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Baby oder nicht? "Ich dachte immer, der Kinderwunsch kommt noch – aber er kam nie"

Baby oder nicht?: "Ich dachte immer, der Kinderwunsch kommt noch – aber er kam nie"
© Drobot Dean / Adobe Stock
Will ich eigentlich Kinder und passt der Lebensentwurf "Mutter" auch zu meinem Leben? Diese Frage stellen sich wahrscheinlich die meisten Frauen früher oder später. Coachin Sina Scheithauer betreut Frauen in der Frage nach einem oder eben keinem Kinderwunsch.

Alle in deinem Umkreis gründen eine Familie und du bist unsicher, ob dieser Lebensentwurf für dich infrage kommt? So ging es Sina Scheithauer auch. Sie ist 35 Jahre alt und ausgebildete, systemische Coachin. In ihrer Arbeit unterstützt sie Frauen ohne Kinder und solche, die in der Entscheidungsfindung stecken. Im Gespräch verrät sie uns ihre Vision und erklärt, warum es ihr wichtig ist, einen kinderfreien Lebensstil selbstbestimmt leben zu können.

BRIGITTE: Wann hast du dich selbst dafür entschieden, kinderfrei zu leben?
Sina: 
Mit Mitte 20. Ich bin lange Zeit einfach davon ausgegangen, dass ich Kinder bekomme, so wie "jede und jeder Kinder" bekommt. Das ist ja irgendwie so ein Automatismus, also etwas, worüber sich viele Menschen gar keine Gedanken machen, weil es einfach so etwas ist, was sich im Laufe eines Lebens ergibt. Als es ein bisschen konkreter wurde und auch erste Freundinnen und Kolleginnen Familien gründeten, habe ich dann gemerkt, dass ich es vielleicht tatsächlich nicht will. Und ich erinnere mich daran, dass ich ein paar Freundinnen und Kolleginnen hatte, mit denen wir Witze darüber machten und gesagt haben "wir bleiben immer kinderlos und wir heiraten auch nie und wir machen irgendwie alles anders". Und ich hatte schon damals das Gefühl, dass ich das ernster meine als die. Dass ich das vielleicht nicht will. Aber ich habe immer gedacht, der Kinderwunsch, dieser Moment, in dem man so merkt, jetzt möchte ich, dass der irgendwann noch kommt – und er kam aber nie. Und je mehr ich gesehen habe, wie meine Freundinnen Mütter wurden und ihr Familienleben gestaltet haben, desto mehr habe ich gemerkt, dass das einfach nicht mein Leben ist. Und dann dachte ich "Ich glaube, ich möchte einfach anders leben. Ich glaube, ich möchte ohne Kinder leben."

Hast du dann auch direkt eine bewusste Entscheidung getroffen?
Nein. Es fiel mir sehr schwer, mich dafür zu entscheiden, weil ich so einen unterschwelligen gesellschaftlichen Druck gespürt habe. Es wurde damals noch so wenig darüber gesprochen. Jetzt ist das Thema zum Glück präsenter. Damals war ich gefühlt die Einzige, die keine Kinder wollte. Und ich habe dann irgendwann den Entschluss getroffen und gesagt "Nee, es ist jetzt Schluss! Ich habe jetzt keine Lust mehr, mich durch dieses ständige Nachdenken so blockiert zu fühlen." Aber egal ob ich an nächste Karriereschritte, Weiterbildung oder die Zukunft gedacht habe – die Kinderfrage war dabei immer im Hinterkopf. Und dann habe ich gedacht "Ich entscheide mich jetzt. Ich lasse es gut sein und es ist in Ordnung, dass es so ist." Es hat aber lange gedauert, bis ich diese innere Klarheit hatte. Und ich hätte mir gewünscht, jemanden zu haben, mit dem ich das mal hätte sortieren können.

Wie ist dein Coaching aufgebaut?
Es ist grundsätzlich sehr individuell und auf die jeweilige Kundin abgestimmt. Daher biete ich verschiedene Angebotsformate. Manche Frauen sind schon relativ weit fortgeschritten in ihrer Entscheidungsfindung und brauchen dann manchmal nur ein oder zwei Gespräche. Aber es gibt aber auch Frauen, die noch ganz am Anfang stehen. Die brauchen und wünschen sich dann eine längere Begleitung. Die Entscheidung für ein kinderfreies Leben kann man sich fast wie eine Art Reise vorstellen. Und manchmal muss man ein paar Schritte zurückgehen, um sich dann nach vorne zu bewegen. Und manchmal arbeiten wir auch gar nicht an der Entscheidung selbst, sondern eher an Themen wie Selbstvertrauen, Kommunikation und Selbstliebe.

Geht es beim Coaching am meisten um das Gespräch oder hast du auch Methoden, die du anwendest?
Ja, genau. Ich arbeite viel mit systemischen Fragen und Gesprächen, denn dadurch wird viel Lösungskompetenz in den Kundinnen aktiviert. Ich arbeite aber auch mit Visualisierungen und systemischen Methoden. Dazu gibt es ein begleitendes Workbook. Im Anschluss an das Coaching bekommen die Frauen dann alles visualisiert von mir zugeschickt, was wir gemeinsam erarbeitet haben – damit sie das für sich noch mal nacharbeiten können, fast wie eine kleine Hausaufgabe. Mit welchen Methoden wir arbeiten, hängt doch immer sehr stark ab davon, was die Kundin an Themen, Ängsten und Sorgen mitbringt. Zwischenzeitlich biete ich auch immer wieder Online-Workshops für kleine Gruppen an. Da steht dann neben dem Input und der methodischen Arbeit auch der Austausch untereinander im Vordergrund.

Wie hast du es geschafft, dir eine Community aufzubauen? Wo hast du die Frauen erreicht und wie?
Es gibt schon einige Communitys für kinderfreie Frauen, aber vor allem im englischsprachigen Raum. Auch international ist das Netzwerk groß, deutschsprachig gibt es aber noch nicht so viel. Und als ich überlegt habe, mich im Coaching auf dieses Thema zu spezialisieren, habe ich angefangen in kleinen Netzwerken, auf Instagram oder auch auf Facebook Frauen gezielt anzusprechen, um mit denen ins Gespräch zu kommen und zu fragen "Hey, welchen Bedarf habt ihr überhaupt?" Die Idee des Coachings hat für mich gepasst, aber ich wollte wissen, wo deren Herausforderungen liegen und was die Frauen brauchen. Und dann habe ich angefangen, über Social Media, meine eigene Community aufzubauen und Beiträge zu posten.

Und was brauchten die Frauen in deiner Community am meisten?
Ich weiß aus den Gesprächen, dass es einen ganz großen Wunsch danach gibt, sich untereinander zu vernetzen und Frauen zu finden, die ähnlich ticken wie man selbst. Deshalb kann man unter meinen Beiträgen kommentieren und sich austauschen.

Was ich aber auch gelernt habe, ist, nur weil zwei Frauen kinderfrei leben, heißt das nicht, dass sie automatisch miteinander klicken. Denn in einer kinderfreien Community gibt es sehr viele verschiedene Ausprägungen und Strömungen. Jeder lebt sein kinderfreies Leben anders und hat unterschiedliche Interessen. Und da ist mir auch wichtig, eine Vielfalt abzubilden.

"Die größte Sorge ist, sich falsch zu entscheiden"

Was ist die größte Sorge von Frauen, die kinderlos leben wollen oder in dem Entscheidungsprozess sind?

Die größte Sorge ist, sich falsch zu entscheiden. Und zwar in beide Richtungen. Es gibt natürlich die Angst davor, beispielsweise im Alter alleine zu leben. Wir sind Menschen, wir sind soziale Wesen, wir möchten verbunden sein. Und die Aussicht, im Alter alleine zu sein, ist natürlich etwas, was einen ängstigen kann. Und dann sind da noch Fragen wie "Was mache ich denn, wenn alle meine Freundinnen Mütter sind und da mega drin aufgehen? Und ich bin diese einzige Frau im Freundeskreis, die das nicht so fühlt. Da stehe ich dann alleine da. Und soll ich jetzt einfach mitmachen, nur um irgendwie dazuzugehören?" Die Frauen ohne vorhandenen Kinderwunsch fragen sich, warum das alle fühlen, nur sie selbst nicht und ob sie sich in diesem Gefühl vertrauen können.

Spielt auch der Partner eine Rolle bei der Entscheidung?
Ja, natürlich ist das auch in der Partnerschaft ein Thema. Also beispielsweise die Frau möchte keine Kinder, der Mann aber schon oder andersrum. Was macht man dann? Erst haben beide gedacht "Ach ja, wird schon irgendwie", und dann redet man zum ersten Mal darüber und merkt, dass man sich uneinig ist. Und das ist natürlich so eine so existenzielle Frage – sodass das einfach ein Riesenthema ist.

Aber auch in anderen Beziehungen kann das Thema groß werden. "Wie sage ich es verschiedene Menschen? Wie sage ich es meiner Mutter, wenn ich weiß, dass ihr sehnlichster Wunsch Enkel sind? Wie reagiere ich am Weihnachtstisch, wenn ich die einzige Frau bin, die mit 37 immer noch Single ist und kein Kind hat und einfach ein richtig geiles Leben lebt? Was sage ich dann?" Es ist tatsächlich sehr viel Kommunikation, Selbstbestimmung und man muss dazu stehen, dass man das nicht fühlt und dass man sein Leben anders leben möchte, als ein Großteil der Gesellschaft das tut. 

Warum ist es so wichtig, diese Entscheidung, kinderfrei zu leben, so bewusst zu treffen?
Tatsächlich ist es so, dass manche Frauen mit mir ins Coaching gehen und gar keine Entscheidung treffen, sondern einfach nur für sich erarbeiten, wie sie damit leben können, nicht zu wissen, ob sie Kinder wollen. Im Coaching geht es auch sehr häufig darum, wie ich mit dieser gesamten Thematik in meinem Leben umgehe und wie ich selbstbestimmt leben kann. Und ich finde auch wichtig, zu erwähnen, dass es Frauen gibt, die schon immer wissen, sie wollen keine Kinder. Die bauen sich dann oft von Anfang an auch ihr Umfeld anders auf. 

Warum glaubst du denn, dass "kinderlos Leben" immer noch so ein verwerfliches Thema in der Gesellschaft ist?
Kinder sind in meiner Wahrnehmung oft so etwas wie "der kleinste gemeinsame Nenner." Das ist etwas, wo sich ein Großteil der Gesellschaft einig darüber ist. Kinder bekommen gehörte bisher einfach dazu. Wenn wir nun darüber sprechen, dass es auch anders geht, und zwar freiwillig und in vollem Bewusstsein, dann ist das natürlich erst einmal ein sehr neuer Gedanke, an den viele sich gewöhnen müssen und dürfen.

"Mütter sprechen offen über ihre Herausforderungen – kinderfreie Frauen sollten das auch können"

Und was müsste sich ändern?
Ich finde, die Gesellschaft sollte viel mehr dafür tun, dass Frauen sich gegenseitig unterstützen. Natürlich tragen Mütter viel Verantwortung und ich nehme sie auch vielseitig belastet wahr. Und dann kommt die kinderfreie Frau um die Ecke, die in ihrem Leben anders herausgefordert ist. Das kann zu Missverständnissen führen. Respekt ist da wichtig. Also wenn ich respektiere, dass meine Freundinnen sagen, sie möchten Kinder haben und ihr Leben nach der Familienplanung umstellen, müssen sie halt umgekehrt respektieren, dass ich für mich nein dazu sage. Es gibt auch Menschen, die mit Kindern und auch Eltern gar nichts zu tun haben wollen. Natürlich gibt es da einen großen Diskussionsbedarf und vielleicht sogar Konfliktpotenzial. Da sind wir alle gemeinsam gefragt, mit Verständnis aufeinander zuzugehen. Wir müssen lernen, unsere unterschiedlichen Lebensentwürfe zu respektieren und stehen zu lassen.

Was wünscht du dir als kinderlose Frau ganz persönlich?
Ich würde mir wünschen, dass wir uns gegenseitig in unseren Herausforderungen, die der jeweilige Lebensstil mit sich bringt, sehen. Ich werde zum Beispiel viele schöne und erfüllende Erlebnisse nicht haben, die man mit Kindern haben kann. Und ich gönne das meinen Freundinnen, dass die das mit ihren Kindern erleben. Ich sage dafür halt, dass ich mein kinderfreies und unabhängiges Leben liebe. In den Diskussionen unter Artikeln zu kinderfreiem Leben heißt es häufig, es würde gegeneinander ausgespielt. Ich finde aber, es muss möglich sein, dass wir offen über kinderfreies Leben sprechen, ohne dass dieser Vorwurf auftaucht. Denn auch Mütter sprechen offen über ihre Herausforderungen, zum Beispiel auf Mami-Blogs. Gleiches sollte für kinderfreie Frauen möglich sein. Dieses Thema muss raus aus dem stillen Kämmerlein.

Was sind die wichtigsten Werte, die du allen Frauen weitergeben möchtest?
Selbstbestimmung ist ganz wichtig! Im wahrsten Sinne des Wortes selber zu entscheiden, wie man leben möchte. Dabei ist es übrigens egal, ob es um die Kinderfrage geht. Aber sich wirklich zu trauen, darauf zu hören, was man selber tun möchte. Und in meiner Arbeit ist für mich persönlich immer ganz wichtig, Frauen zu empowern. Und zwar nicht nur dazu, kinderfrei zu leben, sondern ihr Ding zu machen. Ich coache Frauen nicht, damit am Ende dabei rauskommt, dass sie kinderfrei sein wollen, sondern ich coache Frauen, damit sie am Ende sagen können "Ich weiß jetzt, was ich möchte." Und wenn das heißt, ein Kind zu bekommen, dann sage ich: "Tolle Sache, go for it!" 

Brigitte

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