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Gefährlicher Mythos! Die Wahrheit über das Jungfernhäutchen

Jungfernhäutchen: Eine junge Frau in Unterwäsche
© Hrecheniuk Oleksii / Shutterstock
Um das Jungfernhäutchen ranken sich diverse Mythen und gefährliches Halbwissen. Was erstaunlich ist – denn in Wahrheit gibt es so ein Häutchen gar nicht!

Das Jungfernhäutchen ist eine dünne Haut im Vaginalbereich, die das erste Mal, wenn wir mit jemandem Geschlechtsverkehr haben, reißt, was einerseits weh tut, andererseits blutet und damit Aufschluss darüber gibt, ob eine Frau oder ein Mädchen noch Jungfrau war. So weit, so falsch, so problematisch!

Jungfernhäutchen: Das ist seine Funktion

Das Jungfernhäutchen, besser gesagt (!) Hymen, befindet sich am Scheideneingang unmittelbar vor der Scheidenhöhle. Genau wie z. B. Vulva, Augenfarbe, Nase und Fingerabdruck unterscheidet sich die Form des Hymens von Frau zu Frau. Bis wir in die Pubertät kommen, schützt das Häutchen unsere Scheide vor Schadstoffen und Erregern. Später, wenn unser Körper ausreichend Östrogen produziert, übernehmen diese Aufgabe Milchsäurebakterien, sogenannte Laktobazillen, die das Milieu in unserer Scheide für unerwünschte Untermieter zu sauer machen. Das Hymen wird ab diesem Zeitpunkt nicht mehr unbedingt benötigt – es hat seine Aufgabe erfüllt und kann quasi Feierabend machen.  

Jungfernhäutchen: So sieht es aus

Bei den meisten Frauen hat das Hymen eine etwa ein bis zwei Zentimeter große Öffnung, durch die z. B. Weißfluss und Blut während der Periode abfließen können. Bei manchen Frauen (weniger als ein Prozent) ist es allerdings komplett verschlossen und muss medizinisch behandelt werden, damit sich die Sekrete in der Scheide nicht stauen. Ansonsten hat das Hymen häufig eine der folgenden Formen.

  • Ringförmig – die Öffnung befindet sich relativ mittig und wird vom Hymen wie von einem Ring umschlossen
  • Halbmondförmig – die Öffnung liegt eher seitlich und das Hymen ist auf der einen Seite deutlich breiter als auf der anderen
  • Siebförmig – das Häutchen weist mehrere kleine Öffnungen auf und erinnert daher etwas an ein Sieb
  • Kreuzförmig / septal – das Hymen besteht aus mehreren Hautsträngen, die den Scheideneingang wie ein Gitter oder Kreuz verschließen    

Die beiden letztgenannten Formen sind – genau wie der Vollverschluss – eher selten und können unter Umständen ebensolche Probleme bereiten. Denn egal, welche Form das Hymen hat, grundsätzlich gilt: Wenn es unsere körpereigenen Flüssigkeiten und Sekrete in der Scheide staut, muss es chirurgisch angepasst werden.    

Jungfernhäutchen, Sex und der große Irrtum

Im Grunde hat das Hymen für Sex also eine ähnlich große Bedeutung wie der Bauchnabel oder unser kleiner Zeh – es ist live dabei, spielt aber keine besondere Rolle. Deshalb ist die Bezeichnung Jungfernhäutchen irreführend und falsch: Sie lässt darauf schließen, das Hymen sei ein Merkmal von Jungfrauen, dabei schützt es in Wahrheit schlicht und ergreifend vor Infektionen und hat mit Sex und Jungfräulichkeit nichts zu tun.

Es stimmt zwar, dass es bei vielen Frauen (nur) beim ersten Sex einmal einreißt und es dabei zu einer leichten Blutung kommt (zur Beruhigung für alle, die es noch vor sich haben: Das tut in der Regel überhaupt nicht weh!). Doch genauso gibt es auch Frauen, deren Hymen noch bei ihrer ersten Geburt unbeschädigt ist und erst reißt, wenn der Kopf ihres Kindes das Licht der Welt erblickt. Alles eine Frage der individuellen Hymen-Form, Größe seiner Öffnung, Elastizität der Haut – und der Sanftheit bzw. des Eifers des Sexpartners ...

Jungfernhäutchen aka vaginale Korona

Aus diesem Grund, und um den Mythos über das Jungfernhäutchen zu killen, hat die Schwedische Vereinigung für aufgeklärte Sexualerziehung (Riksförbundet För Sexuell Upplysing – RFSU) schon Anfang dieses Jahrtausends vorgeschlagen, das Hymen alltagssprachlich in "vaginale Korona" umzubenennen, also vaginale Krone bzw. vaginalen Ring. "Sprache bestimmt, wie wir denken", hieß es damals vom RFSU. “Der mythische Status des Jungfernhäutchens hat viel zu lange viel zu viel Unheil angerichtet."

In manchen, meist besonders religiösen, Kulturen wird von Frauen erwartet, dass sie bis zu ihrer Ehe oder Hochzeitsnacht auf Sex verzichten. Tun sie das nicht, gelten sie als unrein. Oft wird dann die vaginale Korona, genauer gesagt ihre Eigenschaft, beim ersten Sex zu reißen, als Indikator zweckentfemdet und missbraucht: Findet sich nach der Hochzeitsnacht kein Blut auf dem Laken, wird der Braut unterstellt, ihren Ehemann betrogen zu haben. Das Hymen wird also als instrumentalisiert, um Frauen in einer Angelegenheit zu kontrollieren, die niemanden etwas angeht – obwohl es nicht einmal zuverlässig Aufschluss darüber gibt. 

Dieser Kult und die Verherrlichung weiblicher "Unschuld" und Jungfräulichkeit gehen sogar so weit, dass – auch hierzulande! – Ärzte eine Rekonstruktion des Hymens anbieten und damit zum Teil ziemlich viel Geld verdienen. Auf einer Website einer solchen medizinischen Einrichtung wird ein derartiger Eingriff zum Beispiel für 1.200 Euro angeboten. Das Paradoxe: Aus Angst vor dem Ausbleiben des blutigen Reißens entscheiden sich manchmal sogar Frauen für einen medizinischen Eingriff, die tatsächlich noch nie Sex hatten – nur um sicherzugehen, dass ihre Öffnung nicht zu groß oder ihre Haut zu elastisch ist!

Vor diesem Hintergrund können wir nur hoffen (und natürlich durch unsere Wortwahl mit dazu beitragen), dass die vaginale Korona das Jungfernhäutchen in naher Zukunft verdrängt – in unseren Worten wie in unseren Köpfen!

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