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Therapeut verrät Woran es liegen kann, wenn du dich nicht an deine Kindheit erinnerst

Altes Foto von einem Vater mit seinem Kind
© dubova / Adobe Stock
Vergessen wir nur aufgrund von Traumata unsere Kindheit? Nicht unbedingt, erklärt Therapeut Jeff Guenther.

Eine grüne Wiese, der Duft des Sommers und Insekten, die auf der Haut krabbeln: Manche von uns erinnern Szenen aus ihrer Kindheit, als wären sie erst Tage her, so klar spielen sie sich vor ihrem geistigen Auge ab. Andere können nur mit Erstaunen auf diese Menschen blicken: Wie ist es ihnen überhaupt möglich, sich an etwas zu erinnern, dass so lange her ist?

Wenn sie versuchen, sich an ihre Kindheit zu erinnern, dann fehlt es ihnen an diesen klaren Bildern. War das Leben als Kind etwa derart schlimm, dass wir alles verdrängt haben? Oder einfach sterbenslangweilig? Weder noch, sagt Therapeut Jeff Guenther. Vielmehr liegt der Grund eher in unserem Bindungstyp.

Nicht immer kommt das Vergessen durch Traumata

Sigmund Freud gehörte zu den ersten, die Kindheitstraumata mit Gedächtnisverlust – oder dem Unterdrücken von Erinnerungen – in Verbindung brachte. Ihm folgten gleich mehrere Therapeut:innen in den 90er-Jahren, die eine Verbindung zwischen unerklärlichen psychischen Symptomen und vergessenem Missbrauch in der Kindheit vermuteten.

Unter anderem das Gesundheits-Magazin "Healthline" hat sich mit dem Thema auseinandergesetzt. Demnach sei es zwar unwahrscheinlich, dass jemand ein traumatisches Ereignis komplett vergessen würde, doch eine Review verschiedener Studien zu dem Thema kam zu dem Ergebnis, dass eine Missbrauchserfahrung tatsächlich die Art und Weise verändern kann, wie das Gehirn Erinnerung erzeugt. So würden manche mit geistiger Distanzierung reagieren, weigern sich, an das Trauma zu denken und verdrängen das Ereignis – was aber nicht mit dem Vergessen gleichzusetzen sei. 

Je öfter man eine Erfahrung als Kind gemacht hat, desto wahrscheinlicher ist es, dass man sich auch im Erwachsenenalter daran erinnert – im Guten wie im Schlechten. Wer als Kind von den eigenen Eltern regelmäßig misshandelt wurde, erinnert sich daran beispielsweise eher. 

Doch es könne auch andersherum sein: Dinge, die keinen bis wenig emotionalen Impakt auf das Kind hatten, werden eher vergessen. Während eine erwachsene Person den Besuch in Paris vielleicht mit emotionalen Momenten wie einer Fahrt auf der Seine oder einen Besuch der Notre-Dame verbindet, ist es für ein kleines Kind vielleicht einfach ein Tag wie jeder andere – weil einfach jeder Tag mit neuen Eindrücken verbunden ist.

"Das, woran man sich erinnert, ist genauso bedeutungsvoll wie das, was wir vergessen"

Eine weitere Theorie ergänzt Therapeut Guenther in einem TikTok: Der Bindungstyp würde ebenfalls unser Erinnerungsvermögen beeinflussen. Gemeint ist damit ein Konzept, das bereits in den 1960er-Jahren aufkam, sich stetig weiterentwickelte und bis heute von Psycholog:innen anerkannt ist. Demnach gibt es vier verschiedene Bindungstypen:

  • Unsicher-vermeidende Bindung: Diesen Menschen gelingt es nicht, eine langfristige Beziehung zu anderen aufzubauen, weil sie nicht in der Lage sind, körperliche wie emotionale Nähe zuzulassen (kurzum: Sie leiden unter Bindungsangst). Der Grund könnte beispielsweise eine emotional distanzierte Erziehung der Eltern sein.
  • Sichere Bindung: Personen mit diesem Bindungsstil können eine stabile, liebevolle Beziehung zu anderen aufbauen. Sie vertrauen, lieben und können wiederum Liebe annehmen. 
  • Unsicher-ambivalente Bindung: Diesen Menschen fehlt es an Sicherheit, weil sie als Kinder ihre Bezugspersonen nicht verstehen konnten oder unsicher darüber waren, was sie von der Person zu erwarten haben.
  • Ängstlich-desorganisierte Bindung: Wer einen solchen Bindungsstil hat, hat enorme Schwierigkeiten damit, anderen zu vertrauen. Kindheitstraumata, Vernachlässigung und Missbrauch können der Ursprung hierfür sein. Diese Menschen leben in Ambivalenz: Einerseits haben sie enorme Angst vor Bindung, andererseits zehren sie sich danach.

"Die meisten meiner Patient:innen mit vermeidendem Bindungsstil haben nur wenige Erinnerungen an ihre Kindheit", verrät Guenther im TikTok, "insbesondere die Erinnerungen, die emotionale Unterstützung involvieren." Dies sei ein Zeichen dafür, dass diese Menschen schon früh im Leben gelernt hätten, ihre Gefühle zu unterdrücken, um unabhängig zu werden. 

Diejenigen die eher einen ängstlich-desorganisierten Bindungstypen haben, würden sich hingegen nahezu an alles erinnern. "Sie haben gelernt, dass ihre Bedürfnisse befriedigt werden, wenn sie sehr wachsam gegenüber den Worten und dem Verhalten ihrer Eltern waren." 

Wer also ab und an einen anderen Menschen am liebsten erwürgen würde, weil dieser mal wieder keinerlei Emotionen zeigt oder eine andere Person am liebsten zum Schweigen bringen würde, wenn diese wieder einmal alles daran setzt, Bestätigung von uns zu erhalten, solle laut dem Therapeuten vor allem eines im Hinterkopf haben: "Es ist nicht ihre schuld. Sie leben nur nach den emotionalen Entwürfen, die ihre Eltern ihnen hinterlassen haben. Wir sollten die Schuld dort suchen, wo sie wirklich hingehört – in der Familie."

Verwendete Quellen: healthline.com, huffingtonpost.co.uk, ncbi.nlm.nih.gov, tiktok.com

csc Brigitte

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