Ich habe ein Schweigegelübde abgelegt. Heute Abend, in dieser Szenekneipe in Hamburg-Ottensen. Ich werde nicht reden. Obwohl fünf junge Männer darauf warten, meine Bekanntschaft zu machen. Aber das gehört zu den Regeln.
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Das wurde uns eben erklärt, als wir zehn Frauen und zehn Männern uns vorhin leicht verschreckt musterten. Wir sollen uns der Reihe nach kennen lernen. Sprechen verboten, erlaubt sind nur handgeschriebene Zettel, Gesten und Grimassen. Lachen darf man auch, immerhin. Fünf Minuten darf ich jeden potenziellen Traummann anschweigen, dann ist der nächste an der Reihe.
Funktioniert bedingt. "Claus" steht auf dem Namensschild von meinem Schweigepartner. "Da haben sich wohl zwei gefunden" schreibt er auf einen Zettel. Ich denke er meint uns - und stelle dann nach längerem Zettelverkehr mit vielen Missverständnissen und Rechtschreibfehlern fest: Er sprach nur von unseren Sitznachbarn. Das hätte das gesprochene Wort in Sekunden geschafft. Dann wird es aber wenigstens noch nett mit Claus.
Dass man in fünf Minuten jemanden kennen lernen kann, sagen auch Wissenschaftler. Verhaltensforscher Dr. Karl Grammer vom Wiener Ludwig-Bolztmann-Institut für Stadtethologie zum Beispiel. Bei einem Treffen brauche man nur etwa zwei bis drei Minuten, um den anderen einzuschätzen. Rein wissenschaftlich gesehen, müssten auch wortlose Flirts funktionieren. Denn wir verarbeiten ohnehin vor allem nonverbale Informationen wie Körperform, Duft, Gesichtsausdruck.
Oder auch Handschrift. Wie im Falle meines Kumpels Melf, den ich sicherheitshalber mit zu den Schweigsamen geschleppt habe. Sein Gekrakel scheint jedenfalls trotz imposanten Montblanc-Füllers nicht dazu geeignet zu sein, die Dame gegenüber zu überzeugen. Er behauptet später trotzig: "Hätte sie aus Eitelkeit nicht die Brille zu Hause gelassen, wäre das Date bombensicher gewesen."
Auf den Stuhl gegenüber plumpst Gunnar, 37, Typ Versicherungsvertreter. Ihm traue ich alles zu, von Disco-Fox bis zum Computer-Nerd.
Er setzt zum Reden an, beißt sich dann auf die Unterlippe und kramt umständlich ein paar Zettel mit vorbereiteten Fragen hervor. Zum Einstieg lese ich: "Hast du so etwas schon mal gemacht?", "Fährst du auch Ski" und "Was ist dein Sternzeichen?" Dabei ist er so mit seinen Papieren beschäftigt, dass er mich keines Blickes würdigt - fünf Minuten sind manchmal doch ganz schön lang!
Dabei ist die Strategie eigentlich nicht dumm, schließlich hat man nur wenig Zeit. "Wer schnell schreiben kann, ist durchaus im Vorteil", meint auch die Veranstalterin Leah Schöne von der Event-Agentur Blind Date Dinner & More. In den USA, China und den Niederlanden sei Silent Dating bereits erfolgreich. In Deutschland flirten zwar die Massen noch nicht im Stillen. "Aber beim Speed Dating war das anfangs ähnlich - und jetzt ist die Nachfrage riesig", sagt Schöne optimistisch.
Björn, 26, Student aus Flensburg, trägt einen modischen Haarschnitt über seinem engen T-Shirt und ist eigentlich viel zu cool, um eine Frau anzusprechen. Er schreibt fehlerfrei und sehr unterhaltsam, und so verbringen wir ein paar fröhliche Minuten miteinander. Wäre er nicht so jung, könnte man ihn fast als Kandidaten für für ein Wiedersehen nominieren. Doch der Gong trennt unseren Lebensweg - für immer.
Es folgen fünf Minuten Zetteltausch mit meinem Kumpel Melf. Ich: "Und?" Er: "Weiß nicht so recht!" Ich: "Was ist mit der Blonden?" Er: "Nette Pumps - mal abwarten."
Am Ende überreiche ich der Agenturchefin auf einem Zettel die Namen der Kandidaten, mit denen ich mir ein Wiedersehen vorstellen könnte - der romantisch-lustige Claus im orange-farbenen Hemd -, während Melf hastig seine Stifte einpackt.
Als wir draußen sind, holt er nach, was er die ganze Zeit nicht durfte: Er redet ohne Ende, über seine Partnerinnen, die Zettel, wer was geschrieben hat. Wir lachen viel, insofern hat sich das Silent Dating schon gelohnt. Auch wenn etwas mehr Romantik und weniger Zeitdruck sicherlich gut gewesen wären. Aber wer sich in Ruhe treffen will, kann das ja nachholen: Bei mir hat sich mit Claus später noch mal gemeldet. Und der war mir tatsächlich am sympathischsten.
Fazit: Silent Dating eignet sich für alle, die auf der Suche nach neuen Kontakten sind, öde Anmachsprüche á la "Bist du öfter hier?" ablehnen und die Sache nicht zu ernst nehmen. Dann kann man vielleicht sogar die große Liebe finden - oder zumindest einen lustigen Abend verbringen.
Nari Nikbakht war bei einer Veranstaltung der Event-Agentur Blind Date Dinner & More, die Silent Dates in verschiedenen Städten anbieten. Kosten: 25 Euro pro Person.