Als Theaterstudentin durfte ich mal an einer Inszenierung von "Michael Kohlhaas" mitarbeiten. Kleists Novelle um einen braven Familienvater, der zum Brandschatzer wird, weil er ungerecht behandelt wurde, ist wohl auch deshalb so berühmt, weil sie ein Thema behandelt, zu dem jeder Mensch im Laufe des Lebens Position beziehen muss: Wann mache ich den Mund auf, und wann sehe ich ein, dass ich die Dinge so akzeptieren muss, wie sie sind?
Ich konnte mich damals gut mit diesem Antihelden identifizieren. Er brannte für die gute Sache und ließ sich nicht kleinkriegen. Seither sehe ich mich selbst oft mit lodernder Fackel in der Hand, wenn ich meine Auffassung durchsetzen will von dem, was ich für richtig halte. Und frage mich: Ziehe ich damit jetzt in den Kampf, oder lösche ich die Flamme ganz still wieder aus?
Denn: Wir haben immer die Wahl. Manche Frauen kommen zu mir mit einem Rucksack voller Wut und Empörung. Erzählen von Männern, die nicht zuhören, oder von moralisch fragwürdigen Projekten, für die sie ihre Arbeitskraft einsetzen müssen. Ich kann den Brass dieser Frauen gut verstehen. All das habe ich so ähnlich auch erlebt und mich daran aufgerieben. "Deine Achillesferse ist dein Idealismus", sagte mir damals in einer angespannten Phase jemand, der deutlich älter war als ich. Mein Idealismus? Der ist doch eine Stärke, auf die ich stolz bin! Ich konnte nicht sehen, dass Idealismus mich in der Situation starr machte und schwächte. Menschen zu akzeptieren, die meinen Werten zuwiderhandeln, fällt mir bis heute schwer. Doch es ist eine wichtige Entwicklungsaufgabe.
Die Frage "Willst du recht haben oder glücklich sein?" ist dafür eine super Hilfe. Ich stellte sie kürzlich einer Klientin, die ihr "Kommunikationsverhalten verbessern" wollte, weil sie merkte, dass sie nicht nur andere, sondern auch sich damit stresste. Es ging um ihren Chef. Nett, aber inkompetent, so schilderte sie ihn, er würde auf die falschen Themen setzen und so tun, als könnten alle mitreden, letztlich aber immer im Alleingang entscheiden. Mehrfach hatte sie ihn schon darauf angesprochen, aber es änderte sich nichts. "Wie deutlich muss ich noch werden?", fragte sie mich. Es war offensichtlich, dass sie keine Chance hatte, den Chef zu ändern, nur eins: ihre Haltung zu ihm. Aber wie?
Die Mitmenschen so hinnehmen wie sie sind
Oft hilft es, sich die Motive hinter Verhaltensweisen bewusst zu machen, die Bedürfnisse, die in der Persönlichkeit verankert sind. Besonders Menschen, bei denen die Motive Prinzipientreue und Idealismus sehr ausgeprägt sind, tun sich schwer damit, die Verhältnisse und andere Leute so hinzunehmen, wie sie sind. Ich versuche dann, sie dahin zu führen, die Gegenpole dieser Motive in sich zu stärken, also dem inneren Prinzipienreiter die flexible Dienstleisterin zur Seite zu stellen und der hehren Idealistin die pragmatische Realistin.
Indem meine Klientin ihre realistischen, flexiblen Anteile bewusst wachrief und mit einer "So ist es nun mal"-Einstellung zur Arbeit ging, entspannte sich die Situation. Ihr Chef übertrug ihr in der Folge sogar größere Projekte. Was war passiert? Auf meine "Recht oder Glück?"-Frage hin hatte sie sich dafür entschieden, ihren Chef nicht länger erziehen zu wollen. Also loszulassen und es sich leichter zu machen.
Ein richtiges Maß zwischen Anpassen und Aufbegehren macht glücklich
Die Wut in ihr wurde im Laufe unserer Sessions leiser und leiser, von ihrem Chef sprach sie bald gar nicht mehr. In den Pausen über den Chef ablästern – dabei macht sie nun nicht mehr mit. Nicht, um ihn zu beschützen, sondern, um ihren Fokus und ihre frei gewordene Energie auf das zu richten, bei dem sie wirklich etwas bewegen kann.
Glücklich ist in meinem Verständnis der Mensch, der das richtige Maß findet zwischen Anpassen und Aufbegehren. Der nicht zu früh alles hinnimmt und sich nicht zu lange verkämpft. Die Frage bewirkt, sich den Extremfall vorzustellen: Wäre ich bereit, meinen Frieden und den der anderen zu opfern für die Genugtuung, recht zu behalten oder etwas verändert zu haben? Oder ist mir der Wert Verbundenheit am Ende doch wichtiger? Dass in meinem Idealismus auch ein Quäntchen Selbstüberschätzung steckt, so etwas Weltretterinnenhaftes, das ist mir seitdem stets gegenwärtig.

Übung
Was bringt dich auf die Palme? Führe dir die Situation vor Augen und beantworte die Fragen:
• Kann ich die Situation selbst beeinflussen?
• Wenn ja, wie? Und: Ist es den Aufwand wert?
• Wenn nein, versuch es hinzunehmen. Gelassenheit ist eine der wichtigsten Quellen für Resilienz.