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Frauen aus drei Generationen reden über Sex

Frauen aus drei Generationen reden über Sex
© MilkaMilchschaum / photocase.com
Wir haben drei Frauen aus unterschiedlichen Generationen, 57 Jahre, 41 Jahre und 22 Jahre, zu Sex befragt - so wie sie ihn wirklich haben. Hat sich das über die Jahrzehnte verändert?

BRIGITTE: Wie war das, als ihr zum ersten Mal Sex hattet? Habt ihr mit anderen darüber gesprochen? Fühltet ihr euch unter Druck, Sex zu haben?

Anna-Lena: Ich hatte meinen ersten Freund mit 14. Da war ich schon spät dran, viele Freundinnen hatten schon früher Sex. Natürlich wollte ich es dann auch unbedingt. Ich hatte mit meinem Freund relativ schnell Sex, nach einer Woche oder zwei. Ich war keine von denen, die gesagt haben, ich möchte warten. Natürlich haben wir im Freundeskreis darüber geredet, wer mit seinem Freund schon geschlafen hat. Die, die noch keinen Sex hatten, waren immer am neugierigsten.

Barbara: Bei mir war das berühmt-berüchtigte erste Mal mit 18. Ich habe damals in Deutschland und in Griechenland gelebt. Soviel ich weiß, war das damals das Durchschnittsalter für den ersten Sex. Aber es wäre keine Freundin von mir auf die Idee gekommen, offen darüber zu reden, was man gemacht hat oder wie es war. Eine enge Freundin hat mich nur einmal gefragt, ob ich noch solo sei.

Sandra: Das war bei mir ähnlich. Ich hatte mein erstes Mal mit 17 und war damit nicht besonders spät dran. Da wäre ich in Lenas Generation ja die letzte gewesen. Wir haben auch nicht viel darüber gesprochen. Sicher, man wusste, wer schon einen Freund hatte. Aber wir haben ja noch an die ewige Liebe im Sonnenuntergang geglaubt (lacht). Man hatte andere Themen, Sex war nicht das Wichtigste. Im Studium hatte ich mal eine Kommilitonin, die gesagt hat, sie würde gern mal dabei sein, wenn wir Sex haben. Nur um zu sehen, wie wir das machen.

Das hört sich an, als hätte das Thema Sex jede von euch mit sich selbst ausgemacht. Hattet ihr nicht das Bedürfnis, darüber zu reden?

Barbara: Bei den Frauen meiner Generation lief das eher über das Thema Beziehung. Wie verstehe ich mich mit meinem Freund? Was nervt mich an ihm? Wo hat der eine den anderen verletzt? Das körperliche Thema wurde eher ausgespart. Wir haben das nicht aus Angst verschwiegen. Wir haben uns einfach auf einer anderen Ebene ausgetauscht.

Sandra: Ich habe das auch eher mit mir selbst ausgemacht.

Barbara: Was als intim empfunden wird, ist ja sehr unterschiedlich. Die 68er waren sehr offen, aber es hat trotzdem nicht funktioniert, einfach mit jedem zu schlafen. Das hat eben auch viel Kummer erzeugt. Vielleicht hat sich meine Generation deshalb wieder mehr zurückgezogen.

Wie ist das bei dir, Lena? Als du aufgewachsen bist, gab es schon sämtliche Infos im Internet, auch Porno-Plattformen wie YouPorn. Hattet ihr das Gefühl, dass es Sachen gibt, die man machen muss?

Anna-Lena: Überhaupt nicht. Wir haben am Anfang darüber geredet, als alle ihren ersten Sex hatten. Danach war das Thema gegessen. Wir sitzen nicht zusammen und fragen, was wir jeweils im Bett mit unseren Freunden machen. Wenn eine von uns einen One-Night-Stand hat, wird nicht ins Detail gegangen. Und das andere, das sind Medien, das sind Pornos. Das ist für mich kein Maßstab.

Wie offen habt ihr in eurer ersten Beziehung über Sex gesprochen?

Anna-Lena: Wir wussten beide nicht so gut Bescheid, wir haben es einfach probiert. Ein bisschen haben wir schon darüber geredet, aber dann musste das Licht aus sein und jeder hat in sein Kissen genuschelt, was er gern hätte. Das hat sich aber entspannt, als wir länger zusammen waren. Da merkt man ja, was der andere gern mag.

Sandra: Für meinen Freund damals war es auch das erste Mal - das war eher so ein Rantasten.

Barbara: Bei mir war es eine andere Zeit, ein anderes Land und andere Sitten. Mein erster Freund kam aus Athen, er war zwei Jahre älter als ich und vergleichsweise unerfahren. Früher war es in Griechenland noch üblich, dass der Vater oder ein anderer Verwandter mit den Jungs zu einer Prostituierten gegangen ist. Das war aber eher ein traumatisches Erlebnis. Wenn man es hart ausdrücken will, kam es einer Vergewaltigung gleich.

Unglaublich.

Barbara: Die Jungs hatten gar nicht die Möglichkeit, ein Mädchen kennenzulernen. Zu der Zeit waren die Mädchen sehr unter Verschluss. Irgendwo musste sich ein Ventil finden und da hatte die Gesellschaft diese Doppelmoral gefunden. Als ich mit meinem Freund zusammenkam, gab es kaum einen Ort für ein intimes Zusammensein. Einmal habe ich meinen Freund bei seinen Eltern besucht und musste mit seinem kleinen Bruder ein Zimmer teilen. Mein Freund hat in der Küche geschlafen. Von dieser Atmosphäre war die erste Beziehung bestimmt - Schuld und Angst. Das hatte mit freier Sexualität wenig zu tun.

Seid ihr irgendwann zusammengezogen?

Barbara: Zusammen gewohnt haben wir nie. Aber man findet Mittel und Wege, um allein zu sein. Es war aber abenteuerlich. Irgendwann hat ein älterer Kommilitone meinem Freund den Schlüssel zu seiner Wohnung gegeben. Wir haben uns auf den Weg gemacht, aber die Wohnung nicht gefunden (lacht). Wir sind unverrichteter Dinge wieder gegangen.

Wie habt ihr euren eigenen Körper und euren Orgasmus kennengelernt? Auch durch Solosex?

Sandra: Allein und mit einem Partner. Obwohl das für mich unterschiedliche Orgasmen sind. Die mit einem Partner sind viel intensiver. Was ich mag, hat sich über die Zeit entwickelt.

Anna-Lena: Ich habe mich schon selbst kennengelernt. Man hört davon, man probiert es aus. Aber seit ich das männliche Wesen für mich entdeckt habe, ist das nichts mehr für mich. Ich habe eine Fernbeziehung, deshalb sehe ich meinen Freund nur alle zwei Wochen, aber dann warte ich einfach. Da hilft auch kein Spielzeug, das ist einfach nicht so meins. Ich entspanne mich dabei nicht, ich brauche das nicht.

Barbara: Das ist bei mir ähnlich. In den Zeiten, in denen ich allein gelebt habe, war ich weitgehend sexlos. Und wenn ich eine Fernbeziehung hätte, würde ich auch bis zum Wiedersehen warten. Ich denke bei Erotik und Sex eher an den Menschen und da hilft mir dann auch kein Sex-Spielzeug.

Du bist jetzt Single, Sandra.

Sandra: Wenn ich es möchte, mache ich es mir selber. Aber ich habe mir erst mit 38 - am Tag meiner Scheidung - mein erstes Sex-Spielzeug gekauft. Leider entlädt sich das Ding so schnell.

Die Unterschiede zwischen den Generationen sind offenbar gar nicht so groß, oder?

Barbara: Ich glaube, dass sich der Wunsch nach Intimität über Generationen erhält. Unabhängig davon, wie viele Beziehungen eine Frau hatte. Frauen wollen nicht, dass in ihrem Intimleben rumgetrampelt wird. Das finde ich bezeichnend, aber auch eine schöne Sache.

Wie ist das in einer Beziehung? Sprecht ihr darüber, was ihr mögt?

Sandra: Das entwickelt sich, würde ich sagen.

Anna-Lena: Das ist kein richtiges Gespräch. Das läuft eher währenddessen. Wenn es nicht passt, redet man bestimmt mehr darüber. Aber wenn es gut läuft, redet man nicht so viel darüber, oder? Dann macht man es einfach.

Und wenn es nicht passt - sagst du es dann?

Anna-Lena: Das musste ich noch nicht. In meinen Beziehungen war das bislang kein Problem.

Sandra: In einem vertrauten Umgang entwickelt man sich weiter. Weil jeder mal was Neues ausprobiert.

Barbara: Genau. Sexualität findet doch zum großen Teil nonverbal statt. Wenn in der Beziehung etwas nicht stimmt, wird der Partner das spüren. Entweder er fragt dich oder du sagst es. So entstehen Gespräche über Sex. Es ist eben kein Thema wie jedes andere.

Wenn man den anderen körperlich nicht mehr anziehend findet, wird es schwierig.

Habt ihr den Sex, den wir wollt?

Anna-Lena: Ja.

Sandra: Ja.

Barbara: Ja. Ich denke eher an den Menschen, der Sex ist Teil des Gesamtkunstwerks. Wenn man eine Beziehung hat und der eine könnte aus gesundheitlichen Gründen keinen Sex haben, würde man die Person doch nicht wegschicken. Ich finde, das sagt auch ganz viel darüber aus, was Sex im normalen Alltag ist. Das ist doch kein Leistungssport.

Und wenn er oder du keine Lust mehr hätte?

Sandra: Dann kommt es darauf an, wieso und weshalb das so ist. Es hat ja einen Grund, warum man den anderen nicht mehr begehrenswert findet. Ich finde, zu einer intakten Beziehung gehört Sex dazu. Wenn man den anderen körperlich nicht mehr anziehend findet, wird es schwierig.

Hat sich eure Sexualität im Laufe des Lebens verändert?

Anna-Lena: Ich bin erfahrener geworden und weiß, was ich mag. Ich war am Anfang nicht so selbstbewusst, das hat sich geändert. Auch durch meinen Freund, der mich bestärkt.

Sandra: Ich bin offener, etwas auszuprobieren. Man findet seine Vorlieben und kann ganz anders genießen.

Barbara: Frauen werden mit dem Alter kompromissloser. Nicht alle Männer, mit denen ich einmal zusammen war, würde ich heute noch nehmen. Ich bin denen damals auf ganz unterschiedlichen Ebenen entgegenkommen - das würde ich heute nicht mehr machen. Ich würde sagen: Ach Junge, dann bleib ich lieber allein. Das ist ein Merkmal des Älterwerdens. Man muss nicht mehr alles mitmachen.

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