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Theresa Breuer Haltung zeigen!

Theresa Breuer: Nahaufnahme von verschiedenen Händen, die sich berühren
© Rawpixel.com / Shutterstock
Die Journalistin Theresa Breuer hat mehrere Jahre aus Afghanistan berichtet. Als sich die politische Lage in diesem Jahr dort dramatisch änderte, entschied sie sich dafür, etwas sehr Mutiges zu tun.
Die Entscheidung, zu helfen, traf ich aus einem Impuls heraus.

Als die Taliban Mitte August Provinz um Provinz in Afghanistan einnahmen, erreichten mich verzweifelte Anrufe aus Kabul. Freunde und ehemalige Protagonistinnen meiner Geschichten flehten mich an, ihnen zu helfen, das Land zu verlassen. "Wenn ich ein Flugzeug organisiere, schaffst du es, die nötigen Stellen am Flughafen zu bestechen, damit ich euch rausbringen kann?", fragte ich einen Freund in Kabul.

Die Entscheidung, zu helfen, traf ich aus einem Impuls heraus. Ich habe zwei Jahre als Journalistin und Filmemacherin in Afghanistan gelebt. In der Zeit sind Bekannte von mir bei Anschlägen gestorben. Ich habe wöchentlich Rauchsäulen von Bombenattentaten aufsteigen sehen und mich mehrfach bei Schießereien und Explosionen in festungsartigen Räumen versteckt. Wie sehr sich die Menschen in Kabul nun vor dem Einmarsch der Taliban fürchten mussten, konnte ich nur erahnen. Zusehen wollte ich nicht.

Auf die Idee, ein Flugzeug zu chartern, bin ich mit drei Freunden gekommen. Auch sie hatten Freundinnen und Bekannte in Afghanistan, die sie rausbringen wollten. Gemeinsam organisierten wir eine Maschine für zwölf Leute. Als sie startklar war, hatten die Taliban jedoch Kabul eingenommen und die amerikanischen Streitkräfte verweigerten uns die Landeerlaubnis. Innerhalb weniger Stunden brach Panik am Flughafen aus, meine Freunde mittendrin. Aufgeben war für mich keine Option.

Gemeinsam stark

Gemeinsam mit meinen Freunden rief ich zu Spenden auf, um eine größere Maschine zu chartern. Ich sammelte Namen von Menschen in Gefahr, rief beim Auswärtigen Amt an, suchte nach Unterstützern. Wenige Tage später flog ich nach Kabul, verhandelte vor Ort mit deutschen Diplomaten und US-Militärs. Währenddessen hatte sich in meiner Wohnung in Berlin ein Team gebildet, das die Rettungsaktion koordinierte. Nach zehn schlaflosen Tagen und Nächten gelang es uns, 189 Menschen außer Landes und in Sicherheit zu bringen.

Kaum war diese Rettungsaktion geglückt, wurde ich gefragt, inwiefern es vereinbar sei, dass ich mich als Journalistin nun in die Rolle einer Aktivistin begeben hätte. Für mich hat diese Frage nie eine Rolle gespielt. Ich halte wenig von der Prämisse, dass Journalismus unabhängig und neutral sein soll. Das funktioniert vielleicht, wenn ich die Nachrichten vorlese. Nicht, wenn ich als Reporterin in Krisengebieten unterwegs bin. Es gibt Regionen, in denen man Verantwortung übernehmen sollte, wenn man in das Leben der Menschen eindringt. Wenn eine Protagonistin im Libanon an Krebs stirbt, weil das Gesundheitssystem dort zusammenbricht, besorge ich ihr Medikamente. Wenn eine misshandelte Frau in Israel an Drogensucht leidet, fahre ich sie in die Entzugsklinik. Bei meinen Bekannten in Afghanistan habe ich noch eine größere Verantwortung gespürt.

Helfen mit der Kabul Luftbrücke

Für die Taliban gelten all jene als Feinde, die mit Westlern zusammengearbeitet haben. Mit meiner Präsenz habe ich Menschen in Gefahr gebracht. Ich hätte sie jetzt nicht im Stich lassen können, schon gar nicht mit Bezug auf meine Rolle als Journalistin. Das hätte nichts mit Neutralität zu tun gehabt. Das wäre schlicht Feigheit gewesen.

Gemeinsam mit der Kabul Luftbrücke evakuiere ich weiter. Seit die Bundeswehr ihren Einsatz in Afghanistan beendet hat, haben wir mehrere Hundert Menschen bei der Ausreise unterstützt. Auch in diesem Moment sitze ich an der afghanisch-pakistanischen Grenze und verhandle mit den Grenzbehörden. Wenn alles gut läuft, werden bald 24 Frauenrechtsaktivistinnen mit mir nach Islamabad fahren. Und in wenigen Wochen ein neues Leben in Deutschland beginnen.

Theresa Breuer, 35, lebt und arbeitet als Journalistin und Filmemacherin im Nahen Osten und Zentralasien. Zwei Jahre lang hat sie afghanische Bergsteigerinnen für einen Dokumentarfilm begleitet bei ihrem Projekt, den höchsten Berg Afghanistans zu besteigen. Als die Taliban das Land eingenommen haben, waren sie die ersten Frauen, denen Theresa Breuer bei der Flucht helfen wollte. Daraus ist die Initiative Kabul Luftbrücke entstanden.

Brigitte

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