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Hund Enno, der beste Coach der Welt

Wer Erkenntnis sucht, kann Seminare besuchen, Ratgeber lesen - oder einen Hund beobachten. BRIGITTE-Autorin Kathrin Tsainis schreibt über ihren Beagle Enno nicht nur ihren Blog auf BRIGITTE.de, sondern hat jetzt auch ein Buch über den Hund veröffentlicht. Von dem hat sie nämlich schon einiges über sich und das Leben gelernt... Mit Verlosung.

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Beagle-Baby Enno erobert das Herz von BRIGITTE-Autorin und BRIGITTE.de-Bloggerin Kathrin Tsainis im Sturm. Von nun an heißt es Gassi statt Business-Lunch, Kommandos üben statt Ausschlafen, Parka statt Prada. Und weil sie nach der Scheidung dann wieder als Single durchs Leben geht und sich das Sorgerecht mit Enno mit Herrchen teilt, hat der Alltag seine Tücken...Trotzdem lernt Kathrin Tsainis eine Menge von Enno, dem besten Coach der Welt, nämlich diese Lektionen:

Lektion 1: Gönnen Sie Ihrem inneren Beagle Auslauf

Als wir uns kennen lernten, war Enno drei Monate alt, und seit diesem Tag versuche ich, ihm beizubringen, wie sich ein braver Hund zu benehmen hat. Dass ein braver Hund keine Enten erschreckt, niemals Mülleimer plündert und nur aufs Sofa hüpft, wenn Frauchen es ihm erlaubt hat - um mal einige der Spielregeln zu nennen, die ich für unser Zusammenleben definiert habe.

Und weil Enno keinen Stress mit Frauchen will, hält er sich daran. Meistens. Doch in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen geht er in die Testphase und macht, was er will. Einfach mal sehen, was passiert. Könnte ja sein, dass Frauchen es nicht merkt oder sich am Benimm-Kodex zwischenzeitlich was geändert hat. Einen Versuch ist es wert, oder? Wäre doch zu schade, sich die Chance auf Spaß entgehen zu lassen.

Enno ist eben kein Schäferhund, sondern ein Beagle und damit so was wie das gallische Dorf unter den Hunderassen: eigenwillig, querköpfig, freiheitsliebend und abenteuerlustig, dabei ungeheuer charmant, witzig und gutmütig. Er lässt sich zwar nicht auf den Punkt genau abrichten, dafür ist er aber immer wieder überraschend.

Seit Enno zu mir gehört, denke ich oft, dass wohl in jedem von uns eine Art kleiner Beagle steckt, der sich allen Versuchen, ihn zum Schäferhund umzuerziehen, widersetzt hat. Und dass man bestimmt sehr viel mehr vom Leben hätte, wenn man sich traute, diesen Revoluzzer hin und wieder herauszulassen - um Grenzen auszuloten, über die Stränge zu schlagen, um sich selbst zu überraschen. Einfach mal sehen, was passiert.

Und vielleicht findet man dabei sogar heraus, dass das ein oder andere "Darf ich nicht, kann ich nicht, geht nicht" eigentlich nur im eigenen Kopf existiert. Einen Versuch wäre es doch wert, oder? Ich habe zum Beispiel neulich zum ersten Mal einen Mann in der Bar angequatscht - es wurde ein sehr, sehr netter Abend...

Lektion 2: Genießen Sie das Leben auf Hunde-Art

Die Gegenwart ist ein Ort, an dem man sich viel zu selten aufhält. Man isst einen schönen, fetten Schweinebraten - und denkt, dass man am nächsten Tag unbedingt kürzertreten muss. Trifft einen tollen Mann - und vergleicht ihn mit dem Verflossenen. Sitzt mit einer Freundin in der Sauna - und grübelt über all das nach, was man im Büro schon wieder nicht geschafft hat.

Der Fluch der Großhirnrinde. Dort sitzt unser Verstand, und der taugt für eine Menge wichtiger Dinge, um Schopenhauer zu verstehen oder auch zum Bruchrechnen, aber manchmal ist er eben nur ein elender alter Spielverderber. Dass es sich lohnt, den schleunigst vom Platz zu stellen, wenn er wieder dazwischenfunkt, beweist mir Enno jeden Tag. Er kennt weder Schopenhauer, noch kann er Bruchrechnen, doch die Kunst des Genießens beherrscht er perfekt. Ob er Stöckchen holt, an Blumen schnüffelt, über die Wiese rennt oder sich den Bauch kraulen lässt: Enno ist immer im Hier und Jetzt, suhlt sich darin, als wäre jeder schöne Moment eine duftende Schlammpfütze.

Absolut nachahmenswert. Und gar nicht so schwer. Man muss nur auf Hunde-Modus umstellen: Kopf abschalten und schwelgen! Ohne Wenn und Aber oder Kompromisse.

Lektion 3: Versuchen Sie nie, einen Beagle satt zu bekommen

Ennos Magen ist ein Fass ohne Boden. Selbst wenn ich meinen Hund gerade gefüttert habe, stürzt er sich beim Gassigehen so verzweifelt auf jeden Krümel, dass man denken könnte, er hätte einen mehrstündigen Hungermarsch hinter sich, oder versucht, Passanten an der Ampel ein Stück Brötchen oder die Eiswaffel aus der Hand zu flehen. Anfangs dachte ich noch, ich halte ihn womöglich zu kurz, und gab ihm morgens und abends eine größere Portion. Es half nichts.

Irgendwann begriff ich dann, dass Enno nicht satt zu kriegen ist. Ganz egal, wie viel Futter ich in ihn hineinschaufle - er giert nach mehr, mehr, mehr. Darin gleicht er jenen Menschen, die ich inzwischen "Beagles auf zwei Beinen" nenne. Auch die bekommen nie genug, und die Hoffnung, ihren Hunger nach Zuwendung, Lob, Mitgefühl oder Unterstützung befriedigen zu können, ist ungefähr so aussichtsreich wie der Versuch, mit einem Betonpfeiler Frisbee zu spielen. Probieren Sie es gar nicht erst. Es tut nur weh. Und vergessen Sie ganz schnell Ihr schlechtes Gewissen! Sie bestimmen die Futtermenge, nicht die Beagles! Die fressen Ihnen bloß die Haare vom Kopf, wenn Sie nicht rechtzeitig den Hahn zudrehen.

Lektion 4: Sprechen Sie Klartext

Falls Sie sich schon mal gefragt haben sollten, warum Ihre Kinder, Mitarbeiter oder Ihr Partner nicht machen, was Sie wollen: Es könnte auch an Ihrer Ausdrucksweise liegen. Gerade Frauen neigen ja zu einer gewissen Scheu vor klaren Ansagen und flüchten sich in semantische Verrenkungen wie den Konjunktiv: "Würdest du vielleicht mal diesen Saustall von Zimmer aufräumen!?" oder "Es wäre schön, wenn Sie die Präsentation überarbeiten würden . . . "

Funktioniert nicht! Der Konjunktiv lässt viel zu viele Hintertürchen offen, durch die der Empfänger der Botschaft verschwinden kann. Als erfahrenes Frauchen eines ausgebufften Beagles weiß ich das mittlerweile ganz genau. Und amüsiere mich über die Anfänger, die im Park "Würdest du jetzt bitte mal kommen?!" rufen. Aber auch die lernen früher oder später, dass ihr Hund nur spurt, wenn er eindeutige Befehle erhält: "Komm!" Und falls das noch nicht reicht: "Komm! Sofort!!!" Knackig. Nicht misszuverstehen. Genau wie: "Bis zum Essen hast du gesaugt und die Klamotten aufgehängt." Oder: "Morgen früh möchte ich bitte die Präsentation mit den neuen Zahlen sehen." Und danach das Loben nicht vergessen!

Lektion 5: Seien Sie Beagle-stur

Enno verliert nie sein Ziel aus den Augen. Aufgeben? Höchstens, wenn er alle, aber auch wirklich alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel ausgereizt hat. Und das kann dauern - Enno hat einen extrem langen Atem.

Will er spazieren gehen, winselt er erst leise, dann etwas lauter und hört nur auf, wenn ich ihn ermahne - um nach einigen Minuten wieder anzufangen. Er kratzt an der Tür und bringt mir die Leine, legt sein Pfötchen auf meinen Arm und leckt mir zärtlich das Bein. Kriegt er mich damit noch nicht rum, zündet er die nächste Stufe, die Mitleidsrakete: sehnsuchtsvolle Blicke, Seufzer, die aus den Tiefen einer geschundenen Seele zu kommen scheinen, leichtes Zittern.

Mein Hund kennt mich. Er hat mich mehr als drei Jahre lang studiert. Er weiß genau, welche Knöpfe er drücken muss - und dass steter Tropfen selbst Granit zu höhlen vermag. Hätte ich Ennos Willensstärke und sein Talent für Zermürbung, wären Gehaltsgespräche ein Klacks für mich, und in allen Geschäften bekäme ich fette Rabatte. Ich arbeite daran. Noch habe ich zu wenig Selbstvertrauen und eine etwas zu niedrige Schamschwelle, um mir zu holen, was ich möchte. Noch denke ich viel zu oft, es stünde mir nicht zu. Knicke zu schnell ein, wenn jemand Widerstand leistet, und stimme meine Verhandlungstaktik nicht passgenau auf mein Gegenüber ab. Arbeite womöglich mit Druck, wo ich mit Charme viel weiter käme, doziere anstatt zu fragen oder umgekehrt. Aber es ist schon deutlich besser geworden. Schließlich habe ich Enno, den besten Coach der Welt.

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Kathrin Tsainis "Enno, mein Bett und ich" 256 Seiten 7,95 Euro Diana Verlag

Text: Kathrin Tsainis Ein Artikel aus der BRIGITTE 25/08

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