image
Sie ist eine Powerfrau. Zaudert nicht lange, wenn der Job ruft oder Entscheidungen anstehen, hopp oder top. Auch wenn sie im Bett liegt, angeschlossen an das Dialysegerät, durch das gerade ihr Blut gepumpt wird. Das Telefon klingelt, ein Gespräch mit einem Rechtsanwalt über betriebsbedingte Kündigungen. Als Betriebsratsvorsitzende eines Großkonzerns in Stuttgart muss sie vieles regeln. "Kündigungen gehen mir an die Nieren", sagt Claudia John und verzieht das Gesicht. Ihre Nieren funktionieren nicht mehr. Vor fünf Jahren bekam sie nach einer Blutuntersuchung die Diagnose: beide Nieren irreversibel geschädigt. Ein Schock. Mit leichter Heiserkeit in der Stimme erzählt die heute 46-Jährige, offen, nicht bitter. Sie ist keine, die sich von einer Krankheit unterkriegen lässt. "Manchmal ist es nervig, aber man gewöhnt sich an alles" ist eines von den wenigen Zugeständnissen, die die Dialysepatientin macht. Hadern und sich ärgern ist in Ordnung, sich dem Jammern hingeben nicht. Als sie sich vor zwei Jahren trotz Medikamenten ständig übergeben musste und beim Wandern schlappmachte, war klar, dass die Dialyse unumgänglich war. "Aber zu Hause", beschloss Claudia John. Um zeitlich unabhängiger zu sein. So wäscht sie ihr Blut dreimal pro Woche acht Stunden über Nacht, in ihrem eigenen Bett, statt tagsüber oder abends in einem Dialysezentrum. Das passt eher zu ihrem Lebensrhythmus.
Umtriebig ist sie und durchsetzungsfähig, hat neben ihrer Familie und ihrem Haus in der Nähe von Tübingen einen aufreibenden Beruf als Projektassistentin in der Software-Entwicklung. Dass sie nicht mehr essen kann, worauf sie Lust hat, nur wandern und mehrmals in der Woche schwimmen darf, statt auf hohe Berge zu klettern, was sie früher gern getan hat, sieht sie ein. Aber beruflich kürzertreten - auf keinen Fall. Sie liebt ihren Job, "außerdem fordert er mich und hält mich davon ab, dauernd an meine Krankheit zu denken", sagt Claudia John, lehnt sich zurück und genießt ihren Cappuccino mit Zucker und einer großen Haube aus Milchschaum: "Milch geht eigentlich nicht, zu viel Phosphat."
Die Einschränkungen, die ein Nierenversagen mit sich bringt, sind enorm, der Grund, weshalb Claudia John einen Schwerbehindertenausweis hat. In der chinesischen Medizin gilt die Niere als Wurzel des Lebens. Als lebenswichtiges Organ entgiftet sie den Körper und regelt die Pegelstände für Salze, Wasser und die Höhe des Blutdrucks, außerdem produziert sie Hormone. Versagen kranke Nieren ihren Dienst, kann ein Mensch dies nur überleben, wenn ihre Funktion durch die Dialyse ersetzt wird. Der Speiseplan der Dialysepatientin ist schmal: salzarm, viel Eiweiß, nicht zu viel Kalium und Phosphate und wenig trinken, damit die Maschine nicht zu viel entwässern muss. "Was mir am schwersten fällt", auch wenn sich Claudia nicht sklavisch daran hält. Man glaubt es kaum, aber sie sollte fettes statt mageres Fleisch essen, um dem Körper das notwendige Eiweiß zuzuführen. Das ist eigentlich nicht ihr Ding, deshalb belohnt sie sich schon mal mit einem Glas Wein oder Bier. Auch Obst ist nicht gesund für sie, trotzdem isst sie ab und an eine Handvoll Trauben. Aprikosen und Bananen sind dafür ganz tabu: "Es geht darum, eine Balance zu finden."
So ist es auch im Urlaub. "Schon ätzend, wenn man zum Après-Ski ins Dialysezentrum muss." Spontan wie früher mit Zelt und Rucksack losfahren geht nicht mehr. Ein Vorrat an EPO, einem Medikament, das als Dopingmittel bekannt ist, aber gegen die Blutarmut bei Nierenkranken entwickelt wurde, ist ebenso notwendig wie ein Platz für die Feriendialyse, der ein halbes Jahr im Voraus reserviert wer- den sollte. Solche Angebote gibt es nicht überall. In Frankreich, wo Claudia mit ihrer Familie gern hingefahren ist, sieht es schlecht aus, in Italien, Kroatien, Österreich und der Schweiz recht gut. Ganz frei in ihrer Urlaubsplanung ist sie nie, aber wenn Claudia daran denkt, was für interessante Bekanntschaften sie in verschiedenen Stationen im Ausland schon gemacht hat, ist das ein gewisser Ausgleich.
Man kann damit leben, nicht nur überleben.
Krank sein, aber nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. "Man kann damit leben, nicht nur überleben", formuliert sie es positiv. Wenn man seinen eigenen Weg findet. Sie ist ein Organisationstalent, erstellt Wochenpläne, die Familie hilft mit. In den vergangenen Wochen war sie geschäftlich viel unterwegs. Montag und Dienstag Schulung in Karlsruhe mit Übernachtung, Dienstag zur Arbeit nach Stuttgart, nachts Dialyse, Mittwoch frei, Donnerstag wieder Karlsruhe, Freitag Esslingen, abends ist sie müde und geht früher als gewohnt ins Bett. Und an die Dialyse. Der blaue Kasten, auf dessen Monitoren verschiedene Anzeigen blinken, gluckert und brummt wie eine Waschmaschine. Es fällt ihr schwer, aber beim An- und Abkoppeln an das Gerät muss Claudia John sich helfen lassen. Blut kann sie sehen, auch die zwei Nadeln selbst stechen, eine in die Arterie, aus der das Blut ausfließt, die andere in die Vene für den Rückfluss. Ihr Mann, Ingo Becker, stöpselt die durchsichtigen Schläuche auf.
Vorher hat er einen Beutel mit Kochsalzlösung, eine Spritze mit Heparin gegen die Blutgerinnung und die Kartusche mit dem Osmose-Filter an das Dialysegerät geklammert. Drei Monate haben die beiden die Abläufe an einer Maschine im Dialysezentrum trainiert, während zu Hause ein extra Wasser- und Stromanschluss im Schlafzimmer gelegt, der 200 Kilo schwere Kasten aufgestellt und ein Materiallager im Keller angelegt wurde. Die Krankenkassen übernehmen alle anfallenden Kosten, die Heimdialyse ist günstiger als die stationäre. Das Stechen der Nadeln ist Millimeterarbeit. Dann misst Claudia den Blutdruck, während ihr Mann über Knopfdruck einstellt, wie viel Wasser dem Körper entzogen werden soll. "Die Vorstellung, dass das Blut außerhalb des Körpers fließt, war am Anfang schon seltsam", sagt sie, auch wenn es jeweils nur ein Viertelliter ist. Bei der Hämodialyse wird das Blut über ein Schlauchsystem aus dem Körper gepumpt und maschinell durch eine spezielle Membran geschickt, die schädliche Substanzen und das überflüssige Wasser herausfiltriert. Das gereinigte Blut wird dann zurückgeführt.
"Ich muss mich damit arrangieren, dass ich nicht mehr frei bin, sondern abhängig von Mensch und Maschine", sagt Claudia John. Als sie kürzlich spät abends um elf Uhr bemerkte, dass ihr ein notwendiges Flüssigkeitskonzentrat fehlte, weil sie vergessen hatte, es rechtzeitig zu bestellen, setzte sie sich in ihr Auto und holte selbst einen Kanister von der Dialysestation in Tübingen. Auch ihr Mann Ingo muss mehr planen als früher, muss, wenn sie ihre Dialyse macht, abends und morgens, zum An- und Abschließen der Maschine, einfach da sein.
Eine Heimdialyse entgiftet den Körper schonender
Ich muss mich damit arrangieren, dass ich nicht mehr frei bin, sondern abhängig von Mensch und Maschine.
Der Vorschlag, es mit Heimdialyse zu versuchen, war von ihrem Arzt am Tübinger Dialysezentrum gekommen. "Hämodialyse zu Hause kann eigentlich jeder machen, der nicht alt und hinfällig ist und einen Partner hat, der hilft", sagt Nephrologe Dr. Gunther Scholl. Man muss sich nur trauen, sich die Nadel zu setzen, sich mit dem Gerät und seinen Funktionen auseinandersetzen, Materialien bestellen und wissen, was zu tun ist, wenn beispielsweise der Blutdruck abfällt, weil zu schnell entwässert wurde. Trotz des Trainings sind anfangs auch bei Claudia John kleinere Pannen passiert. Dann war sie froh, wenn ihr Mann beim Dialysezentrum anrufen konnte und von dort Hilfe bekam. Im Vergleich zu Norwegen oder Frankreich ist das Netz der Dialysezentren in Deutschland dicht gewebt, ein Grund dafür, dass sich nur wenige Patienten selbst dialysieren. Viele scheuen auch die Eigenverantwortung für ihre Krankheit.
Gunther Scholl rät vor allem jüngeren Patienten zur Heimdialyse. Wer sein Blut im Dialysezentrum wäscht, verbringt zwölf bis 15 Wochenstunden damit, wer seinen Körper zu Hause entgiftet, macht das viel schonender in 24 Stunden pro Woche. Diese Patienten fühlen sich körperlich wohler, ihre Blutwerte sind besser, sie dürfen mehr trinken und sind freier in der Zeiteinteilung. Sieben Jahre wartet ein Dialysepatient im Schnitt, bis ihm die Niere eines Organspenders eingesetzt wird. Claudia John hat eine Freundin, der sie auf der Dialysestation wieder begegnete, die seit zehn Jahre wartet. Über 60000 Nierenkranke hoffen in Deutschland auf eine Transplantation. Ihnen standen im Jahr 2009 nur 1217 Menschen gegenüber, die nach ihrem Tod ihre Organe spendeten, sehr wenig im europäischen Vergleich. Hinzu kommen rund 600 Lebendspender, wie der SPD-Politiker Frank-Walter Steinmeier, der seiner Frau eine seiner zwei funktionierenden Nieren spendete. Mit einer kann man gut leben.
image
Claudia John wollte sich eine Niere ihrer Mutter transplantieren lassen, doch ein Schlaganfall stoppte dieses Vorhaben. Auch ihr Mann ist bereit zu spenden. Solange ihr heute 15-jähriger Sohn Niklas nicht erwachsen ist, scheuen die Eltern jedoch das Risiko, das mit einer solchen Operation verbunden ist. Zumal Niklas schon seinen älteren Bruder durch einen Unfall verloren hat. Ein transplantiertes Organ hält meistens nicht für den Rest des Lebens; es wird von den Medikamenten, den Immunsuppressiva, die eine Abstoßungsreaktion verhindern sollen, vergiftet. Sollte Claudia wider Erwarten in absehbarer Zeit eine Niere transplantiert werden, könnte ihr Mann als zweiter Spender zur Verfügung stehen. Niklas serviert Spaghetti. Mitten in der Pubertät fühlt er sich verantwortlich und kocht zweimal in der Woche, um seine Eltern zu entlasten. Die Mutter ist stolz auf ihn, strahlt. "Aber Spaghetti ohne Parmesan gehen gar nicht", sagt Claudia John. Und obwohl sie mit Hartkäse vorsichtig umgehen sollte, verteilt sie einen ordentlichen Löffel davon auf dem Teller. Ausnahmsweise.
Dialyse: Welche Möglichkeiten haben Nierenkranke?
Hämodialyse: Der Blutkreislauf wird an eine Maschine angeschlossen. Das Blut des Patienten wird außerhalb des Körpers mittels Filter und Dialyseflüssigkeit gereinigt. Die Behandlung erfolgt im Dialysezentrum dreimal pro Woche über vier Stunden. Mehr Infos und Adressen: www.dialyseauskunft.de
Heimdialyse: Sie wird dreimal pro Woche acht Stunden lang eigenverantwortlich zu Hause gemacht. Ein starker Wille und Durchhaltevermögen sind wichtig, um sich das nötige Wissen anzueignen. Eventuell die Bereitschaft des Partners, die Funktion der "Dialyseschwester" zu übernehmen. Patient und Partner werden vom zuständigen Dialysezentrum drei bis sechs Monate geschult. Für die Dialyse werden ein Bett oder eine Liege, eine Osmose (Wasseraufbereitung) und ein Dialysegerät benötigt. Hierfür sind etwa sechs Quadratmeter Platz erforderlich. Für die Lagerung des notwendigen Verbrauchsmaterials braucht man zusätzlich zwei Quadratmeter. Das betreuende Dialysezentrum stellt alles kostenfrei zur Verfügung. Die Finanzierung des notwendigen Umbaus (Wasseranschluss, Abfluss und Elektroanschluss) erfolgt in der Regel über das betreuende Dialysezentrum. Mehr Infos: www.heimdialyse-online.de
Bauchfelldialyse: Eher selten. Mittels eines Katheters, der in die Bauchdecke eingepflanzt wird, wird die Dialyseflüssigkeit in die Bauchhöhle gepumpt, um dort das Blut zu reinigen. Das Bauchfell fungiert als Filter. Dialysiert wird zu Hause zwei bis drei Stunden täglich. Bei dieser Methode besteht das Risiko von Infektionen.
Allgemeine Informationen: Verband Deutsche Nierenzentren (DN) e.V., www.ddnae.de; Nierentelefon: 08 00/248 48 48 (gebührenfrei); Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO), www.dso.de; TransDia - Sport und Bewegung für Transplantierte und Dialysepatienten, www.transdiaev.de