, wenn die Partnerschaft nicht mehr funktioniert. Oder wir entscheiden uns für einen neuen Job, wenn der alte zu schlecht bezahlt ist. Doch allein die Tatsache, dass wir selbst entschieden haben, macht die Entscheidung nicht leicht – und ebenso wenig den Abschied und Verlust dessen, was wir zurücklassen und wogegen wir uns entschieden haben. Ein Verlust, den wir selbst gewählt haben, bleibt ein Verlust und der kann Trauer in uns auslösen. Im Idealfall tröstet uns das, wofür wir uns entschieden haben, über unsere Trauer hinweg, aber das heißt nicht, dass wir sie gar nicht erst empfinden dürfen.
2. Trauer um einen unsichtbaren Verlust
Trauer können wir grundsätzlich immer empfinden, wenn wir einen Menschen oder etwas Anderes verlieren, der oder das uns etwas bedeutet – und das muss nicht unbedingt sichtbar oder gegenständlich sein. Wir können zum Beispiel um eine Hoffnung trauern, die wir verloren haben, oder um einen Traum, der geplatzt ist, oder um eine Leidenschaft (für unseren Beruf, unsere:n Partner:in, ein Hobby ...), die wir nicht mehr spüren. Wenn wir uns verändern und ein Teil unserer Identität auf einmal fehlt, kann das eine tiefe Trauer in uns auslösen, die wir in dem Prozess der Neuordnung zu verarbeiten haben.
3. Trauer wegen vermeintlicher Kleinigkeiten (die wohl doch wichtiger sind, als wir ahnten)
Da wir Trauer tendenziell mit schwerwiegenden Verlusten wie Tod und Katastrophen verbinden, kann es uns schwerfallen, uns zuzugestehen, wegen kleinerer Verluste zu trauern. Zum Beispiel wegen einer Hose, die kaputt oder zu klein geworden ist. Oder wegen einer Idee, die wir nicht umsetzen durften. Oder wegen eines unsensiblen Kommentars von einer Freundin.
Wir erwarten von uns selbst, dass wir so etwas easy peasy wegstecken, als wäre es nicht einmal eine Schramme, doch wenn wir in solchen Situationen Trauer empfinden, hat das gewiss eine Berechtigung. Vielleicht war die Hose eines unserer Lieblingsstücke in unserem Kleiderschrank, eines jener Teile, von denen wir stets wissen, wenn wir das tragen, fühlen wir uns wohl und zumindest schön genug. Vielleicht war diese Idee und ihre Umsetzung ein Ausdruck unseres Wunsches nach Freiheit und Selbstbestimmung – von der wir uns wieder ein Stückchen mehr verabschieden müssen. Vielleicht hat unsere Freundin uns mit ihrem Kommentar die Sicherheit genommen, dass sie uns versteht und wir ihr vertrauen können.
Der Verlust von Sicherheit in einer Freundschaft ist, genau wie die anderen Anlässe, ein valider Grund, um Trauer zu empfinden, und nicht mit einem "jetzt hab dich doch nicht so!" von unserer inneren Stimme erledigt.
4. Trauer um das, was wir uns selbst zuliebe zurücklassen müssen
Es erscheint paradox, doch manchmal kann der Verlust von etwas, von dem wir uns bewusst trennen, weil uns diese Trennung langfristig besser leben lässt, Trauer in uns auslösen. Wenn wir uns zum Beispiel aus einer toxischen Freundschaft zurückziehen. Oder eine ungesunde Gewohnheit oder Routine aufgeben. Wir treffen dabei eine Entscheidung, die uns helfen und erleichtern soll – und wird –, aber nichtsdestotrotz verlieren wir dabei etwas, das eine Zeit lang bedeutsam für uns war. Und darum dürfen wir trauern.
Üblicherweise gibt es Gründe dafür, dass wir fühlen, wie wir fühlen. Wir mögen diese Gründe nicht immer kennen – und manchmal müssen wir es gar nicht –, doch das nimmt unseren Gefühlen weder ihre Berechtigung noch ihre Relevanz. Klarheit, (Selbst-)verständnis und ein emotionales Gleichgewicht werden wir wahrscheinlich nicht erlangen, indem wir uns unsere Gefühle versagen, allenfalls lässt uns das womöglich abstumpfen und erkalten. Vielleicht weinen wir als Erwachsene nicht um eine Kugel Erdbeereis. Aber wenn uns doch mal danach ist – lasst es uns einfach tun.
Verwendete Quelle: psychologytoday.com